Tendenz zum Infotainment

"Der Brockhaus Philosophie" misstraut seinen eigentlichen Stärken

Von H.-Georg LützenkirchenRSS-Newsfeed neuer Artikel von H.-Georg Lützenkirchen

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

1.300 Stichwörter zu Personen und Begriffen, 12 Sonderartikel zu "aktuell brisanten Themen", 60 "Infokästen" zu "Hauptwerken" der Philosophie, dazu 400 Abbildungen und nochmal 60 "Infokästen" zu "philosophiehistorisch bedeutsamen Hintergründen." Ist, was das Vorwort des vorliegenden Lexikons stolz aufführt, nun viel oder wenig für ein Lexikon, das "der Sehnsucht seiner Leser nach Philosophie entgegenkommen" will?

Es ist wenig genug. Zunächst sind in einer Übersicht nach ihrer zeitlichen Entstehung die Hauptwerke der Philosophie zusammengefasst: vom chinesischen Wahrsagebuch "Yi-jing" aus dem 1. Jahrtausend vor Christus bis zu Jürgen Habermas' "Theorie des kommunikativen Handelns". Dazwischen dann z. B. Aristoteles "Metaphysik", Thomas von Aquins "Summa theologica", Hobbes "Leviathan", Hegels "Phänomenologie des Geistes" oder Horkheimers/Adornos "Dialektik der Aufklärung". Natürlich können die bestenfalls 18 Zeilen umfassenden "Infokästen" nicht wirklich einführen in Hauptwerke der Philosophie. Das ist keine Information über philosophische Inhalte, sondern eine handlich portionierte Schlagwortzusammenfassung für den nächstbesten Smalltalkgebrauch. Häppchenwissen, das gerade vor dem schützt, was Philosophie doch leisten soll: zum Denken anregen.

Für die ebenfalls in einer Übersicht vorweg vorgestellten zwölf "Sonderartikel" steht mehr Platz zur Verfügung. Jeweils eine Doppelseite mit Abbildungen führt in folgende Themen ein: "Bioethik", "Demokratie", "Geschlechterforschung", "gutes Leben", "künstliche Intelligenz", "Linguistic Turn", "Neurophilosophie", "Philosophieren", "politische Ökonomie", "Spiritualität", "Wissen" und "Zufall". Über die Kriterien zur Auswahl dieser Begriffe lässt uns die Redaktion im Unklaren. Bei einigen ist ihre ,aktuelle Brisanz' offensichtlich, bei anderen hingegen ist ein bemühtes Streben nach Zeitgeistaktualität spürbar, oder aber sie sollen einer im Artikel "Philosophieren" benannten Feststellung gerecht werden: sie sollen die "Repolitisierung des Philosophierens" belegen. Ob es dann allerdings ausreicht, sie im braven Erläuterungsgestus durchzuexerzieren, sei dahingestellt. Nicht erst wenn es ums Politische geht, wäre zuweilen eine pointierte Aussage, für die ein Autor den Artikel auch zu zeichnen hätte, der Denkübung im Sinne des Philosophierens angemessener.

Bleibt der Kernbestand dieses Lexikons, seine 1.300 Stichwörter. Hier nun profitiert das Unternehmen von der Substanz der Brockhaus-Profis. Auf bewährtem Niveau wird solide, knapp und verständlich über "Ideen, Denker und Begriffe" informiert. Es zeichnet diese lexikalischen Informationen aus, dass sie sowohl dem unbedarften Laien als auch dem interessierten Kenner zu dienen vermögen.

Warum aber die missglückte Aufrüstung mit "Infokästen" und "Sonderartikel". Traut man den eigenen Stärken nicht? Oder ist es am Ende der Versuch, sich einer ästhetisch-zeitgeistigen Informationskultur nach Art bunter Häppchenpräsentation in den Medien anzunähern? Nichts zu meckern gäbe es über einen Versuch, dem guten alten Lexikon ein modernes zeitgemäßes ,Outfit' zu verschaffen. Nur Mut also zu Fotos und bunten Abbildungen. Doch zu warnen ist vor Anbiederung: Infotainment im Lexikongewerbe taugt nichts.

Titelbild

Der Brockhaus Philosophie. Ideen, Denker und Begriffe.
Herausgegeben von der Lexikonredaktion des Verlags F. A. Brockhaus.
Bibliographisches Institut, Mannheim 2004.
384 Seiten, 24,90 EUR.
ISBN-10: 3765305715

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