Voltaire, voltigierend

Nicht nur zum internen Gebrauch: Ehrenspergers "Ornithologen"

Von Torsten GellnerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Torsten Gellner

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Schriftsteller mit Tieren zu vergleichen, das hat in Deutschland Tradition. Ludwig Erhard erfand 1966 den schreibenden "Pinscher", während die zoologisch interessierten 68er die Gruppe 47 nicht einmal mehr zu den eher harmlosen "Papiertigern" zählen wollten, den Vogel schoss aber ein Bayer mit dem passenden Namen Strauß ab, als er die Klasse der "Ratten und Schmeißfliegen" unter den Autoren ausmachte. Der Schweizer Serge Ehrensperger entdeckt nun - weniger unflätig, doch ungleich treffender - das allegorisch dankbare Gebiet der Vogelkunde für sich und seine schriftstellernden Kollegen. Er kennt sich als Mitglied des deutschen PEN gut aus mit den Papageien und "Pappgeiern", mit den Raub- und Singvögeln, den Aasgeiern und stolzen Pfauen des gesamtdeutschen Dichterzirkels.

In seiner kleinen Satireschrift "Die Ornithologen" beschreibt Ehrensperger den umstrittenen Verschmelzungsprozess der beiden deutschen PEN-Zentren als große tierische und tierfreundliche Zusammenkunft. Es geht um die Dichterin Margarete Hannsmann, die wegen ihrer häufigen DDR-Besuche mit ihrem Lebensgefährten HAP Grieshaber als Altstalinistin verleumdet wurde, es geht um gegenseitige Verdächtigungen und um die Frage nach der Stasivergangenheit einiger Ost-PEN-Mitglieder. Diese Themen werden jedoch nur am Rande behandelt, ja dienen als Vorwand. Denn insgeheim möchte Ehrensperger nur eins: seiner hemmungslosen Lust am Sprachspiel Raum gewähren.

So gerät sich die Sprache selbst, oft genug nur der Pointe willen, zum Stichwortgeber: "Heinrich fühlte sich plötzlich ganz allein auf der Balustrade, auch ballistisch gesehen zu exponiert. Unbewaffnet tappte er auf dem Balkon vor diesem Honecker-Gebäude. Seit Jahren sollte es abgerissen werden, aus Asbestgründen, ein aserbeidschanischer Vorwand? Die grüne Glaswand erlaubte jedem Grünschnabel einen Blick [...]" und so weiter. Da folgt dem "Wein" ein "weinend", dem "Dinnerdiener" das "Diner", dem "Voltaire" ein "voltigierend", so dass man förmlich darauf wartet, ob der Dichter bei Sonnenschein nicht noch die "Marquise von O..." auszurollen gedenkt. Von solchen Sprachzoten ist der Text durchzogen - kann man über "Berliner Angestelltinnen" noch lachen? Ornithologen können das vielleicht.

Was den Text wiederum ganz reizvoll macht, sind die Anspielungen und Assoziationen der Sorte 'humanistisches Bildungsgut'. Ehrensperger hat schließlich Vogelgeschichte, also Germanistik studiert und das soll auch jeder merken, vor allem natürlich die Poeten, Essayisten und Novellisten, für die er das Buch geschrieben hat. Also trägt der Chefornithologe Margareten einen autobiographisch angehauchten Heinrich zum Geleit an, stöbert in der Tübinger Osiander-Buchhandlung, plündert die griechische Mythologie sowie das vergangene literarische Jahrhundert, das "Jahrhundert Heinrich Manns wie des Mannes ohne Eigenschaften." Auch dieses Stilelement wird vom Autor sehr inflationär eingesetzt, im Gegensatz zu seinen gelegentlich arg flachen Sprachfisimatenten bewegt er sich dabei allerdings auf hohem Niveau. Vor allem erweist sich sein intelligentes und lockeres Spiel mit Wissensfragmenten als wirklich komisch.

"Die Ornithologen" ist ein handlungsarmes, dafür wahrhaft stilvolles Büchlein über einen Verein, der sich selbst ein wenig zu ernst nimmt und sich deshalb für ein satirisches Portrait bestens eignet. Ein Schlüsseltext, der stellenweise so verschlüsselt ist, dass er tatsächlich nur von jenen "Eingeweihten" verstanden werden wird, von denen Helmut Kreuzer im Anhang spricht. Trotzdem: Man muss ja nicht unbedingt Ornithologie studiert haben, um sich an der Vögelei erfreuen zu können.

Titelbild

Serge Ehrensperger: Die Ornithologen.
Nimrod-Verlag, Zürich 2000.
112 Seiten, 10,70 EUR.
ISBN-10: 3907139194

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