Blut klebt am Schuh

"Das neue Schwarzbuch Markenfirmen" kratzt am Image erfolgreicher Labels

Von Frank MüllerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Frank Müller

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Willkommen zur Shoppingtour im "globalen Supermarkt" - so nennt der Soziologe Ulrich Beck die makroökonomische Entsprechung des "globalen Dorfes". Hier wird nach Herzenslust mit Rohstoffen geschachert, auf dem Wühltisch gibt's thailändische Arbeitskräfte, die das billig Erworbene im Handumdrehen in einen begehrenswerten Markenartikel verwandeln. Nein, Moment, das besorgt einer der Werber oder Top-Kreativen, den sich die Multis nahe der Kasse in den Korb legen. Sie wissen schon, aus dem Regal mit den "Quengelartikeln".

Das Bild übertreibt nicht. Konzerne wie Adidas, McDonald's, Nestlé, Mercedes, Microsoft, Samsung und Siemens übertreffen mit ihren Umsätzen oft die Wirtschaftskraft der Länder, in denen sie zu Niedrigstlöhnen produzieren lassen. Ihr Einfluss ist manchmal sogar größer als der von Regierungen und politischen Institutionen. Und sie investieren Unsummen für die Imagepflege ihrer Marken. Wer heute etwas auf sich hält, beschränkt sich in seinem Eigenlob nicht mehr auf die Produkte, sondern rühmt auch sein gesellschaftliches, soziales und ökologisches Engagement.

Mittlerweile hat man in den Chefetagen gelernt, dass die allzu offenkundige Missachtung humanitärer und ökologischer Interessen dem Geschäft schadet. Der ehemalige Umweltaktivist im Dienste eines Pharmaunternehmens, die Hochglanz-Umweltbroschüre eines mit genmanipulierten Pflanzen experimentierenden Konzerns - das alles sind Symptome eines unternehmerischen Kalküls, das die Kritik an sich selbst vorsichtshalber gleich mitproduziert. So lässt sich imagefeindlicher Widerspruch problemlos integrieren.

Man höre und staune: Während die Dresdner Bank "ökologische und soziale Verantwortung übernehmen" will, Hennes & Mauritz "unter guten Arbeitsbedingungen" produzieren und die KarstadtQuelle AG "Leistung für Mensch und Umwelt" erbringen möchte, preist McDonald's sein "weltweites Engagement zugunsten der Kinder". Wenig davon ist wahr. Die Kosten für das vorgebliche Engagement sind lächerlich gering, gemessen an dem, was die Konzerne durch unlautere Methoden erwirtschaften.

Gespart wird vor allem bei der Produktion. Ausbeutung von Rohstoffen, schleichende Vergiftung der natürlichen Umwelt, Kinderarbeit, Ausnutzung von Krisen und bewaffneten Konflikten, Tolerierung von Folter, Sklaverei, unerlaubte Medikamentenversuche, Diskriminierung und Tierquälerei in den Zulieferbetrieben, Verhinderung gewerkschaftlicher Arbeit - das ist die verborgene Kehrseite der wohlklingenden Markenphilosophie. Verborgen deshalb, weil das Unrecht nicht vor unserer eigenen Haustür geschieht, sondern in Billiglohnländer wie Afrika, Asien, Lateinamerika und Osteuropa exportiert wird.

Auf der Basis der Kritik einer neoliberalen Globalisierung - der ungehinderten Freiheit aller Kapitalflüsse und des Aufbaus einer allein auf ökonomische Effizienz getrimmten Weltordnung - untersucht "Das neue Schwarzbuch der Markenfirmen" die Machenschaften der Weltkonzerne. Das ernüchternde, von den Autoren mit investigativen Methoden zutage geförderte Ergebnis: Die Maschinerie der Großkonzerne läuft mit Blut, das auch ihrem Produkt, den Marken, anhaftet. So wie dem Nike-Sportschuh, der in Indonesien für 5 Dollar unter erbärmlichsten Arbeitsbedingungen hergestellt wird.

