Literarische Moderne und Erster Weltkrieg

Arthur Schnitzler in dieser Zeit

Von Walter Müller-SeidelRSS-Newsfeed neuer Artikel von Walter Müller-Seidel

Die vielfältigen, zwiespältigen und noch längst nicht hinreichend erforschten Zusammenhänge zwischen literarischer Moderne und Erstem Weltkrieg werden im Frühjahr 1917 durch das Erscheinen eines deutschen Buches in ein helles Licht gerückt. Ein Berliner Professor jüdischer Herkunft, ein entschiedener Pazifist, der sich seit seiner Studentenzeit Georg Friedrich Nicolai nannte, veröffentlichte in dem ehrwürdigen Zürcher Verlag Orell & Füssli sein Buch mit dem Titel "Die Biologie des Krieges". Das Buch hätte in Deutschland erscheinen sollen, war schon ausgedruckt, wurde aber danach beschlagnahmt. Dem Schriftsteller Leonhard Frank, der zur Umgebung der expressionistischen Friedensbewegung gehörte, war es gelungen, einige ausgedruckte Exemplare in die Schweiz zu bringen; und nicht nur hier, sondern auch andernorts wurde das Buch sehr rasch zu einer Sensation. Die Verdienste Leonhard Franks an seinem Erscheinen sind nicht zu verallgemeinern; es gibt keinen pazifistischen Konsens innerhalb der modernen Literatur. Aber die Autoren, die im deutschen Expressionismus eine Art Friedensbewegung bilden, sind nicht zu übersehen. Über das Ausmaß dieser Aktivitäten und Initiativen sind wir durch das Buch "Engagierter Expressionismus" von Eva Kolinsky gut unterrichtet. Doch geht es in der Sache noch um einen anderen Zusammenhang: um einen solchen zwischen literarischer Moderne und moderner Naturwissenschaft, vor allem im Zeichen der Biologie, wie es im Titel des genannten Buches zum Ausdruck kommt. Sehr bald nach Ausbruch des Krieges, im Sommersemester 1915, hatte Nicolai ein Kolleg über den "Krieg als biologischen Faktor in der Entwicklung der Menschheit" angekündigt und ausgearbeitet. Der Darwinismus oder genauer: die Lehre Darwins in der Verzerrung, die wir Sozialdarwinismus nennen, steht zur Diskussion und wird in diesem Buch zur Rede gestellt. Als ein Vertreter der modernen Naturwissenschaft ist der Berliner Professor der Medizin von dieser Lehre fasziniert. Aber er bekämpft ihre Auswüchse und die eklatanten Fehlentwicklungen, die unübersehbar sind. Er bekämpft die längst in Weltanschauung erstarrte Devise vom Kampf ums Dasein und hält es mit dem russischen Denker Peter Kropotkin, der diesem ewigen Kampf das soziale Prinzip gegenseitiger Hilfe entgegensetzt, das auch unter Tieren gelte. In der Bekämpfung der Devise vom Kampf ums Dasein trifft er sich mit dem Professor der Biologie Oscar Hertwig, der als Schüler Ernst Haeckels gleichfalls vom Darwinismus herkommt und zur Bekämpfung seiner Fehlentwicklungen übergegangen war. Noch während des Krieges hatte er "Zur Widerlegung von Darwins Zufallstheorie durch das Gesetz in der Entwicklung" aufgerufen, wie der Untertitel seines zuerst 1916 erschienenen Buches "Das Werden der Organismen" lautet. In seiner 1918 veröffentlichten Schrift "Zur Abkehr des ethischen, des sozialen, des politischen Darwinismus" hatte er auf Zusammenhänge zwischen der zur Ideologie gewordenen Lehre vom Kampf ums Dasein und dem Ersten Weltkrieg aufmerksam gemacht und ausgeführt:

"Man glaube doch nicht, daß die menschliche Gesellschaft ein halbes Jahrhundert lang Redewendungen, wie unerbittlicher Kampf ums Dasein, Auslese des Passenden, des Nützlichen, des Zweckmäßigen, Vervollkommnung durch Zuchtwahl usw. in ihrer Übertragung auf die verschiedensten Gebiete wie tägliches Brot gebrauchen könne, ohne in der ganzen Richtung in ihrer Ideenbildung nachhaltiger beeinflußt zu werden."

Sozialdarwinismus und Erster Weltkrieg - das scheint mit Literatur nicht viel zu tun zu haben, mit weltgeschichtlichen Konstellationen und der sehr späten Einsicht der Historiker in diese Zusammenhänge weit mehr; denn die deutsche Geschichtswissenschaft hat erst gegen Ende der fünfziger und zu Beginn der sechziger Jahre unseres Jahrhunderts den Sozialdarwinismus als ein Symptom von weltgeschichtlichen Ausmaßen erfaßt und zu erforschen begonnen. In den Büchern des vorwiegend wirtschaftsgeschichtlich orientierten Historikers Fritz Fischer - "Griff nach der Weltmacht" (1961) und "Krieg der Illusionen" (1969) - wird das in Frage stehende Syndrom allenfalls am Rande erwähnt. Daß Denkhaltungen dieser Art, nicht nur in Deutschland, in das politische Handeln einwirkten, wird von heutigen Historikern zunehmend als selbstverständlich erachtet. In seiner Darstellung des deutschen Kaiserreichs führt Michael Stürmer mit Beziehung auf den Großadmiral von Tirpitz aus: "Er hatte Darwin gelesen und übertrug, wie es damals viele taten, dessen Lehre von der Unerbittlichkeit der Auslese auf die europäischen Groß- und Weltmächte. Er glaubte an Kampf und Krieg, und daß die kraftvolle deutsche Nation der altgewordenen britischen Zivilisation überlegen sei und dazu ausersehen, ihr Erbe in der Welt anzutreten."

Aber das sind späte Erkenntnisse der neueren Geschichtswissenschaft. Die Schriftsteller der Weimarer Republik, die in ihren Romanen die Vorkriegszeit erzählend aufzuarbeiten versuchten, haben Zusammenhänge dieser Art sehr viel früher wahrgenommen. Thomas Manns Roman "Der Zauberberg" und Heinrich Manns letzter Teil seiner Kaiserreich-Trilogie, sein Roman "Der Kopf", der eine eindrucksvolle Absage an den Kampf als dem Kernstück des sozialdarwinistischen Gedankengutes enthält, sind zu nennen. Ihr Weg in die Moderne ist im Unterschied zum Naturalismus von Anfang an mit einer Opposition gegenüber herrschenden Zeitströmungen verknüpft. Zu ihnen gehören die Degenerationslehren der Psychiatrie wie die Selektionslehren des Darwinismus. Auf den Vorwurf der Degeneration reagiert man mit einer Poesie der Décadence, des Verfalls oder den Motiven des willensgelähmten Menschen. Daher ist man vielerorts auch auf den Kampf als Krieg oder als einen solchen ums Dasein nicht besonders gut zu sprechen. Kampf, Krieg und Sieg, das sind bei nicht wenigen Schriftstellern der Moderne die Geschehnisse, von denen man sich kritisch distanziert. In Rilkes "Buch der Bilder" gibt es das Gedicht "Der Schauende", in dem von einem Engel die Rede ist, der so oft auf Kampf verzichtet und von Siegen nichts hält:

Die Siege laden ihn nicht ein.
Sein Wachstum ist: der Tiefbesiegte
von immer Größerem zu sein.

