Zum Beispiel
Die Marburger Germanistik im "Dritten Reich"
Von Kai Köhler
Ein Nachschlagewerk ist stets nur so informativ wie sein Benutzer klug. Den unfreiwilligen Beweis für diese Regel trat Johannes Saltzwedel an, der im November 2003 im "Spiegel" das von Christian König herausgegebene "Internationale Germanistenlexikon" zum Anlass für Skandalisierung nahm: Zwei Seiten über Nachkriegswissenschaftler, von denen Walter Höllerer, Peter Wapnewski und Walter Jens mit Photo und dem Vermerk "Aktenkundig" an den Pranger gestellt wurden; danach erst das Eingeständnis, dass diese damaligen, so Saltzwedel abfällig, "Milchbärte" doch "eher ein Randphänomen" darstellten; eine paar brauchbarere Zeilen über die NS-Aktivitäten von Germanisten, die schon vor 1945 arrivierten; als wirksamer Abschluss dann Opferkitsch über Auslandsgermanisten, die als NS-Opfer überlebten. Pierre Grappin zum Beispiel habe seitdem, wenn er sich über deutsche Gegenwartsliteratur äußerte, "eine moralisch unanfechtbare Erfahrung" besessen.
Nun sind Erfahrungen nicht moralisch oder überhaupt anfechtbar, sondern herbeigeführt oder unfreiwillig erlitten und beruhen jedenfalls auf der Konfrontation mit Realität; und jede Äußerung über Literatur, auch die eines Opfers des "Dritten Reichs", muss diskutierbar und damit anfechtbar bleiben, nimmt man die Person als Wissenschaftler überhaupt ernst. Falsches Pathos verweist hier auf ein Medienmarktkalkül, das dennoch nur bedingt aufging.
Bedingt; indem zwar einerseits die "Randphänomene" die Öffentlichkeit beschäftigten: Der Jens, der Moralist, endlich haben sie ihn drangekriegt, und nun, was sagt der dazu? Andererseits wurde in seriöseren Feuilletons, von Gustav Seibt in der "Süddeutschen Zeitung" etwa, sehr schnell darauf verwiesen, was ein Lexikon ist: ein Buch, das Sachinformationen bereitstellt und ihre Interpretation nicht ersetzt. Gleichfalls gab es ernsthafte Kritik an den Schemata des Lexikons. Frank-Rutger Hausmann, Kenner der Wissenschaftgeschichte nach 1933, bemängelte zu Recht, dass zwar die NSDAP-Mitgliederkartei umfassend ausgewertet wurde, nicht aber andere Parteimitgliedschaften, und dass so das Gesamtbild verschoben wird. Hausmanns Einwand, statt der realen publizistischen Wirkung sei in verkürzter Weise nur die Ebene von Mitgliedschaft erfasst worden, greift freilich zu kurz. Schließlich bietet das Lexikon umfassende Bibliographien - und sein kluger Nutzer, der nicht nur dem Suchbefehl auf der CD-ROM-Version vertraut, ist aufgefordert, Beziehungen herzustellen.
Dabei nun ist in der Tat weniger interessant, welcher Jugendliche des Jahrgangs 1922 oder 1923, der von Beginn seines politischen Denkens an vor allem NS-Propaganda wahrnehmen konnte, 1942 oder 1944 in die Partei eintrat oder auch nicht. Skandalon ist vielmehr, wie die älteren Generationen die völkischen Ideologien begrüßten; Skandalon kann sein, inwieweit Gegenstandsbestimmung und Hauptströmungen der Germanistik eine solche Haltung schon lange vor 1933 nahelegten. Um diese Felder zu vermessen, sind Detailstudien notwendig, wie sie auch schon in größerer Zahl vorliegen.
Zur Geschichte der Marburger Germanistik zwischen 1920 und 1950 ist ein Forschungsprojekt unter der Leitung von Burghard Dedner, Waltraud Strickhausen und Kai Köhler abgeschlossen, dessen Resultate im Sommer 2004 publiziert werden sollen. Im folgenden sind Teilergebnisse zu zwei Aspekten zusammengefasst, die mit der Diskussion ums Germanistenlexikon zusammenhängen: Wie stellt sich der Zusammenhang von Parteimitgliedschaft, wissenschaftlicher Propaganda zugunsten des Regimes nach 1933 und Karriereverlauf dar? Und: Gibt es generationenspezifische Profile? Derartige Fragestellungen - die über notwendige Personenkritik hinaus auf eine größere Gruppe anzuwenden wären - können die Diskussion versachlichen. Versachlichung bedeutet keine Entschuldigung, denn sowohl wer der Partei beitrat als auch wer NS-Ideologien publizistisch unterstützte, stellte sich auf die Seite der Mörder; Versachlichung erlaubt indessen, die Funktionsweise politisch nützlicher Wissenschaft zu analysieren.
