Klar gesprochen

Wilhelm Vossenkuhl über Ludwig Wittgenstein

Von Andrea PotzlerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Andrea Potzler

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Philosophie hat dieser Tage Konjunktur. In den Tageszeitungen wird breit von Kants 200. Todestag berichtet und die öffentlich-rechtlichen Fernsehsender lassen sich zu Sondersendungen selbst in der besten Sendezeit hinreißen. Da sich der Anlass anbietet, werden so auch gleich einige andere Philosophen mitgestemmt. Nicht ungewöhnlich, dass man in diesem Zuge auch einiges über einen der meistbeachteten Philosophen des 20. Jahrhunderts erfährt: Ludwig Wittgenstein.

Ein weiteres wird mit Kants Todestag versucht zu transportieren: eine Stärkung der Geisteswissenschaften allgemein. So liest man von den Herausforderungen der Technik, von Naturwissenschaften, die doch so dringend der Philosophen bedürften, um eine Lösung der Fragen nach dem Machbaren und dem zugleich ethisch Vertretbaren zu finden. Letztlich fällt dann wieder alles auf Kants berühmte Fragen zurück: Was kann ich wissen? Was soll ich tun? Was darf ich hoffen? Was ist der Mensch?

Üblicherweise wird Wittgensteins Schaffen in zwei Teile geschieden: einen frühen und einen späten. Im frühen Teil des "Tractatus logico- philosophicus" ist Wittgenstein überzeugt, dass sinnvolle Sätze nur die der Naturwissenschaften sein können, dass Philosophie lediglich dazu diene, sich selbst zu transzendieren. Man solle die Leiter wegwerfen, nachdem man auf ihr hinaufgestiegen ist. Philosophen könnten also nur sinnvolle Sätze sagen, wenn sie sich damit selbst unnötig machten. So seien auch die meisten Fragen, die sich Philosophen bis dato gestellt haben nicht falsch, sondern schlicht unsinnig. Wittgenstein ist überzeugt, mit dem "Tractatus" ziemlich alle Denkprobleme gelöst zu haben.

Im späten Teil wird Wittgenstein vorsichtiger und kritisiert sein eigenes Herangehen des "Tractatus". Auch hier werde ja wieder eine abgeschlossene Philosophie proklamiert, die so nicht haltbar sei. Der späte Wittgenstein ist weniger systematisch, liefert jedoch wichtige Anstöße, die heute philosophisches Denken maßgeblich prägen. Wittgenstein schreibt zahllose Notizen zur Alltagssprache und macht sich Gedanken über deren Gebrauch. Kernpunkt sind die Sprachspiele, in denen sich Sprache und Wirklichkeit auf je eigene Weise treffen. Wittgenstein spricht hier von Landschaftsskizzen: "Die gleichen Punkte, oder beinahe die gleichen, wurden stets von neuem und von verschiedenen Richtungen her berührt und immer neue Bilder entworfen."

Die Sekundärliteratur zu Wittgenstein umfasst Regale, gar ganze Bibliotheken. Dabei hat der Philosoph selbst zu Lebzeiten fast nichts veröffentlicht, posthum können wir immerhin ein paar Bücher mit verstreuten Notizen in Händen halten. Sein bekanntes Buch, der "Tractatus logico-philosophicus" umfasst keine hundert Seiten. Wittgenstein sagt selbst, dass der Teil, der geschrieben steht, der kleinere Teil seines Buches sei. Der größere und weit wichtigere könne nicht aufgeschrieben werden. Oder: um mit Wittgensteins letztem Satz aus dem "Tractatus" zu sprechen: Wovon man nicht sprechen kann, darüber muss man schweigen. Daher ist Sekundärliteratur zwar breit gesät, jedoch immer kritisch zu betrachten, da Wittgenstein selbst der Überzeugung ist, dass man nichts weiter sagen kann, als er es bereits getan hat.

Wilhelm Vossenkuhl versucht in seinem in der "beckschen reihe denker" erschienenen Band Ludwig Wittgenstein auf die Spur zu kommen. Er wählt in seiner Einführung eine Mischform aus biographischem und systematischem Ansatz. In zwölf Kapitel unterteilt werden wichtige Themen wie "Grammatik und Wirklichkeit" "Grundlagen der Mathematik", der "Solipsismus" und das "Regelfolgen" dargestellt, wobei der Schwerpunkt auf der späten Phase liegt. Der Professor für Philosophie an der Ludwig-Maximilians- Universität in München schreibt in lockerem und klarem Stil und versucht, den Weg des Philosophen nachzuzeichnen, ohne sich in hochtrabende Spekulationen zu versteigen. Er weiß um die Probleme seines Philosophen: "Wittgenstein hat einen siebten Sinn, eine Witterung für das Unklare" und diesen Fragen, die sich für Wittgenstein auftun, folgt Vossenkuhl nüchtern. Er möchte Wittgenstein aus dem Geruch des Unsystematischen und Aphoristischen befreien und zeigt auf, inwieweit man seinen Denkweg vor allem als "Netzkarte" (nach Sten Nadolnys Roman gleichen Titels) durchlaufen kann: "scheinbar ziellos, aber mit wichtigen Einsichten (folgt Wittgenstein) einem Gedanken bis zu seiner Endstation". Ähnlich also den Landschaftsskizzen, von denen Wittgenstein selbst spricht.

Was Vossenkuhl zum Solipsismus Wittgensteins zu sagen hat, ist sicherlich umstritten: der Solipsist sei derjenige, welcher die Welt aus der Sicht der ersten Person betrachtet. Wittgenstein sei kein Solipsist im Russelschen Sinne (nur ich existiere), sondern nehme nur eine solipsistische Position ein, um zu sehen, was daraus folgt. Jedoch sagt Wittgenstein ganz deutlich: "Was der Solipsismus nämlich meint, ist ganz richtig, nur lässt es sich nicht sagen, sondern es zeigt sich."

Wittgenstein ist in vielen Gebieten (von der Literatur bis zur akademischen Philosophie) Anregung und Wegweiser. Vossenkuhl legt einen möglichen Zugang dar, der letztlich aber nur dazu führen darf, den Philosophen selbst zu studieren und einige in der Einführung angesprochene Wege der Netzkarte aufzunehmen und weiterzuverfolgen, um auch Vossenkuhls Ansatz kritisch zu hinterfragen. So verstanden ist die Einführung ein guter Einstieg, die jedoch die Lektüre Wittgensteins eigener Werke nicht ersetzen soll.

Wer tiefer in Wittgensteins Leben und Denken einsteigen will, dem sei zusätzlich die hervorragende Biographie von Ray Monk, "Ludwig Wittgenstein" empfohlen.

Titelbild

Wilhelm Vossenkuhl: Ludwig Wittgenstein.
Verlag C.H.Beck, München 2003.
368 Seiten, 16,90 EUR.
ISBN-10: 3406494196

Weitere Rezensionen und Informationen zum Buch