In der "Beschreibung eines Kampfes", einem der frühesten Prosatexte Kafkas, geht es nicht um Poetisierungen des Kampfes im Sinne des Naturalismus. Es ist vielmehr ein aufgezwungener Kampf, der beschrieben wird; Leiden stehen im Vordergrund, nicht Siege - wie ähnlich im berühmten Brief an den Vater. "Zwischen uns war es kein eigentlicher Kampf; ich war bald erledigt; was übrigblieb, war Flucht, Verbitterung, Trauer, innerer Kampf." Der sozialdarwinistischen Kampfesfreude mit dem Postulat vom Recht des Stärkeren, wie sie in Gedichten des deutschen Naturalismus verherrlicht werden, setzt man in der Literatur der Moderne eine Poesie der Müdigkeiten entgegen, von denen zumal die jungen Dichter heimgesucht werden. Davon handelt Hofmannsthals Gedicht "Manche freilich müssen drunten sterben". Jens Peter Jacobsen, der als Biologe von der Lehre Darwins herkommt und als Romanschriftsteller eine gänzlich andere Richtung eingeschlagen hat, hat in der Hauptgestalt seines Romans "Niels Lyhne" eine Verkörperung solcher Müdigkeiten geschaffen, in der sich die Schriftsteller der literarischen Moderne wiedererkennen. Erzählungen, die noch vor Ausbruch des Ersten Weltkriegs erschienen sind, ihre Helden, wie man früher sagte, sind für Kriegsdienste und Kampfeinsätze denkbar ungeeignet. Das gilt für den kleinbürgerlichen Michael Fischer in Döblins Erzählung "Die Ermordung einer Butterblume" ebenso wie für den unreifen und naiven Karl Roßmann in Kafkas Romanfragment "Der Verschollene"; und es gilt nicht minder für den im Großbürgertum zu Ansehen gelangten Gustav von Aschenbach in "Der Tod in Venedig". Für sie alle trifft zu, was Thomas Mann über diesen, über Gustav von Aschenbach, rückblickend gesagt hat: "Ich schuf mir einen modernen Helden, einen Helden des zarten Typs, den ich in früheren Werken schon sympathievoll gestaltet hatte, einen Bruder Thomas Buddenbrooks und Girolamo Savonarolas, einen Helden der Schwäche also ..." In dieser Literatur kann von einem auf den Krieg vorbereitenden Denken nicht entfernt die Rede sein. Zwar gibt es seit der Jahrhundertwende eine von der Moderne sich ablösende Literatur zweiten Ranges, man nenne sie völkisch oder Heimatkunst. Mit den Auffassungen der offiziellen Politik, mit Expansion, Kolonisation und nationaler Größe stimmt sie weithin überein. Gorch Focks Roman "Seefahrt ist not" (1912) gehört zu ihr, obwohl die Hauptgestalt des Buches ein Fischer ist, kein Krieger. Aber in Gustav Frenssens leichthin erzähltem Buch "Peter Moors Fahrt nach Südwest" mit dem Untertitel "Ein Feldzugsbericht" (1906) ist koloniales und imperiales Denken unverkennbar. Gegen moderne Großstädte wie gegen moderne Literatur zieht Friedrich Lienhard, ein Wortführer der Heimatkunst, in den Blättern "Wege nach Weimar" und andernorts zu Felde. Er preist die Kultur der Weimarer Klassik und des philosophischen Idealismus in ihrer Vorbildlichkeit für die Gegenwart als eine Kultur der Freude, der Güte und der Harmonie. Das wird beschworen und verkündet, als müsse es nur darum gehen, in eine vergangene Kultur zurückzukehren, um zu gesunden; und die Innerlichkeit, der er unablässig das Wort redet, steht der "Ausbreitung des politischen Deutschland zu Lande und zu See" nicht im Wege, wie er überzeugt ist. Sie sei "für die Entfaltung eines neuen deutschen Idealismus kein Hemmnis". Auch innerhalb der Moderne im engeren Sinn wird der anhaltende Frieden hier und da zum Ärgernis; man nimmt Verdrossenheit und Unbehagen wahr. In einem der namhaftesten Organe des deutschen Expressionismus, in Herwarth Waldens Zeitschrift "Der Sturm", erscheint 1911 Alfred Walter Heymels Gedicht "Eine Sehnsucht aus der Zeit", das mit dem Vers schließt:

"Wir sehnen uns, wir schreien nach dem Kriege."

Wie wenig solche Äußerungen dem wilhelminischen Zeitgeist entsprechen, zeigt sich am dichterischen Werk Georg Heyms, dem seinerseits der Friede unerträglich geworden ist, wie man in seinen Tagebüchern nachlesen kann. Dennoch ist sein großes Gedicht "Der Krieg", entstanden 1911, weit entfernt, das Geschehen zu verherrlichen, von dem es handelt. Sicher am schwierigsten hat man es mit dem lyrischen Werk Stefan Georges; denn Kampf und Krieg werden als poetische Metaphern wiederholt gebraucht. Im Versbuch "Der Stern des Bundes" werden "heiliger Wahnsinn", "heilige Sehnsucht" und "heiliger Krieg" beschworen, damit Reinigung sein kann. Aber der Krieg in diesem Gedicht ist nicht der Krieg der Regierenden, und mit dem Imperialismus des Kaiserreichs hat George nichts zu tun. Daß er dieser Seite nicht zugehört, verrät der nicht abgesandte Brief an Hofmannsthal vom 4. Dezember 1905, der den Deutschen eine "kräftige SEE-Schlappe" wünscht, damit sie wieder bescheidener denken lernen. Daß diese Linie der literarischen Moderne mit den zu ihr gehörenden Müdigkeiten bis unmittelbar vor dem Krieg eingehalten wird, ist den Briefen zweier ihrer Wortführer zu entnehmen. An Leopold von Andrian-Werburg schreibt Hofmannsthal am 24. August 1913: "Wir müssen es nun eingestehen [...], wir haben eine Heimat, aber kein Vaterland - an dessen Stelle nur ein Gespenst. Daß man für dieses Gespenst vielleicht einmal das Blut seiner Kinder wird hingeben müssen, ist bitter zu denken." Vollends entfernt von allem, was an Kriegsbegeisterung denken läßt, ist der Zustand Thomas Manns im November 1913 zu beschreiben. Das Jahr des nationalen Überschwangs im Zeichen der hundertsten Wiederkehr der Völkerschlacht bei Leipzig scheint offensichtlich spurlos an ihm vorübergegangen zu sein. Seinen von Müdigkeiten gezeichneten Zustand erläutert er in einem Brief an seinen Bruder Heinrich wie folgt: "Ich bin oft recht gemütskrank und zerquält... die immer drohende Erschöpfung, Skrupel, Müdigkeit, Zweifel, eine Wundheit und Schwäche, daß mich jeder Angriff bis auf den Grund erschüttert; dazu die Unfähigkeit, mich geistig und politisch zu orientieren... eine wachsende Sympathie mit dem Tode, mir tief eingeboren: mein ganzes Interesse galt immer dem Verfall, und das ist es eigentlich, was mich hindert, mich für den Fortschritt zu interessieren." Die "Betrachtungen eines Unpolitischen" werfen ihre Schatten nicht voraus, und daß bei Ausbruch des Krieges Wortführer der Moderne wie Thomas Mann, Hofmannsthal, Rilke, Musil oder Döblin, um nur sie zu nennen, wider Erwarten in den allgemeinen Jubelchor einstimmen, den es nicht nur in Deutschland gegeben hat, ist ein gravierendes Problem, dem nicht dadurch beizukommen ist, daß man Erkenntnis durch Entrüstung ersetzt. Das ist hier nur festzustellen. Die Erörterung der Ursachen solchen Geschehens ist ein Kapitel für sich.

