Illegitim?

Über die neue Diskussion um die Rechtschreibreform

Von Lutz HagestedtRSS-Newsfeed neuer Artikel von Lutz Hagestedt

Geht es beim neuerlichen Streit um die Rechtschreibreform um den Versuch, "einen demokratischen Prozess auszuhebeln", wie Klaus Heller, einer ihrer Väter, mutmaßt, oder geht es darum, eine durch "undemokratische[s] Verfahren" und "pragmatischen Zwang" herbeigeführte Maßnahme zurückzunehmen, wie Horst Haider Munske, einer ihrer Kritiker, argumentiert? Beide, wiewohl Sprachwissenschaftler, deuten auf das Verfahren, das der Umsetzung der Reform vorausging, und während der eine es als legitim bezeichnet, bezweifelt der andere seine Legitimität.

"Legitimation durch Verfahren" - mit dieser Formel versuchte Niklas Luhmann Ende der 60er Jahre, der im Habermas-Lager behaupteten generellen Wahrheitsfähigkeit politischer Urteile entgegen zu treten, indem er für ein im Grundsatz anderes Legitimitätsverständnis eintrat, das von faktischer politischer Konsensstiftung ausging und den Wahrheitsbegriff ausklammerte. Damit rückte Luhmann von der unterstellten grundsätzlichen Legitimierungsfähigkeit der Gesellschaft als ganzer ab - als legitimierbar galt ihm fortan nur diejenige politische Ordnung, die bindende Entscheidungen herbeiführen konnte, und bindend waren Entscheidungen dann, wenn die Entscheidungswege institutionalisiert waren: denn nur im institutionalisierten Verfahren mussten auch jene Parteiungen, die am Entscheidungsprozess teilnahmen, aber unterliegen konnten, vorbehaltlos bereit sein, die Entscheidung mitzutragen, gleichgültig, wie sie ausfiel. Die Formel, die Luhmann dafür fand - Systemaffirmation durch Teilnahme -, ist heute gelebte Praxis jeder Parteiendemokratie: Man stellt sich und sein Programm zur Wahl und akzeptiert das Ergebnis, mag man es auch innerlich nicht anerkennen können.

Im Zuge der Rechtschreibreform nun ist dieser Grundsatz der Zustimmung durch Teilnahme offensichtlich nicht oder nur teilweise zum Tragen gekommen, und dies wirft die doppelte Frage auf, die vielleicht auch die unerbittliche Haltung der Reformgegner deuten hilft, ob einerseits Aspekte der Rechtschreibregelung überhaupt in den Raum staatlicher Entscheidungen gehören - und wenn ja, ob die Kultusministerkonferenz dafür das richtige Gremium ist -, und andererseits, ob im konkreten Fall der Gesichtspunkt der Teilnahme bzw. Nichtteilnahme wesentlicher Gruppen, Institutionen und Verbände, darunter der Schriftsteller, der Verlage und der Akademien, nicht auch das Verfahren durch mangelnde Legitimation in Mitleidenschaft zieht. Denn die Gegner der Reform bestreiten, dass sie Teil des Verfahrens waren oder hinreichend Anteil an der Entscheidungsfindung hatten, und sie stellen damit auch in Abrede, dass sie sich der Umsetzung der Reform zu unterwerfen haben. Somit ist das politische Ziel, durch Verfahren die Akzeptanz inhaltlich offener Entscheidungen zu garantieren, verfehlt worden, gleichviel, ob man die neue Rechtschreibung im Ergebnis ablehnt oder begrüßt.

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