Was macht ein Bonner im "Wilden Osten"?

Wilhelm Boegers neues Buch "Der Leihbeamte"

Von Kerstin PlessowRSS-Newsfeed neuer Artikel von Kerstin Plessow

Besprochene Bücher / Literaturhinweise


Satirisch-lakonisch geht Boeger in seinem Buch an den Ost-West-Konflikt heran, karikiert Wessis ebenso wie Ossis und liefert eine nette Bestandsaufnahme von Originalen und Typen. Leider erscheint sein Buch nur Jahre zu spät, denn das immer wiederkehrende Motiv der naiven Ostdeutschen kennt nun wirklich schon jeder. Aber trotz allem besticht das Werk, wenn schon nicht durch das Thema, dann doch durch eine ihm ganz eigene Komik. Der Protagonist, ein Bonner Beamter vom Bildungsministerium, wird kurz nach der Wende als Beamter auf Zeit nach Schwerin "verliehen". Vom zweiten April bis Mitte Mai (das Datum wird in bürokratischer Manier genauestens mitgeteilt) darf Wilhelm Boeger dort als Ministerialrat arbeiten - oder es zumindest versuchen. Denn mit dem Starrsinn im "Wilden Osten" hat er schließlich nicht gerechnet. Der Beamte soll zusammen mit der Landesregierung ein Konzept für ein Berufsbildungszentrum in Prora auf Rügen erarbeiten. Auf dem Gelände war bisher eine von der Nationalen Volksarmee militärisch genutzte Großanlage. Doch das Projekt wird niemals zustande kommen.

In die Quere kommen dem Bonner nicht nur die ostdeutschen, gnadenlos überforderten Regierungsbeamten: "Ohne Akten läuft bei uns gar nichts. Da wird keiner eingestellt, aber auch keiner gefeuert", sondern auch genügend andere obskure Gestalten. Da wäre zum Beispiel der Lehrer, der von selbständigem Handeln noch nie etwas gehört hat: "Von der Schulbehörde sind wir Lehrer Disziplin und Gehorsam gewohnt. Und eine Orientierung, die klar erkennen läßt, wo oben und unten ist." Halsabschneider, Bürokraten und Spekulanten werden hier genauso hemmungslos bloßgestellt wie Geldhaie und Abzocker. Doch auch der Bonner bekommt etwas von ostdeutschen Klischeevorstellungen ab: "Die Bonner Beamten sitzen eh nur faul herum".

Genau dieser Stil macht den Sarkasmus des Buches aus. Durch Dialoge wird die Erzählung belebt. Gehemmt wird die Spannung jedoch zum einen durch den oftmals bürokratischen Stil; die Sprache wird nämlich analog zur Persönlichkeit des Protagonisten und vielleicht auch des Autors eingesetzt. Zum anderen verwendet der Erzähler oft Vorausblenden auf die Zukunft, die die Handlungsstränge zusammenfassen. Verwirrend für den Leser sind oft auch die zeitlichen Abläufe: Da wird vom Aufbau Ost erzählt, um fast im gleichen Atemzug über Urlaubserlebnisse zu berichten, die Jahre zurückliegen. Umso klarer ist die Sprache, die manchmal schon fast trivial wirkt. Abgesehen von einigen seltenen Anspielungen auf Sagenstoffe (die Episode "In Schilda wollen sich die Bürger" bezieht sich auf die naiven Schildbürger) spielen sprachliche Stilmittel eine untergeordnete Rolle. Man merkt eben, daß der Autor Beamter ist. Dies äußert sich auch im nüchternen Nachrichtenstil, der in den Überschriften verwendet wird: "Kein Aufschwung in Sicht".

Der Autor Wilhelm Boeger arbeitete 40 Jahre lang auf Bundes-, Landes- und kommunaler Ebene und verwertet hier seine autobiographischen Erlebnisse mit der nötigen Komik. Sein Fazit: "Ich bin machtlos gegen die Intrigen und Widerstände des Ministeriums in Schwerin." Wer sich für politische Bücher zwischen Authentizität und Satire interessiert, dürfte hier genau richtig liegen.

Titelbild

Wilhelm Boeger: Der Leihbeamte - Berichte aus Bonn, Schwerin und anderen "Kleinstädten".
Mitteldeutscher Verlag, Halle 1998.
238 Seiten, 15,20 EUR.
ISBN-10: 3932776089

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