Erschöpfung, Müdigkeit, Schwäche, Sympathie mit dem Tode, Verfall und die Zweifel am Fortschritt - die Positionen der literarischen Moderne als Opposition zu den Gesellschaften in Deutschland und Österreich können deutlicher kaum bezeichnet werden, als es in den hier zitierten Texten geschieht. Es sind die Begriffe derselben Zeitlage, in der auch Arthur Schnitzler als ein herausragender Autor dieser Moderne lebte und wirkte. Verfall, die Nähe zum Tod oder die Sympathie mit ihm sind kennzeichnend für die Autoren dieser neuen Literatur im ganzen. Aber die Grenzen solcher Sympathie, die Thomas Mann spätestens in seinem Roman "Der Zauberberg" setzt, sind im Falle Schnitzlers sehr viel früher erkennbar, und eigentlich von Anfang an. Das hängt zweifellos mit seiner beruflichen Herkunft zusammen. Er blieb als Schriftsteller von ärztlichem Denken auch dann noch bestimmt, als er den Beruf nicht mehr ausübte. Nicht erst im Krieg ist seine Gegnerschaft zum Töten bezeugt. Seine Einstellung zu ihm ist niemals wertneutral, gleichgültig oder nachlässig; sie wird stets der Kritik ausgesetzt. Das zeigt sich an denjenigen Texten immer erneut, in denen das Duell als ein gesellschaftlich obsolet gewordenes Ritual kritisch oder verächtlich dargestellt wird. Die Sinnlosigkeit eines Denkens, das auf Tötung anderer zielt, ist der durchgehende Tenor der zahlreichen Duellgeschichten, die es im Werk Schnitzlers gibt, in seinen Dramen wie in seinen Erzählungen. "Leutnant Gustl", "Das Vermächtnis", "Das weite Land", "Spiel im Morgengrauen", "Traumnovelle", "Der Sekundant" sind einige dieser Texte. Daß es Zusammenhänge zwischen dem Töten im Duell und dem Töten im Krieg gibt - und verwerflich ist aus seiner Sicht das eine wie das andere - ist in dem heute vergessenen Schauspiel "Freiwild" ausgeführt. In ihm rechnet sich der Arzt Albert Wellner als Verdienst zu, an der Genesung seines am Duell beteiligt gewesenen Freundes mitgewirkt zu haben. Als er aber hört, daß sich dieser einem erneut bevorstehenden Zweikampf zu entziehen gedenkt, ist er entsetzt. In der Gesellschaft, in der solches weiterhin geschieht, sind Duelle, für den Offizier wie für den Arzt, notwendige Vorübungen zum Krieg, und die gesellschaftskritische Ironie ist in der Rede einer Figur unüberhörbar, wenn gesagt wird: "Was fängt so ein Mensch in ewiger Friedenszeit mit seinem Temperament an? Wo soll er hin damit? Es ist ja wahr, solche Leut' wie der Karinski sollen Soldaten sein, aber für solche Soldaten gehört der Krieg, sonst haben sie überhaupt keine Existenzberechtigung." Daß Krieg vielerorts in seinen Texten hineinspielt, nimmt Schnitzler eines Tages, etwas verwundert, wahr. "Sonderbar ist ja, daß fast in alle meine Stoffe die vor Juli 1914 bereit lagen, Krieg hineingespielt hat ...", heißt es 1916 in einem Brief an die Schwägerin Elisabeth Steinrück. Aber das geschieht kaum je ohne Ironie und kritische Distanz, was Theodor Reik, der 1913 ein Buch über Schnitzler veröffentlicht hat, völlig verkennt, falls er es nicht verkennen will. Im "Berliner Tageblatt" vom 7. September 1914 veröffentlicht er den Artikel "Der Krieg bei Arthur Schnitzler", der die kritischen Akzente seiner Werke weithin unterschlägt. Um der Psychoanalyse willen, die Reik in seinem Buch am Werk wie an der Person Schnitzlers praktiziert, geht es ihm offensichtlich darum, den von ihm geschätzten Dichter auch in Kriegszeiten aktuell erscheinen zu lassen, um auf diese Weise der Verbreitung Schnitzlers zu dienen. Daß dieser sehr gelassen reagiert, nachdem er den Artikel gelesen hat, ist eigentlich erstaunlich. Die Helden der Schwäche, von denen Thomas Mann mit Beziehung auf Gustav von Aschenbach im "Tod in Venedig" gesprochen hat, gibt es im Werk Schnitzlers in großer Zahl. Aber zumal in Kriegszeiten benötigt der Staat heldische Menschen - nicht nur zur Rekrutierung seines Heeres, sondern auch als Vorbilder in der Literatur, wenn diese aus der Sicht der Regierenden ihre Existenzberechtigung behalten soll. Schnitzler aber ist nicht bereit, um des Krieges willen seine Schreibart zu ändern. Er sieht sich außerstande, den Kriegführenden entgegenzukommen und ihnen dienstbar zu sein. Es kann nicht ausbleiben, daß er mitsamt dem Ensemble seiner Figuren unzeitgemäß wird.

Das zeigt sich überdeutlich an einem Stück, das noch vor Ausbruch des Krieges abgeschlossen worden war und in den ersten Kriegsjahren an verschiedenen Bühnen aufgeführt wurde. Es handelt sich um ein Drama, das den österreichischen Aufstand gegen Napoleon im Jahre 1809 behandelt - ein Kriegsstück, mit anderen Worten, nur eben kein Heldenstück. Zu sprechen ist über Schnitzlers historisches Drama "Der junge Medardus". Mit ihm begibt sich der Autor zahlreicher Vorstadtstücke in das ehedem so ehrwürdige Gebiet der Geschichtsdichtung, in dem Autoren deutscher Sprache wie Stifter, Conrad Ferdinand Meyer, Storm, Fontane oder Raabe gern eingekehrt waren. Schnitzler wendet sich diesem Genre in einer Zeit zu, in der es geschichtskritische Texte wie Döblins "Wallenstein" oder Roths "Radetzkymarsch" noch nicht gibt. Aber wie bei diesen Autoren macht die Geschichte in Schnitzlers Drama keine gute Figur. Sie erscheint als ein Feld undurchdringlicher und undurchschaubarer Machenschaften, Ränke und Intrigen, angeführt von einer rücksichtslosen und nur ihren eigenen Interessen nachjagenden Prinzessin. Napoleon bleibt im Hintergrund und ist hier keineswegs derjenige, der Geschichte macht; so wenig wie er die leibhaftige Verkörperung des Bösen ist oder als Erzfeind aller Deutschen so kurz vor dem Krieg dargestellt erscheint. Ihn zu ermorden, ist dem jungen, zum Helden vorbestimmten Medardus aufgetragen, dem Sohn einer Buchhändlerswitwe, die sich in patriotischer Begeisterung verfängt und nichts mehr wünscht, als daß ihr Sohn der Heldenrolle gerecht wird, die ihm zugedacht ist. Aber hierzu scheint keine Figur des Stückes weniger geschaffen zu sein als eben der junge Medardus, den der eigene Onkel gelegentlich einen Wirrkopf nennt. Will er sich zunächst dem Kriegsdienst überhaupt entziehen - "Rück' du für mich zum Bataillon" -, so gerät er alsbald in die Fänge der intriganten Prinzessin, die er schließlich ersticht, weil er sich hintergangen fühlt, bis er im Selbstopfer zur Erkenntnis kommt. "Gott wollte ihn zum Helden schaffen, der Lauf der Dinge machte einen Narren aus ihm", so das Resümee am Schluß des Dramas. Er wird also gerade nicht der Held, der er werden sollte, es sei denn, man zieht es vor, ihn den Typus des Antihelden zu nennen, wie ihn die moderne Literatur kennt. Das Stück handelt von Krieg und Aufstand, indem es die Beweggründe solchen Handelns aufdeckt und desillusioniert. Es demontiert den traditionellen Heldenbegriff wie das damals noch herrschende Geschichtsdenken im Sinne des Historismus, und was er ihren Vertretern vorhält, ist in den Aufzeichnungen über den Krieg als Frage an die Historiker formuliert: "... habt ihr nicht aus der Geschichte der Welt eine Geschichte der Schlachten gemacht, des Kampfes, statt eine Geschichte des Geistes?" Man denkt an die Vorhaltung, die Walter Benjamin den Historikern macht:

"Die Natur dieser Traurigkeit wird deutlicher, wenn man die Frage aufwirft, in wen sich denn der Geschichtsschreiber des Historismus eigentlich einfühlt. Die Antwort lautet unweigerlich in den Sieger. Die jeweils Herrschenden sind aber die Erben aller, die je gesiegt haben. Die Einfühlung in den Sieger kommt demnach den jeweils Herrschenden allemal zugut."