Der Marburger Personenbestand ist überschaubar: Drei Professuren - je ein Ordinariat für ältere und für neuere deutsche Literatur, ab 1933 ein weiteres am Deutschen Sprachatlas; ein Vertreter der Volkskunde, eine außerplanmäßige Professorin im Bereich der Dialektologie, zwischen 1933 und 1945 nur drei Habilitationen.
Bis 1936 hatte Karl Helm das Ordinariat für ältere deutsche Literatur inne, Jahrgang 1871, ein Nationalkonservativer wohl ohne parteipolitische Bindung. Helms Nachfolger Ludwig Wolff war trotz seines Geburtsjahrs 1892 kein Weltkriegsteilnehmer, aus gesundheitlichen Gründen. In der Weimarer Zeit stand Wolff der DNVP nahe und holte er den Krieg auf ungefährlichere Weise als Mitglied des Kriegerbunds "Stahlhelm" und 1928 als Autor eines populärwissenschaftlichen Buchs über die "Helden der Völkerwanderungszeit" nach, schied jedoch, als der "Stahlhelm" in die SA überführt wurde, aus letzterer, wieder wegen seiner Gesundheit, aus. Parteimitglied wurde Wolff nie; freilich wurde seine Berufung 1937 durch Gutachten abgestützt, dass er der NSDAP früh positiv gegenübergestanden habe, ihren Gliederungen Geld spende und im übrigen dem NS-Kulturpolitiker Alfred Rosenberg seinerzeit die Arbeit über die Völkerwanderungszeit gefallen habe. Acht Jahre lang hatte allerdings Wolff sich einer kaum populären Detailarbeit gewidmet; erst in der Kriegszeit sollte er in Vorträgen sein Forschungsgebiet wieder politisch einsetzen, indem er vorgeblich germanisches Heldentum propagierte.
Etwas anders sieht es bei der Neueren deutschen Literatur aus. Ernst Elster, geboren 1860, Ordinarius bis 1928, hatte sich im Ersten Weltkrieg als nationalistischer Redner hervorgetan, war freilich als Vernunftrepublikaner nach 1918/19 und als Editor der damals maßgeblichen Heine-Ausgabe weit vom Antisemitismus der Machthaber nach 1933 entfernt. Emeritiert, brauchte er keine Parteimitgliedschaft mehr für eine Karriere und blieb der NSDAP ebenso fern wie sein Nachfolger Harry Maync, geboren 1974, der in der Weimarer Zeit der nationalliberalen DVP nahestand. Elster veröffentlichte nach 1933 nichts, Maync kaum noch. Freilich publizierte Maync 1944 eine Neuauflage seiner zuerst 1902 erschienenen Mörike Biographie. In das neue Buch fügte er sowohl antisemitische Passagen als auch Sätze ein, die sich gegen eine politisch funktionalisierte Wissenschaft richteten. Jahrzehnte zuvor hatte Maync in mehreren Rezensionen die nationalistische Judenhatz des akademisch nicht etablierten Literarhistorikers Adolf Bartels bekämpft. Maync hatte sowohl Bartels' Antisemitismus als auch dessen mangelnde Wissenschaftlichkeit attackiert; diese Einheit von wissenschaftlichem und politischem Ethos zerbrach 1944, zu einem Zeitpunkt, als Maync keine Karriere mehr zu sichern hatte.
