Der Spurensucher

Lukas Felzmann erkundet das Niemandsland

Von Frank MüllerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Frank Müller

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Irgendetwas ist im Gange. Eine Verschwörung? Eine Metamorphose? Ein letztes Gefecht? Wir wissen es nicht. Wir wissen nur, dass es Hinweise und Zeichen gibt. Felzmann hat sie auf seinen Erkundungsgängen gesucht, gefunden - oder selbst erfunden. Die Kratzspuren im Asphalt. Der abgeknickte Ast. Der auf einem Kiesbett ruhende Balg eines Käuzchens. Oder das streng geometrisch angelegte Scherbenfeld. Übereinandergestellte Stühle bilden einen Turm. - Rätselhaft sind diese Markierungen allemal. Sie geben kein Ziel und keine Richtung vor. Aber sie künden von Veränderung.

Immer weiter führen Felzmanns Streifzüge, überall gibt es etwas zu entdecken und fotografisch zu ertasten. Nichts Spektakuläres, sondern Andeutungen und Winke. Sämtliche Wege führen ins Nichts. Ein Schienenstrang endet abgeschnitten im Buschwerk. Eine Straße wird von Schneeverwehungen belagert, aus einer anderen scheint ein gigantischer Tortenheber ein meterlanges Stück herausgesägt zu haben. Wer arglos der Fahrbahnmarkierung folgt, stürzt in die Tiefe. Ein weiterer Zubringer ist schon halb im Meer versunken. Die auf das Festland züngelnden Wellen scheren sich nicht um die Großbuchstaben auf dem Asphalt: STOP.

Felzmann bewegt sich in unwirtlichen Gegenden, abgeschriebenen Arealen, Randzonen. Die wenigen Behausungen sind von ihren Bewohnern längst verlassen, unter den sich ablösenden Tapeten kommt die neue alte Hautschicht zum Vorschein. Stapel von Büchern scheinen zu verklumpen und bilden ein gräuliches Massiv, an dem niemand mehr seinen Wissensdurst stillen kann - die kärgliche Bilanz des Prinzips Hoffnung. Alles was geblieben ist, sind Relikte unserer Zivilisation und die verkarstete Natur der Bay Area und der Farallon Islands. Hier ist kein Boden mehr gut zu machen - an dieser Kante fällt der Grund des pazifischen Ozeans in große Tiefen ab.

Alles Planen, Vermessen und Verrechnen, heißt das, war vergeblich. Wir haben es nicht in den Griff bekommen. Die zeitgemäße Landkarte ist das Labyrinth. Darum müssen wir uns an die Zeichen und Wegmarken halten, um mit ihrer Hilfe auf unseren eigenen Spuren zurückzugehen. Wer Glück hat, stößt auf einen mythischen Steinkreis oder auf ein in freier Wildbahn ausgesetztes Stoffpolster. All diese Dinge transformieren das vorgefundene Nirgendwo in numinose Orte. Auch die zahlreichen Fotos von Krähenschwärmen sprechen die Sprache der Eingeweihten. Nur ein Seher vermag den Vogelflug zu deuten.

Zeichen und Symbole bekunden unser Dasein, auch wenn es uns schon längst nicht mehr gibt. Ein in die Erde gerammter Pflock, auf dem die Karikatur eines Menschen prangt, erinnert entfernt an die Raumsonde Pioneer-10, die mit zwei menschlichen Selbstportraits auf die Sonne Aldebaran im Sternbild des Stiers zusteuert. Deswegen beginnt man angesichts dieser heimlich-unheimlichen Existenzbekundungen unwillkürlich zu erschauern. Wohin hat es die Zeichengeber und Spurenleger verschlagen, was ist ihnen widerfahren? Das bleibt Felzmanns Geheimnis, während wir als letzte Menschen durch die Geröllhalden streifen.

Titelbild

Lukas Felzmann: Landfall.
Lars Müller Publishers, Baden 2004.
144 Seiten, 30,00 EUR.
ISBN-10: 3907078926

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