Schnitzlers 1909 abgeschlossenes Drama stellt Kriegsgeschehen dar, indem es vor solchem Geschehen warnt. Der sich aus dem allgemeinen Taumel heraushebt, ist ein Sattlermeister, der nie den Verstand verliert und der Zweifel und Zagen ehrliche Kinder der Klugheit nennt - ein Skeptiker mithin, dessen Geistesverwandtschaft mit dem Autor des Dramas nicht zu übersehen ist. Erst nach dem Krieg wurde die Warnung begriffen, die mit diesem Stück beabsichtigt war. In der Zeit der umnebelten Sinne wußte man wenig mit diesem Drama anzufangen; man fand es unzeitgemäß. Als das Stück im Jahre 1922 erneut gegeben wurde, vernahm man die Warnung, die es enthielt. Leopold Jacobson veröffentlichte im Anschluß an diese Aufführung eine Besprechung im "Neuen Wiener Journal" und schrieb: "... vor zwölf Jahren, ehe Krieg war, schilderte Schnitzler vorausahnend, mit dem zweiten Gesicht begabt, Kriegsstimmungen von heute; erschaute den echten Mitläufer, den ins Elend geratenen, lästig gewordenen Invaliden; die Hungerstimmung; den Charakterwandel, die Resignation."

Die schwache Resonanz der Aufführung des "Medardus" im Berliner Lessingtheater im Oktober 1914 und die damit verbundenen feindseligen Angriffe geben Schnitzler zu denken. Seine Schriftsteller-Existenz sieht er in Frage gestellt. In einem leidenschaftlich bewegten Brief an seine Schwägerin Elisabeth Steinrück vom 22. Dezember 1914 gibt er sich Rechenschaft über seine schriftstellerische Tätigkeit in einer Zeit wie dieser. Das geschieht in solcher Ausführlichkeit zum ersten Mal. Der in Frage gestellte Heldenbegriff steht im Zentrum der bekenntnishaften Ausführungen, um die es sich handelt. Immer erneut bekäme man von dem Rezensentenvolk den alten Heldenbegriff aufgetischt, schreibt Schnitzler gleich zu Eingang dieses Briefes:

"- als wär es wirklich und wahrhaftig das Wesen des Helden... schon im ersten Akt zu wissen, was er im letzten Akt für einen Heldentod sterben wird und sich in der Zwischenzeit wie ein eigensinniger scheuklappiger Narr zu geberden, der nichts vor sich sieht als sein Ziel, während er doch erst dadurch interessant wird, dass er dieses Ziel immer wieder aus den Augen verliert, dass er zaudert, dass er schwankt, dass er irrt - dass er das Leben mehr liebt als den Tod - dass er also im Sinne germanistisch-reporterhafter Weltanschauung überhaupt kein 'Held' ist."

Es folgt der Passus, der die Schreibart Schnitzlers und seine Zuordnung zur Moderne aufs genaueste bezeichnet:

"Aber ich gerathe ins Allgemeine, und will nur noch sagen, dass der Medardus mir weniger 'Fragezeichen' zu enthalten scheint als die meisten meiner andern Stücke, dass ich aber nach wie vor lieber Fragezeichen dichten werde als Ausrufungszeichen."

In einem Brief vom 25. Juli 1915 behandelt er dasselbe Thema mit souveräner Ironie. Die in Wien erscheinende "Reichspost" hat sich wieder einmal über Schnitzler empört. Sie ist aufgebracht darüber, daß Wiener Stücke wie "Der junge Medardus" immer nur problematische, zerrissene und entwurzelte Menschen auf die Bühne bringen. Die Gegner Österreichs würden auf solche Weise, so meint man, in dem Glauben bestärkt, man habe es mit einem entnervten Volk zu tun. Schnitzlers ironische Pointe zu solchen höchst merkwürdigen Unterstellungen ist diese: "Also der Weltkrieg ist so entstanden: Frankreich, England u Rußland haben den Medardus gelesen und sich gedacht: Jetzt ist der Moment, Oesterreich zu zertrümmern". Es ist wohl klar, daß es in solchen Rechenschaftsberichten nicht allein um den Helden im Geschichtsdrama "Der junge Medardus" geht, sondern um den problematisch gewordenen "Helden" im Werk Schnitzlers wie in der literarischen Moderne im ganzen. Das Bild des zerrissenen und entwurzelten, des in der Sicht der Kritiker degenerierten Menschen, das die veröffentlichte Meinung Schnitzler und der Moderne vorhält, nimmt die in diesem Bild enthaltene Gesellschaftskritik nicht wahr; und wenn sie es dennoch tut, ist man ungehalten, daß es sie überhaupt gibt. Wortführer in Literatur- und Theaterkritik sind unvermögend, die Berechtigung dieser Kritik zu erfassen; und zumal im Krieg erscheint sie ihnen deplaciert und unannehmbar. Im Hinblick auf Schnitzlers Werk bleibt darüber hinaus anzumerken, daß die Darstellung vermeintlicher Liebeleien oder die seelischen Nöte junger Frauen ebenso dem auf Kampf und Krieg gerichteten Denken entgegengesetzt sind wie das Geschichtsdrama "Der junge Medardus", das den Krieg thematisiert und desillusioniert. Wenn die Tagebücher in der Zeit vor dem Ersten Weltkrieg immer erneut von privaten Vorkommnissen sprechen, könnte der Eindruck entstehen, als entgehe die Weltgeschichte seiner Wahrnehmung und als gehöre auch er zu jener Menschenart, die man nachträglich und rückblickend die Schlafwandler genannt hat. Aber dieser Eindruck täuscht. Weder entgeht Schnitzler, was geschehen könnte, noch läßt er sich je herbei, den Krieg um der Höherentwicklung der Menschheit, sozusagen aus Gründen der Evolution, zu rechtfertigen. Auch die literarischen Werke, die den Krieg darstellen, um vor ihm zu warnen, entgehen ihm nicht. Als ein solches liest er Ricarda Huchs Darstellung des großen Krieges in Deutschland und notiert: "Beginne zu lesen Ric. Huch, Der große Krieg in Deutschland. -" So auch in einem späteren Notat: "Huch gelesen (bewundernd)"; und schließlich zum Abschluß dieser Lektüre: "Den großen Krieg von Ric. Huch ausgelesen; bedeutender Eindruck -" Erst recht bleibt ihm das Werk nach Ausbruch des Krieges wichtig, und daß es nun auch von dem Freund Jakob Wassermann bewundert wird, der es zuvor ungelesen als "Weiberschreiberei" abgelehnt habe, wird mit Genugtuung vermerkt. Auch der Besuch der Baronin Suttner im Oktober 1913 ist in diesem Zusammenhang anzuführen. Sie war durch ihren pazifistischen Roman "Die Waffen nieder!" berühmt geworden und hatte 1905 den Friedensnobelpreis erhalten. Das Notat hört sich distanziert an: "Über die Friedensfrage. Sie glaubt, in 100 Jahren gibts keine Kriege mehr. Ich glaube, in 100.000. -" Aber die Vorbehalte gelten offensichtlich weniger der Sache als den Illusionen über sie und mehr noch der Person und ihren ideologisch gefärbten Glaubenssätzen, wie einer späteren Eintragung im Tagebuch zu entnehmen ist: "Zum Thee kam Baronin Suttner. Über die neuen Kriegsdrohungen. Sie ist eine gute, aber doch wohl im Grunde banale Person - wie es Menschen, die berufsmäßig 'an etwas glauben' müssen - und gar 'an den Sieg der Vernunft -' ergehen muss. -" Es ist bezeichnend, daß in der "Friedensschrift", die ja niedergeschrieben wurde, damit sie einmal veröffentlicht werden kann, alle bloß subjektiven Eindrücke ausgespart werden, als käme es jetzt vornehmlich darauf an, Person und Werk dieser Frau objektiv zu würdigen. Ein eigener Abschnitt mit der Überschrift "Suttner" ist ihr vorbehalten: "Und wieviel muß ich, müssen viele, die ihre Sehnsucht, wenn nicht auch ihren Glauben teilten, in diesen ungeheueren Tagen ihrer denken, die sie nicht mehr erleben sollte, vielleicht nicht mehr erleben wollte - wenn wir annehmen dürfen, daß in hohen Seelen auch ein höherer Wille ahnungsvoll unbewußt waltet." Die Illusion, daß der Krieg eine Steigerung menschlicher Fähigkeiten mit sich bringen könnte, ist Schnitzler ganz fremd. Aber auch die andere Illusion, daß man nur Vernunft walten lassen müsse, um den Krieg ein für allemal aus der Welt zu verbannen, macht er sich nicht zu eigen. Vor jeder Illusion, welche es auch sei, wird er durch seine friedenstiftende Skepsis bewahrt; und sie auch ist es, die ihn davon abhält, sich in den Jubelchor bei Ausbruch des Krieges einzureihen.