Mitglied der NSDAP war dann Mayncs Nachfolger Max Kommerell, geboren 1902. Kommerell trat erst 1939 in die Partei ein. Damals lag seine größte Begeisterung für Hitler, um 1930 bei der Lektüre von "Mein Kampf", ebenso Jahre zurück wie das Buch, das für den deutschen Faschismus am ehesten ideologisch brauchbar war: "Der Dichter als Führer in der deutschen Klassik" von 1928. Gerade diese Schrift Kommerells aber war als Buch aus dem George-Kreis gebrandmarkt; und dieser Kreis war nach Stefan Georges Ablehnung von 1933, Hitler zu unterstützen, in Misskredit geraten. In Kommerells Fall beförderte der Parteieintritt wohl die Berufung, während seine gleichzeitigen Arbeiten einen ästhetizistisch motivierten Abstand zu Zügen des Regimes zeigen, die aus Sicht eines Konservativen Revolutionärs allzu ordinär erschienen.
Im Bereich des Sprachatlas konnte Walther Mitzka, Jahrgang 1888 und Weltkriegsteilnehmer, im Jahr seines Parteieintritts 1933 die gleichzeitig zum Ordinariat aufgewertete Leitung antreten, während Adolf Bach, der für die Position im Gespräch gewesen war, wohl auch aufgrund des Gerüchts ausschied, er stehe dem katholischen Zentrum nahe. Der Indogermanist Hermann Jacobsohn, der zuvor den Sprachatlas kommissarisch geleitet hatte, hätte als "Frontkämpfer" des Ersten Weltkriegs trotz seiner jüdischen Herkunft noch für kurze Zeit an der Universität bleiben können, hätte er sich nicht durch sein Engagement für die linksliberale DDP desavouiert; entlassen, beging er im April 1933 Suizid. Mitzka als NSDAP-Mitglied funktionalisierte nur in Ausnahmefällen offen seine Wissenschaft und erlangte gleichwohl in den 30er Jahren eine zentrale Machtstellung in der deutschen Dialektologie. Sein Stellvertreter Bernhard Martin, geboren 1889 und wie Mitzka kriegsversehrt, konnte erst in die Partei eintreten, als 1937 die Aufnahmesperre aufgehoben wurde. Sein rascher Aufstieg zum Honorarprofessor für Volkskunde und Mundartenforschung 1935 und zum Leiter des Kurhessischen Landesamts für Volkskunde 1938 ging der Faschisierung seiner wissenschaftlichen Arbeit seit 1939 voraus.
Mitzka und Martin waren freilich schon zuvor gemeinsam mit dem "Lautdenkmal reichsdeutscher Mundarten zur Zeit Adolf Hitlers" hervorgetreten, einer Sammlung von Dialektaufnehmen vielfach propagandistischen Inhalts, die 1937 als Geschenk des "Reichsbunds der deutschen Beamten" Hitler zum Geburtstag überreicht und in der Presse mehrfach hervorgehoben wurde. Von solchen Unternehmungen blieb die Dialektologin Luise Berthold, Jahrgang 1891, fern. Sie hielt von der NSDAP Distanz und konnte erst 1940 auf eine außerplanmäßige Professur, gar erst 1952 auf eine außerordentliche Professur aufrücken. Schwer zu entscheiden ist, ob Berthold, nach der Orientalistin Annemarie Schimmel die zweite habilitierte Frau an der Marburger Universität, eher aus politischen oder geschlechtsspezifischen Gründen so lange warten musste.
Nach dem 30. Januar 1933 wurden in Marburg drei Germanisten habilitiert. Einer von ihnen, Kurt Berger, wurde 1933 oder 1934 Parteimitglied, fungierte 1941 bis 1945 als Propagandaleiter des NS-Gaudozentenbunds, ohne dass dies seinen Aufstieg besonders gefördert hätte; erst 1943, neun Jahre nach seiner Habilitation, wurde er auf eine Professur berufen, freilich in Budapest, einer Stadt, der sich die Front bedenklich näherte. Bereits 1933 wurde Johannes Klein Privatdozent. Wie Berger Jahrgang 1904, schien er politisch für eine steile Karriere prädestiniert. Schon in der zwanziger Jahren war er im "Stahlhelm" und dem noch radikaleren Bund Oberland, der sich an Hitlers Putschversuch von 1923 beteiligt hatte, aktiv; von seiner Dissertation an zum Thema "Walter Flex, ein Deuter des Weltkrieges" funktionalisierte er seine Wissenschaft national. Freilich hielt er an seiner Beziehung zu einer Frau fest, die nach NS-Kriterien Halbjüdin war; in mutigem Bekenntnis heiratete er sie im März 1933, verlor er deshalb 1938 seine Lehrerlaubnis und wich er nach Schweden aus. Ein Exil? Von 1940 an arbeitete er als Lektor der "Deutschen Akademie" in Göteborg; vom Reich bezahlt, erklärte er schwedischen Interessenten, weshalb die Deutschen als "Volk ohne Raum" zur Expansion gezwungen seien, zu einer Expansion, die doch für seine Frau, für die er auf ungehinderten Aufstieg verzichtet hatte, den Tod bedeuten konnte.