Das Schwarzbuch lässt die von Werbe- und PR-Agenturen auf Hochglanz polierten Markenimages in unvorteilhaftem Licht erscheinen. Wussten Sie, dass DaimerlerChrysler eine M-Klasse der anderen Art im Programm führt, nämlich die M-51-Dreistufenrakete? Wussten Sie, dass die Deutsche Bank Spekulationsgeschäfte auf Kosten hoch verschuldeter Länder betreibt, dafür aber so gut wie keine Steuern mehr bezahlt? Dass die Bayer AG jahrelang kongolesisches Coltanerz importierte und damit laut den Vereinten Nationen wesentlich zur Aufrechterhaltung des Krieges beitrug? Auch so genannte Edelmarken wie DKNY oder Tommy Hilfiger fallen unangenehm auf.

Nur allzu gerne bemühen die Unternehmen gut Abgehangenes, um sich aus der Affäre zu ziehen: faule Ausreden. Das Schwarzbuch definiert den Begriff der Verantwortung deshalb so umfassend, wie es sich gehört. Wer lediglich Verhaltenskodizes oder Produktionsnormen formuliert, ohne sie auch durchzusetzen und zu kontrollieren, handelt unverantwortlich. Indem ein Konzern wie Aldi durch seine niedrigen Preise Zulieferer unter extremen Druck setzt, ist er für die katastrophalen Arbeitsbedingungen in den Rohstoffländern und die Löhne weit unter dem Existenzminimum mitverantwortlich.

Trotzdem begnügt sich das Schwarzbuch nicht damit, derartige Missstände anzuprangern. Es ist zugleich eine fortgeschrittene Lektion in Sachen Widerstand und Protest. Es ermutigt den Konsumenten, Einfluss zu nehmen, bewusster einzukaufen und Unternehmen gezielt mit kritischen Fragen zu konfrontieren, zum Beispiel nach Mindestarbeitslöhnen und unabhängigen Kontrollen. Auch gesetzlich unerlaubte Protestformen können durchaus legitim sein. Ausflüchte zählen jetzt nicht länger, denn das Schwarzbuch liefert die einschlägigen Beschwerde-Adressen gleich mit. Dabei besitzen die Autoren den nötigen Weitblick, um vor blindem Aktionismus zu warnen: Undurchdachte Boykotte führen oft noch zu einer Verschlechterung der Misere.

Mit der Aktivierung des Verbrauchers, seiner Verwandlung vom ohnmächtigen Bittsteller zu einer unbequemen, wählerischen und kritisch-hinterfragenden Persönlichkeit, stellt das Buch zugleich das herkömmliche Machtgefälle zwischen Konzern und Kunden vom Kopf auf die Füße: Dort das anonyme und gegen Protest immune Unternehmen - hier der etwas einfältige Konsument, der sich, erhebt er überhaupt einmal die Stimme, mit Standardantworten aus den unternehmenseigenen Kommunikationsabteilungen abspeisen lässt.

Die Macht der Konzerne ist nur von den Konsumenten geborgt, das Image einer mit Werbemillionen aufgebauten Marke dementsprechend schnell demoliert: Jeder öffentliche Protest beschert den Unternehmen eine gepfefferte Rechnung über entstandene "Konfliktkosten". Auch ein geschickt geplantes E-Mail-Bombardement kann in den Unternehmenszentralen für Kopfzerbrechen sorgen. Gerade ein System, das alles nur nach betriebswirtschaftlichen Kosten und Nutzen beurteilt, spielt dem Konsumenten ein Instrument in die Hand, mit dem er sich wirksam gegen den falschen Markenzauber zur Wehr setzen kann.

Aus diesem Grund hätte man sich das Schwarzbuch noch etwas detaillierter gewünscht. Da sich die Autoren eingestandenermaßen nur einen schmalen Ausschnitt der Markenfirmen vorknüpfen, verschenken sie einen großen Teil der Lenkwirkung, die das Buch ausüben könnten. Dass der Kauf von Nike-Schuhen verwerflich ist, bedeutet ja keineswegs automatisch, dass andere Hersteller eine weiße Weste haben. Sinnvoll wären sicherlich auch eine Erweiterung der Unternehmenssünden um "historische" Vergehen und Verbrechen gewesen: Stichworte NS-Vergangenheit und Zwangsarbeiter-Entschädigung.

Titelbild

Klaus Werner / Hans Weiss: Das neue Schwarzbuch Markenfirmen. Die Machenschaften der Weltkonzerne.
Deuticke Verlag, Wien 2003.
407 Seiten, 19,80 EUR.
ISBN-10: 3216307158

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