Von diesem Ereignis konnte man bei nüchterner Einschätzung der Lage kaum überrascht sein. Dennoch hatte man so mit ihm noch nicht gerechnet, als es eintrat. Nur so ist es zu erklären, daß man sich hinsichtlich der anstehenden Sommerreisen keinen Zwang auferlegte. Die Familie Schnitzler hatte die benachbarte Schweiz gewählt und sich im Engadin, mit wechselnden Aufenthalten in Pontresina und St. Moritz, einquartiert. Seit den letzten Julitagen registriert das Tagebuch Beunruhigung und Ungewißheit, Kriegsgefahr und Kriegsgespräche - bis es am 5. August soweit ist: "Im Hotel Nachr. von der Kriegserklärung Englands an Deutschland! - Der Weltkrieg. Der Weltruin. Ungeheuere und ungeheuerliche Nachrichten. -" Die Eintragung spricht für sich, und sie macht dem Schriftsteller wie dem Arzt alle Ehre. Die anderen aber, die das Weltereignis auf ihre Art feiern, nennt er die Kriegsschwärmer. Ihnen allen gibt er im März 1916 rückblickend in einem bewegend leidenschaftlichen Appell zu bedenken: "Und Ihr, die Ihr zu Beginn des Krieges jubelnd ins Feld hinauszogt und begeisterte Briefe nach Hause schriebt und heute, wenn Ihr indes nicht gefallen oder Krüppel oder irrsinnig geworden seid, das Ende herbeisehnt und Euren Ekel, Euer Grauen, Euren namenlosen Zorn ob der sinnlosen Menschenschlächterei in die Welt schreit, habt Ihr damals, als Ihr begeistert hinauszogt, wirklich nicht gewußt, was der Krieg ist?" Zu denjenigen, die von alledem nichts wußten, aber davon hätten wissen können, rechnet Schnitzler auch Gerhart Hauptmann und notiert im Tagebuch: "Über die Dummheit deutscher Dichter. Hauptmann (O. sprach ihn bei Alma Mahler) der den Krieg gut findet, weil er 'ungelüftete Stuben' nicht mag..." An dieser Auffassung, daß allen Aufwertungen des Krieges zu widersprechen sei, hält Schnitzler konsequent fest. Ein Schriftsteller - Leo Feldt - besucht ihn im März 1915, einer derjenigen, die für Aufwertungen sind, so daß die Eintragung nicht gerade schmeichelhaft ausfällt; sie lautet: "Er spricht Platitüden über die sittlichen Steigerungen durch den Krieg." In der Friedensschrift erhält die Widerrede gegen die vermeintlich sittlichen Steigerungen durch den Krieg eine fast leitmotivische Bedeutung, wenn es schon im Januar 1915 heißt:

"Viele Feuilletonisten finden, daß die Menschheit nach diesem Kriege irgendwie gereinigt und geläutert sein werde. Die Gründe für diese Annahme sind unklar: keiner der Kriege, die bisher in der Welt geführt worden sind, hat diese Folge gezeitigt... wer werden die Geläuterten sein? Die ein Bein verloren haben oder ein Auge? Oder die Eltern, die ein Kind, die Frauen, die ihren Mann verloren haben? Oder die Leute, die zu Grunde gingen? Oder die Leute, die durch Armeelieferungen Millionen verdient haben?"