Und der dritte Habilitierte? Harry Mielert, Jahrgang 1912, war zu Beginn der NS-Herrschaft gerade erwachsen und nahm in seiner Studienzeit zahlreiche Funktionen in NS-Verbänden ein; Parteimitglied war er seit Aufhebung der Aufnahmesperre 1937. Ein Nazi also? Die Dissertation zu Jean Paul erlaubt nicht den kleinsten Hinweis in diese Richtung. Einen ersten Habilitationsversuch unternahm Mielert, Soldat seit Januar 1940, während eines Genesungsurlaubs zu Beginn des Jahres 1941; Kommerell unterband den Erfolg. 1942 wurde Mielert mit einer schmalen Arbeit zu Schiller habilitiert, die er während eines zweimonatigen Fronturlaubs anfertigte. Auch sie weist keinen Zeitbezug auf; und die Gutachten zeigen eine, wie Mitzka ausplaudert, "allseitige Hilfsbereitschaft", einen Offizier - und nicht: einen Parteiaktivisten milde zu beurteilen. Auch davon profitierte Mielert nicht; er fiel 1943.
Sehr unterschiedliche Lebenswege also, denen allein Daten zur Parteimitgliedschaft nicht gerecht werden. Weder diese Angaben alleine noch die Titel von Publikationen, kombiniert mit den Jahreszahlen des Auf- oder Abstiegs, ergeben schon ein zutreffenden Bild. Spricht das gegen ein Lexikon, das nur solche Daten liefert? Es wäre ja eine andere Form des Nachschlagewerks denkbar gewesen, ein Personenlexikon, in dem die Bearbeiter in ebenfalls sechs oder acht Spalten einen Zusammenhang zwischen den Daten herstellen. Solche Wertungen aber müsste man überprüfen. Jelko Peters, der Bearbeiter des Eintrags zu Mitzka, versichert etwa: "In Walther Mitzkas Schriften lassen sich regimetreue, aber gemäßigte Aussagen finden, die vor dem zeitgenössischen Hintergrund gesehen werden sollten." Letzteres ist entweder hermeneutische Banalität oder ungeschickte Entschuldigung; dass in einer Verbrecherbande offen der nächste Raub beredet wird, macht die Leute ja noch nicht ehrenwert. Ob Mitzkas Aussagen regimetreu, aber gemäßigt sind, muss man für eine ernsthafte wissenschaftliche Arbeit ohnehin selbst überprüfen. Die Zusammenschau des Lexikons von Literaturangaben und Lebensdaten erlaubt besseren Ansatz für solche Analysen, als explizite Urteile dies könnten. Ein Lexikon schließlich soll nicht Denkergebnisse, sondern dem Denken Fakten geben.
Die Fakten, dies sei den Skandalsuchern ins aber leider sowieso nicht geführte Merkbuch geschrieben, gilt es zu verbinden. Im Marburger Fall ergibt sich, dass Parteieintritt für einen Verbleib auf der Stelle nicht notwendig war (Helm, Maync); dass er vielleicht zur Professur verhalf (Mitzka, Kommerell), aber keine Bedingung war (Wolff); dass die Ideologisierung von Wissenschaft Jahre vor (Wolff, Kommerell) oder nach (Mitzka, Martin, Wolff) dem Aufstieg oder, mit freilich wenigen Sätzen, gar nach der Emeritierung (Maync) stattfand; dass der Rassismus des Regimes dem nationalistischsten Forscher seine Ehe verübelte und ihn ins Ausland zwang (Klein), der politisch anstelligste Nachwuchswissenschaftler (Berger) jedoch langsam avancierte; und wie der Jüngste, Harry Mielert, als überzeugter Nationalsozialist seine Wissenschaft von Aktualitäten freihielt und anders als der allmählich etabliertere Berger sich keinen lebensrettenden Kriegsdienst an der Heimatfront organisieren konnte.
