Sondermann und Sossenheim

Es stirbt die Neue Frankfurter Schule

Von Helge SchmidRSS-Newsfeed neuer Artikel von Helge Schmid

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Viele Leser und Betrachter von Bernd Pfarrs wundersamen Cartoons wussten, wie es um ihn steht und dass die kotzenden Krokodile, die seine Blätter seit Ausbruch seiner Krebserkrankung Ende der 80er Jahre gelegentlich schmückten, Ausdruck der Chemotherapie waren, die ihr Schöpfer immer wieder zu durchlaufen hatte. Im Juli-Heft der "Titanic" kotzte schließlich Sondermann selbst, vielleicht als Zeichen zu deuten, dass der Todeskampf des erst 46- jährigen Cartoonisten die Krisis erreichte. Die drastische Darstellung des Erbrechens korrespondiert damit, dass er jede Überhöhung seiner Krankheit ablehnte: "Ich fand's immer stocklangweilig zu sagen, der Künstler müsse leiden. Völliger Unsinn. Der Künstler soll jede Menge Spaß haben!"

Bernd Pfarr, Jahrgang 1958, studierte Grafik und Malerei an der Hochschule für Gestaltung in Offenbach, landete als Zeichner bei "Hinz & Kunz", "Mark & Bein", bereicherte später die "Titanic" und "Kowalski" mit einem monatlichen Blatt und wurde berühmt durch die absonderliche Welt seiner sonderlichen Cartoonfigur Sondermann.

Sondermann war als Kauz gemütlich und aufregend zugleich. Monat für Monat erschien ein neues Blatt und erzählte von seinem Alltag, seinen Abenteuern. Von der Gemütlichkeit zeugten Sondermanns heimelige Wohnung mit Ohrensessel, dem "Entchen-Toilettenpapierständer", einer ganzen Batterie eleganter Designerlampen und Tante Wiltruds schöner Obstschale. Doch boten die eigenen vier Wände auch Gefahren, etwa in Form des widersetzlichen Kühlschranks, des Sofas mit "Treibsand-Füllung" sowie in Gestalt von Untermieter Schulze, der gern mit "Sprengstoff aus biodynamischem Anbau" hantierte.

Überhaupt Sprengstoff: Pfarrs Cartoons enthielten ihn, trotz seines eher biederen Namens, reichlich: Einmal ließ er den lieben Gott mit einer Ladung TNT auftreten, genug "für den Weltuntergang". War er nicht mehr zufrieden mit dem reizenden Mäuerchen, das ihm von allen seinen Schöpfungen am besten gelungen schien?

"Am liebsten würde ich der ganzen Welt die Realität austreiben", zitiert sein Mitstreiter Bernd Eilert den Urheber dieser komischen Blätter, in denen sich aktuelle Bezüge zum Politischen kaum finden lassen: "Ich fand es nie interessant, ob Comic oder Cartoon eine politische Rolle in der Gesellschaft spielen. Entscheidend war: Was ist lustig, was nicht? Was ist gut gezeichnet, was nicht?"

Bernd Pfarrs Cartoons wirken wie unterm Fischauge gezeichnet, mit verzerrten Perspektiven und bewegt-dynamischen, fast eiförmigen Begrenzungslinien. Sondermanns Pupillen verschwinden dabei hinter milchig wirkenden Brillengläsern, und ohne Hut, einen Homburg, ist er nirgendwo zu sehen, nicht bei Tisch und nicht im Bett. Im Büro hat er es mit hochsensiblen Topfpflanzen oder einer veritablen "Buchhalterschleuder" zu tun, auf seinen Reisen beobachtet er die Fortschritte der Ägypter beim Negerschrubben oder landet im Topf der Menschenfresser, und seine Spaziergänge führen ihn mit der Tuba auf den Feldberg oder vorbei an Professor Petri, der gerade sein "Gemächt" lüftet.

In seinem Werk haben Text und Bild irrsinnig komische Allianzen gestiftet, deren Erfolg etwa 20 eigene Bücher seit 1984 bezeugen. Zahlreiche Verlage haben sich ihre Neuerscheinungen von Bernd Pfarr gestalten und illustrieren lassen. Darunter ist manche Arbeit entstanden, die - wie etwa das Hörbuch zu Wenedikt Jerofejews Roman "Die Reise nach Petuschki" - nur als kongenial bezeichnet werden kann.