Ehe sich die kriegsverherrlichende Literatur in der Weimarer Republik zu Wort meldet - unüberhörbar schon zu Anfang der zwanziger Jahre mit den Kriegsbüchern Ernst Jüngers; mit deutlichen Übergängen zu dem völkischen Ideengut des Nationalsozialismus am Ende dieses Jahrzehnts in Büchern von Franz Schauwecker, Richard Euringer, Werner Beumelburg, Hans Zöberlein oder Josef Magnus Wehner -, läßt Schnitzler in diesem Punkt nicht mit sich reden. Gegen sie alle ist das Postulat gerichtet: "Notwendig ist auch der Kampf gegen die Literatur, die den Krieg verherrlicht." Die Phrase von der läuternden Kraft des Krieges wird mit dem Argument bestritten: "Alles, was innerhalb des Krieges lobenswert ist, läßt sich auch innerhalb anderer Gebiete erreichen. Wut, Aufopferung, Abenteuer usw." Dagegen das Verwerfliche, das nur im Krieg vorkommt: "Mord, Verstümmelung, Raub, Plünderung, Seuche, Blindheit, Läuse, Vergiftung, lebendiges Verbrennen, Ersticken, Verdursten und noch hundert andere, die nun plötzlich, da die Schale endlich zerbrochen ist, wie böse Insekten durch die Luft fliegen und die Atmosphäre verdunkeln?" Auch durch Autoritäten der deutschen Geschichte läßt sich dieser Arztschriftsteller nicht einschüchtern. Gegen den preußischen General Carl von Clausewitz und seine Gedanken über Krieg und Kriegführung begehrt er auf: "Der Satz von Clausewitz, daß Krieg nichts anderes sei als die Politik mit andern Mitteln ist geistreich, also halbwahr, also gefährlich, also Unsinn." In einem Brief an seine Frau vom 22.5.1916 kommt er auf das geflügelte Wort des preußischen Generals zurück und fragt: "Kennst Du den Clausewitzschen Satz: 'Krieg ist Politik - nur mit andern Mitteln.' - Wer ihn noch einmal citirt, müßte sofort in den Schützengraben." Solchen Verwerfungen kann man unhistorisches Denken vorhalten, weil dem Krieg um 1832, als Clausewitz das Wort in seinem Buch "Vom Kriege" veröffentlichte, eine andere Bedeutung zukam als jetzt, 1916. Das Denken der Reformer um den Freiherrn von Stein, zu denen auch der General Carl von Clausewitz gehört, ist gegen die rigide Macht- und Eroberungspolitik Napoleons gerichtet und als Widerstandsrecht begründbar. Für die Positionen Steins und seiner Mitstreiter ist Verstehen aus der Zeitlage heraus angezeigt. Aber ein anderes ist es, wenn man Ideen wie die des Generals von Clausewitz aus der Zeitlage herauslöst, um sie für die Gegenwart verfügbar zu machen und zu instrumentalisieren. Eben dies geschieht, wenn im Kriegsjahr 1915 eine Auswahl aus den Schriften des Generals für die Leser der Gegenwart zubereitet wird. Sie erscheint als Nummer 169 der Insel-Bücherei in einer Auflage von 1000 Exemplaren; und auch 1938 ist derselbe Verlag mit diesem Insel-Buch zur Stelle. Es erscheint nunmehr im 40., 1941 im 50. und 1943 im 70. Tausend. Dieselbe Insel-Bücherei, die mit Clausewitz und seinen "Grundgedanken über Krieg und Kriegführung" aufwartet, war bis Ausbruch des Krieges eine einzigartige Schatzkammer der europäischen Moderne mit Autoren wie Rilke, Verhaeren, Hofmannsthal, Jacobsen, Whitman, Verlaine, Oscar Wilde oder Baudelaire. Aber mit Beginn des Krieges schaltet der Verlag um: nun wird auch die Insel-Bücherei militant mit Ausgaben wie "Deutsche Kriegslieder", Kleists "Hermannsschlacht", Ernst Moritz Arndts "Katechismus für den deutschen Kriegs- und Wehrmann", mit "Liedern der Landsknechte" und anderer Literatur, von der der verantwortliche Verleger gemeint zu haben scheint, daß sie zur Wehrertüchtigung beitrage. Ein großer, der literarischen Moderne dienender Verlag stellt sich in den Dienst der Kriegspropaganda; denn um eine solche, obgleich im sublimen Sinn, handelt es sich doch wohl. Einer solchen Umstellung verweigert sich Schnitzler. Er weigert sich gegenüber Moritz Benedikt, dem Redakteur der "Neuen Freien Presse", sich über den Krieg zu äußern. Wenn er dennoch über ihn handelt wie in der gedachten Friedensschrift, sind seine Aussagen nicht zur Veröffentlichung geeignet, sofern sie nicht von vornherein dem Verdikt der Zensur zum Opfer fallen, wie es geschehen würde, wenn Aufzeichnungen wie diejenigen vom Januar 1915 in den Druck gingen: "Das einzige, was dem Krieg eignet, ist die Wunde, die sinnlose Wunde im Körperlichen, und die Feindseligkeit, die sinnlose Feindseligkeit, d. h. die Feindseligkeit zwischen Menschen, die einander als Individuum ohne Haß, ja, vielleicht mit Liebe gegenüberständen." Diese Konsequenz der Verweigerung ist einzigartig und in der Radikalität, in der sie sich äußert, am ehesten mit Schnitzlers Widersacher Karl Kraus vergleichbar, der nobel genug war, Schnitzlers Schweigen anzuerkennen. In den Dezember 1917 ist das Spruchgedicht zu datieren, das mit dem Namen Schnitzlers überschrieben ist und Hochschätzung in diesem Punkt bezeugt:

Sein Wort vom Sterben wog nicht schwer,
Doch wo viel Feinde, ist viel Ehr:
er hat in Schlachten und Siegen
geschwiegen.

Dennoch wird Schnitzler eines der ersten Opfer einer rücksichtslos mit Lügen operierenden Kriegspropaganda.

In einem gefälschten Interview, das im Herbst in einer St. Petersburger Zeitschrift erscheint, werden ihm herabsetzende Äußerungen über Tolstoi, Anatole France, Shakespeare und Maeterlinck unterstellt. Er setzt sich sofort mit Romain Rolland in Verbindung, der eine französische Übersetzung des von Schnitzler verfaßten Protests herstellt, die im Dezemberheft des "Journal de Genève" unter dem Titel "Une protestation d'Arthur Schnitzler" erscheint; und Rolland setzt der Publikation eine Vorbemerkung voran, in der es heißt:

"Der berühmte Wiener Romancier Arthur Schnitzler ist eines ihrer Opfer [des Hasses]. In russischen Zeitungen hat man ihm gerade die sonderbarsten Bemerkungen über die Meister der russischen, englischen und französisch-belgischen Literatur zugeschrieben. Er schreibt uns, um sie zu dementieren. Er beteuert, daß kein Krieg die Unparteilichkeit seines Denkens und sein gerechtes Urteil über die Werke erschüttern könne. Es ist für uns eine brüderliche Pflicht, seinen Protest zu veröffentlichen ..."

Auch mit Stefan Zweig setzt er sich in Verbindung und schließt seinen Brief vom 2. Dezember 1914 mit den denkwürdigen Sätzen:

"So mag denn die leidige Angelegenheit für diesmal als abgetan gelten. Doch später einmal, wenn der Friede wieder da ist, wollen wir uns mit schmerzlichem Staunen erinnern, daß es eine Zeit gab, in der wir genötigt waren, über die Grenzen hinüber einander die Versicherung zuzurufen, daß wir trotzdem Gerechtigkeit, Urteil und Dankbarkeit niemals verlernt; daß wir, um es kurz zu sagen, auch in dieser ungeheueren Epoche der Verwirrung niemals gänzlich den Verstand verloren hatten."

In der deutschen Publizistik erscheint Schnitzlers Protest im Dezemberheft der von Wilhelm Herzog herausgegebenen Zeitschrift "Forum". Aber die Angelegenheit ist für Schnitzler nicht so leicht abgetan. Noch 1921 kommt er im Brief an Maxim Gorki auf sie zurück, spricht von einer "geradezu ungeheuerlichen Albernheit" und fürchtet, sein Protest könnte in Rußland nicht hinreichend verbreitet worden sein. Diese Lügenpropaganda, der sich nahezu alle kriegführenden Staaten Europas schuldig gemacht haben, ist es nicht wert, daß man ausführlich bei ihr verweilt; denn was hier vorgebracht wird, ist frei erfunden. Dagegen ist eine anders beschaffene Propaganda nicht zu übergehen. Sie ist gegen den Schriftsteller Schnitzler gerichtet im Versuch, mit ihm zugleich die literarische Moderne zu treffen, die den Kriegszielen der Regierenden im Wege steht; und daran ist Antisemitismus maßgeblich beteiligt. Von "antisemitischen Verdrehungen, Begeiferungen und Verleumdungen" ist in einem Brief vom 27. Januar 1915 die Rede. Der Widerstand gegen ihn nehme zu, notiert sich Schnitzler 1916: es komme ihm vor, als benutze man den Weltkrieg, um gegen ihn vorzugehen. Daß dieser Dichter nicht für den Weltkrieg schreibt, wird ihm von der im Dienst der Propaganda tätigen Presse nicht verziehen. Wenn sie mit Schnitzler abrechnet, so zumeist auch mit der literarischen Moderne im ganzen - wie 1916 in einer Rezension anläßlich einer Aufführung der "Komödie der Worte" in Hamburg. Schnitzler notiert: "... der insolent alberne Ton der Kritiker, die mich mit dem 'Weltkrieg' erschlagen. Ein Citat für hundert: A. S. ist der Dichter der Zeit vor dem Kriege ... einer Zeit, die an Übersättigung Gefallen fand ... Dekadenz ... drei einaktige Sünden - Verlogenheit ..." Die Zeit vor dem Krieg: das ist die Zeit der Moderne, ihrer Entstehung und Ausbreitung, und gelegentlich wird auch speziell die Wiener Moderne von reichsdeutscher Seite zur Rede gestellt, wenn wir allen Ernstes in einer Kölnischen Zeitung lesen: "... sind nicht jene Documente eines wienerischen Literatentums und jener ... Geschmäcklerkunst ein Beweis dafür, dass unser trefflicher Bundesbruder in diesem Weltkrieg auch einer innern Reformation an Haupt und Gliedern bedarf, um fortan im Geiste einer neuen deutschen Weltkultur ernsthaft bestehen zu können." Der hochfahrende und belehrende Ton in diesem Artikel der Kölner Presse ist unüberhörbar. Aber auch im eigenen Lande hat er sich solcher Angriffe zu erwehren. Und doch waren beide Länder, Österreich wie das Deutsche Reich, die Länder seiner Sprache, denen er sich als Schreibender weiterhin verbunden fühlte. Daß er in solcher Verbundenheit dem Staat, dessen Bürger er war, den Vorzug gab, ist für ihn keine Frage. Aber welche Verbundenheit es auch sei - so oder so gerät er in einen Zwiespalt von beträchtlichem Ausmaß. Er beruht darin, daß er als Schriftsteller für sein Land eintritt, um doch gegen den Krieg zu sein, den dieses Land führt und zu verantworten hat. Eine Parteinahme für die Kriegsgegner Österreichs oder des Deutschen Reiches lag gänzlich außerhalb seines Denkens. Aber daß er aufgrund seiner Kriegsgegnerschaft gegen beide Seiten hätte sein müssen, wenigstens gegen die Regierungen dieser Staaten, vertieft den Zwiespalt, wie sich an der Schuldfrage zeigt; und es ist diese Frage immer erneut, die seine Reflexionen über den Krieg begleitet.