Die erhaltenen Dokumente um die langwierigen Verhandlungen, die zum Ruf für Kommerell führten, zeigen sogar, dass zumindest in Marburg es nicht von Nutzen war, die Wissenschaft allzu offensiv politisiert zu haben: Der NS-Germanist Heinz Kindermann wurde sofort aus der weiteren Diskussion ausgeschlossen, und gegen die einschlägig profilierten Hermann Pongs und Gerhard Fricke wurde in Gutachten der Verdacht ins Feld geführt, sie hätten sich lediglich karrieretaktisch angepasst.
Solche Beobachtungen sind dann, wie es Holger Dainat für die Neuere deutsche Literatur kürzlich unternommen hat, reichsweit abzusichern. Nur so wird deutlich, was einzelne Zufälle, lokale Besonderheiten oder durchgehende Züge des NS-Regimes sind.
Dainat wies auch nach, dass die Berufspolitik in verschiedenen Phasen unteschiedlich strukturiert war. Ab 1936/37 ließen Einmischungsversuche politischer Stellen nach, wurde über Berufungen vermehrt an Universitäten nach wissenschaftlichen Kriterien entschieden. Ausgestoßen blieben dabei in jedem Fall Personen, die den rassistischen NS-Kriterien nicht genügten oder links von jenem nationalkonservativen Konsens standen, der nach 1945 auch zu wechselseitigen Entlastungen bei Spruchkammerverfahren führte; früh bekam das Jacobsohn zu spüren.
Man kann auch eine politische Einteilung nach Generationen versuchen: die wilhelministisch geprägten Forscher Elster, geboren 1860, Helm, geboren 1871, und Maync, geboren 1974, sowie als Nachzüglerin Berthold, geboren 1891 (DVP vor 1933, FDP nach 1945): Sie alle bewegen sich in einem nationalliberalen Kontext und werden konservative Vernunftrepublikaner. Die Weltkriegsgeneration Mitzka (geb. 1888), Martin (1889) sowie Wolff (geb. 1892) steht schon jenseits des parteipolitischen Spektrums, das die Weimarer Republik stützt. Mit der Ausnahme Wolff werden diese drei NSDAP-Mitglieder. Die Nachkriegsgeneration erlebt Weimar als Feind schlechthin; Kommerell (geb. 1902) avanciert wegen Konfliktlinien innerhalb der politischen Rechten erst 1941, Berger (geb. 1904) noch später, während derjenige, der seine Wissenschaft am entschlossensten politisiert, Klein (geb. 1904), aus rassistischen Gründen abgeschoben wird. Mielert (geb. 1912), der an den Konflikten der späten Weimarer Republik kaum mehr teilhatte, bewegt sich wie selbstverständlich im politischen Rahmen der NS-Institutionen, ohne dass dies seine Wissenschaft berührte; gleichwohl ist er, wie seine publizierten Briefe von der sowjetischen Front beweisen, kein funktionalistischer Modernisierer wie jüngere SS-Kader.
Hier mag eine institutionengeschichtliche Besonderheit greifen: Die Marburger Universität war deshalb nach 1933 nur wenig faschisiert, weil sie vor 1933 weit rechts stand. Das zeigt keine spezifische politische Moral der Nationalkonservativen; nur gab es kaum Juden oder Linke, die zu vertreiben und deren Stellen dann durch überzeugte Nazis wiederzubesetzen waren. Deshalb konnte sich ein konservatives Milieu ohne große Probleme und unabhängig von parteipolitischen Präferenzen vor 1933 reproduzieren; dem entsprechen dann die bereitwilligen gegenseitigen Entlastungen in Entnazifizierungsprozessen nach dem Krieg und deshalb ein in den 50er Jahren allenfalls durch Todesfälle veränderter Personalbestand.
Wer dies erforschen will, braucht Daten. Das Germanistenlexikon erlaubt wertvolle Zugriffe. Schwächen der Konzeption, vor allem zuweilen allzu großzügig bemessene Definitionen der Lehr- und Forschungsgebiete, wären in einer detaillierten Rezension zu benennen. Die Daten jedenfalls erleichtern jene Wissenschaftsgeschichte, die eine Konzentration auf jene paar NSDAP-Mitglieder, die 1933 Kinder und 1945 fast noch Jugendliche waren, verstellt.