Nur zwei Tage nach Bernd Pfarr starb Chlodwig Poth, der Nestor der Neuen Frankfurter Schule und Schöpfer der seit 1990 laufenden Bildergeschichte "Last Exit Sossenheim". Er war als Mitbegründer zweier mittlerweile legendärer Zeitschriften, der Satiremagazine "pardon" (1962) und "Titanic" (1979) Taktgeber eines neuen Komik- und Comic-Verständnisses in Deutschland, ein verspäteter 68er, der mit dem gesellschaftlichen Aufbruch der Jungen sympathisierte und sich und seine Kreise ("Mein progressiver Alltag") ironisch porträtierte: "Daß ich Karikaturist werden würde, ist mir an der Wiege gesungen worden. Lassen wir mal dahingestellt, von wem", sagte Poth, der sich im Gegensatz zu Pfarr immer zur politischen Karikatur bekannt hat und sich noch in seinen Sossenheim-Blättern verpflichtet fühlte, uns das Hässliche der Welt vor Augen zu führen. Es ist Ironie der Geschichte, dass ein erzwungener Umzug 1990 nach Sossenheim ihn zum satirischen Chronisten des ehemaligen, längst jedoch eingemeindeten Dorfes machte, das unter seiner Feder sowie unter dem Gernhardt-Motto "Dich will ich loben Häßliches, du hast so was Verläßliches" wuchs und gedieh: Kleingärten unterm Werbebanner, Spießer in Trainingshosen, kotendes Kleinvieh an der Leine - Sossenheim machte ihn berühmt und wurde tatsächlich seine letzte Station: Auch der Zöllner sei bedankt, in diesem Falle einen rücksichtslosen Makler, der ihn aus seiner Frankfurter Wohnung vertrieben hatte. Erst verbittert, dann produktiv die Herausforderung annehmend, schuf Poth "das böseste und genaueste Panoptikum des repressiven Alltags". Ein Foto seines Archivars Tom Hintner zeigt ihn, längst seinem Schicksal dankbar, mit seiner Frau Anna im Salon des alten Schulhauses zu Sossenheim, gemütlich in der Einrichtung sitzend - und dem Tod ins Auge blickend.

Nazi-Deutschland und der Alttagsmuff der verquasten Adenauerrepublik waren seine ersten Zielscheiben. Die eigene Zeichnertätigkeit begann mit einem Wilhelm-Busch-Sammelband, der den 14-jährigen Buben derart begeisterte, dass er sich - "in den langen und kalten Bombennächten der Jahre '44 und '45" - hingebungsvoll an die Entwicklung seiner Hand-, Mal- und Zeichenschrift machte: "Hoffentlich kommen heute Nacht wieder die Bomber, damit ich zeichnen kann." Der 1930 in Wuppertal geborene Multikünstler, seit 1962 (und bis zuletzt) Bartträger (oft sei er mit Karl Marx verwechselt worden, behauptet Oliver Maria Schmitt), gründete 1947 sein erstes Hausblatt, die Zeitschrift "Der Igel", an der Berliner Hochschule für Bildende Künste besuchte er die Zeichenklasse, in den 50er Jahren ging er nach Paris und 1958 veröffentlichte bei Bärmeier & Nikel sein erstes Buch: "Ganz moderne Zeiten". 1962 gab er der Welt "pardon", 1979 taufte er die "Titanic", den Komiktanker der Neuen Frankfurter Schule, die mit seinen Blättern an Bord große Fahrt aufnahm. Wie Bernd Pfarr krebskrank, zudem von einer unheilbaren Augenkrankheit geplagt, schrieb und zeichnete er an seinen Memoiren mit dem Eichendorff-Motto, mit dem dramatischen Verlust seines Augenlichtes hadernd. Das Alter war für ihn kein Spaß, hielt aber noch zahlreiche Ehrungen für ihn bereit: vor zwei Jahren den Binding-Kulturpreis, im vergangenen Jahr die Goethe-Plakette der Stadt Frankfurt.

Titelbild

Chlodwig Poth: Euch wird ich's zeigen. Ein Lebensbilderbuch mit Text.
Herausgegeben von Oliver Maria Schmitt.
Espresso Verlag, Berlin 2001.
160 Seiten, 10,00 EUR.
ISBN-10: 3885207761

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Titelbild

Chlodwig Poth: Aus dem Leben eines Taugewas. Erinnerungen.
Ullstein Verlag, Berlin 2002.
319 Seiten, 22,00 EUR.
ISBN-10: 3550075421

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Titelbild

Bernd Pfarr: Sondermann im Glück.
Zweitausendeins, Frankfurt a. M. 2002.
124 Seiten, 22,00 EUR.
ISBN-10: 3861504456

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