Obwohl Schnitzler als einer der wenigen Schriftsteller der Moderne eben diesen Krieg von Anfang an verurteilt, erklärt er sich mit Österreich wie mit Deutschland solidarisch. Im Brief an einen Freund vom 23. September 1914 äußert er sein Entsetzen über die Art, wie man in neutralen Ländern über Österreich und Deutschland herfalle:

"Es sind uns hier so ungeheuerliche Lügen bekannt geworden, die nicht nur in der Presse der mit uns im Krieg befindlichen, sondern auch der soit disant neutralen Länder über Deutschland und Österreich umlaufen, daß man wohl auch die Existenz von Gerüchten vermuten darf, die gar nicht an unsere Ohren dringen."

Er äußert sich ähnlich in einem Brief an Georg Brandes vom 20. Oktober 1914: "Wir sind hier jedenfalls immer wieder von Neuem starr über die ungeheuerlichen Lügen, die in der ausländischen Presse... von den Zuständen unseres Landes verbreitet werden." Trotz unveränderter Kriegsgegnerschaft gibt es keine feindseligen Äußerungen gegenüber dem eigenen Land. Höchst aufschlußreich liest sich in diesem Zusammenhang die Aufzeichnung, die sich auf einen Besuch bei dem mit ihm befreundeten Schriftsteller Richard Beer-Hofmann bezieht, der wie er selbst ein Bürger Österreichs jüdischer Herkunft war und der den durch den Krieg bedingten Zwiespalt ähnlich erfahren zu haben scheint:

"Nach Tisch bei Richard, im Garten mit ihm, der blühende Flieder. Wir empfinden die Demütigung, die Oesterreichs abgewiesene Anerbieten bedeuten; - empfinden das Schicksal dieses Landes so tief wie andre, tiefer vielleicht. Wie verwurzelt ist man doch mit dem Land, das einen geboren! Was gehn uns am Ende die Mitbürger, die Diplomaten, die Monarchen an? Das Land! Die Heimat! -"

In solcher Zuwendung zu den Ländern der eigenen Sprache ist die jüdische Herkunft alles andere als zweitrangig. Nicht selten handelt es sich um bekenntnishafte Aussagen, die im Bewußtsein niedergeschrieben werden, daß man hier wie dort wenig Wert auf sie legt. Wo Schnitzler auf Fragen wie diese in den Aufzeichnungen zu sprechen kommt, sind tragische Töne zu vernehmen:

"Und nun erlebe ich als Deutscher, als Angehöriger des deutschen Volkes, mit Millionen anderen Deutschen, mit Hunderttausenden, die mich nicht zu den ihren rechneten... nun erlebe ich es wieder, daß ich mich frage, zusammen mit jenen, die mich nicht zu den Ihren rechneten: Warum kennt ihr uns nicht? Warum wollt ihr uns nicht kennen? Und diese Frage geht weit in die Welt hinaus, nach allen Himmelsrichtungen in denen die Nationen, die Völker, die Staaten leben, die sich nicht nur mit kriegerischem Haß, nein, auch mit genährtem Widerwillen gegen das große Deutschland wenden, in dem ich, ein Abkömmling jüdischer Rasse, ein Österreicher, mich jederzeit als dazugehörig, gleichberechtigt und mitverantwortlich gefühlt habe."

Ein bewegender Text! Auch aus Gründen eines so beschaffenen Zwiespalts wird die Frage der Schuld lange Zeit nicht aufgeworfen. Auf keinen Fall ist Schnitzler bereit, eine Alleinschuld Deutschlands oder Österreichs zu akzeptieren. Er nimmt Kriegstreiberei in Italien wahr und äußert sich hierüber indigniert: "Wuth und Ekel über Italien bis zu Thränen." Gegenüber dem Haß Poincarés als eines Schuldigen ist er geneigt, selbst den deutschen Kaiser noch in Schutz zu nehmen; schon in einer früheren Notiz war er gar der "Hassenswürdigste" genannt worden. In allen diesen Äußerungen geht es Schnitzler darum, eine Alleinschuld seiner Länder, Österreichs wie Deutschlands, abzuwehren. So auch, wenn daran erinnert wird, daß der Krieg gegen Deutschland schon vor dem Krieg im französischen Parlament öffentlich angekündigt worden sei. Um eines künftigen Friedens willen müsse die Schuldfrage ausgeklammert werden, da sie nicht monokausal festlegbar sei, sondern nur in vielschichtigen Zusammenhängen erörtert werden könne. Das ist der Sinn der Aufzeichnungen vom Februar 1915, wenn es dort heißt:

"So sonderbar es klingt, bei dem künftigen Friedenskongreß dürfte von Politik im rückschauenden Sinn nicht gesprochen werden. Die Schuldfrage darf nicht aufgerollt werden, denn bis wohin müßte man die Geschichte rückwärts verfolgen, um zu einem vollkommen gerechten Urteil zu gelangen. Es wäre natürlich kurzsichtig, nur von den letzten Ursachen des Krieges zu sprechen."

In der Abweisung jeder Alleinschuld haben auch die Vorbehalte gegenüber Heinrich Manns Roman "Der Untertan" ihren Grund. Es handelt sich um keine Ablehnung des aus Schnitzlers Sicht bedeutenden Romans, aber doch um Einschränkungen im Hinblick auf einseitige Schuldzuweisungen:

"Las früh Manns Unterthan zu Ende. Außerordentlich - doch mehr caricaturistisch im Detail als satirisch im großen. Dazu allzu viel Haß und Einseitigkeit... Was mir ferner an dem Buch fehlt: daß kein analoges in Frankreich geschrieben wurde - zu gleicher Zeit; - wo die Politik in Frankreich um Poincaré doch eine mindestens so scheußliche Sache war wie die um Wilhelm; ..."

Mit solchen Vorbehalten steht Schnitzler dem Verfasser der "Betrachtungen eines Unpolitischen" nicht ganz fern. Aber im Gegensatz zu der von Polemik durchsetzten Schrift Thomas Manns und der von unerbittlicher Abrechnung geprägten Gesellschaftskritik Heinrich Manns denkt Schnitzler in stärkerem Maße voraus, im Bemühen, "die große Angelegenheit der Menschheit künstlerisch wieder ins Gleichgewicht zu bringen".

Aber wie sehr auch die Schuldfrage zurückzudrängen gesucht wird, weil für Schnitzler eine Alleinschuld des eigenen Landes nicht in Frage kommt - sie ist dennoch unabweisbar, und weitgehende Wandlungen des Denkens sind mit ihr verbunden. Noch zu Beginn der Aufzeichnungen, die dem erst aus dem Nachlaß veröffentlichten Manuskript "Und einmal wird der Friede wiederkommen ..." zu entnehmen sind, heißt es: "Denn ich sage es gleich. Wenn ich von einem künftigen Frieden spreche, so weiß ich so gut wie irgendeiner, daß der Krieg, den wir heute führen, ein unvermeidlicher, nicht nur ein aufgezwungener war." Ähnlich in dem Abschnitt über Bertha von Suttner - es handelt sich um eine Niederschrift vom Oktober 1914 -, in dem gesagt wird, daß es nicht nur um Schmerz, Grauen und Verzweiflung gehe, sondern daß das, was sich jetzt in der Welt begibt, "so glühend von unerbittlicher Notwendigkeit sich darbietet". Also Tragik, könnte man meinen. Diese Auffassung, daß man es hinsichtlich des Krieges mit einem schicksalhaften Geschehen zu tun habe, mit einer Art Naturereignis, war nicht nur um diese Zeit und noch später weit verbreitet, auch unter Historikern, die es besser hätten wissen können. Sie wird sehr bald von Schnitzler gründlich revidiert. Im Versuch, die Verantwortlichen zu ermitteln, wird immer weniger an dieses oder jenes Volk gedacht, sondern an die in jedem Volk für den Krieg Tätigen:

"Die Schuldfrage hinsichtlich aller vorhergegangenen und insbesondere hinsichtlich des letzten Krieges. Man nehme als entschieden an, daß alle Staaten an diesem Krieg schuld sind, daß ihn aber kein einziger Staat als solcher, insbesondere kein Volk gewollt hat, sondern überall nur eine verschwindende Anzahl von einzelnen."

Zu diesen einzelnen, die verantwortlich zu machen sind, werden gerechnet die Philosophen des Krieges von der Art des preußischen Generals von Clausewitz; die Quietisten, die der Meinung sind, es sei immer so und müsse immer so bleiben; die Snobs, die den Krieg wegen der Abenteuer schätzen, und schließlich die Phrasendrescher, die dem läuternden Einfluß des Krieges das Wort reden. Sieht man auf die Berufe, die vor anderen auf den Krieg vorbereiten, so sind es immer erneut die Politiker, die Diplomaten und die Militärs, die in diesem Zusammenhang genannt werden. Wie kaum ein anderer Schriftsteller seiner Zeit verwirft Schnitzler nunmehr uneingeschränkt die Begriffe Schicksal und Notwendigkeit, wo immer von Krieg die Rede ist. Er spricht von Dogmatikern, "die den Krieg als Schicksalsnotwendigkeit erklären". Den Historikern wird vorgehalten, daß sie geneigt seien, später alles als etwas Notwendiges hinzustellen, aber die sogenannte historische Notwendigkeit sei nichts anderes als das Kausalitätsgesetz, das für das Kleinste wie für das Größte gelte; und er fügt hinzu: "Entweder müssen wir alles als unausweichlich ansehen oder nichts." Über solche Fragen kommt Schnitzler derjenigen Ursache auf die Spur, die von den Historikern erst Jahrzehnte später als eine der maßgeblichen erkannt werden wird und die zum Ausbruch des Ersten Weltkrieges möglicherweise das meiste beigetragen hat: der Gewöhnung an die Rede vom Kampf ums Dasein. Davon handelt eine Aufzeichnung vom März 1916. In ihr heißt es:

"Nicht die Grausamkeit, die doch immer nur gewissermaßen als eine akute Krankheit auftritt, sondern die Gleichgültigkeit ist das furchtbare, weit gefährlichere und unüberwindlichere Übel. Denn gleichgültig sind wir im Grunde alle mehr oder weniger. Diese Gleichgültigkeit hat sich wahrscheinlich im Kampf ums Dasein entwickelt, da nur durch sie das Leben, das Weiterleben überhaupt möglich wurde."

Das wird in demselben Jahr notiert, in dem der Zoologe und Anatom Oscar Hertwig sein Buch "Das Werden der Organismen" veröffentlicht, von dem eingangs schon die Rede war. Nicht also mythenartige Schicksale sind es, die Kriege über die Welt bringen, sondern Mentalitäten, die sich mitunter aus seriösen wissenschaftlichen Lehren herleiten. Man kann diese Lehren auch Ideologien nennen, und der auf die menschliche Gesellschaft übertragene Kampf ums Dasein ist eine solche.

Schnitzlers Friedensschrift, in der seine Gegnerschaft zu Kampf und Krieg ihren klaren Ausdruck gefunden hat, ist eine der wenigen Aussagen, die unmittelbar zum damals gegenwärtigen Krieg Stellung nehmen - gegen ihn, wie zu zeigen war. Ein gleichfalls gegen den Krieg gerichtetes Gedicht gibt es, das bisher nicht veröffentlicht wurde, die "Ballade von den drei Brüdern" - "mit scharfer Kritik an der moralischen Rechtfertigung des Tötens in Kriegszeiten", wie der Herausgeber der "Aphorismen und Betrachtungen" in den Anmerkungen zu diesem Buch mitteilt. Von diesen wenigen Äußerungen unmittelbar zum Krieg abgesehen, die damals nicht veröffentlicht werden konnten, setzt Schnitzler seine schriftstellerische Arbeit wie bisher fort: dieselben Themen, dieselben Szenerien, dieselben Personentypen. Die Skepsis gegenüber der Sprache, die Auffassung, daß Worte lügen, aber daß auch das Schweigen zur Lüge werden kann, ist im Einakter "Die Stunde des Erkennens" in einer an ausweglose Tragik grenzenden Situation eindringlich dargestellt; sie ist Teil des Zyklus "Komödie der Worte", der 1915 an mehreren Theatern in Österreich und Deutschland aufgeführt wird. Dieser Zyklus wie das Journalistenstück "Fink und Fliederbusch", 1917 am Wiener Volkstheater aufgeführt, sind dem Titel nach Komödien - mitten im Krieg. In beiden Dramen wie in den 1917 abgeschlossenen Erzählungen "Doktor Gräsler, Badearzt" und "Der letzte Brief eines Literaten" begegnen wir den problematischen Arztgestalten, wie noch in der letzten zu Lebzeiten des Dichters veröffentlichten Novelle "Flucht in die Finsternis". Es ist die wohl düsterste Erzählung, die Schnitzler je geschrieben hat. Noch vor dem Krieg begonnen, entstehen während des Krieges nacheinander mehrere Fassungen, die 1917 als nicht zur Veröffentlichung bestimmt beiseite gelegt werden - bis ihr einige Jahre später künstlerischer Wert zuerkannt wird, so daß sie im Todesjahr 1931 doch noch das Licht der literarischen Öffentlichkeit erblickt. Es sieht ganz so aus, als sei die anhaltende Befassung mit dem düsteren Stoff seines dichterischen Werkes in der Zeit des Krieges die entschiedene Antwort auf sie. Daß er auch während dieser Zeit an seinen Themen und seiner Schreibart festgehalten hat, ist ihm wieder und wieder verdacht worden, obwohl er doch nur am Stil der Moderne festhält, den er nicht bereit ist, an zeitgemäße Kriegsgeschichten zu verraten. Über Jahre hin wird sein literarisches Werk von dem Bild eines unzeitgemäßen und vom Weltlauf längst überholten Denkens verdunkelt. Selbst ein so unverdächtiger Zeitzeuge wie Manès Sperber hat sich dem Eindruck, daß da Vergängliches und längst Vergangenes noch immer fortlebe, nicht gänzlich zu entziehen vermocht. Über Schnitzlers Ansehen in den zwanziger Jahren führt er rückblickend aus: "Für Arthur Schnitzler empfanden wir Respekt, denn er war einer der allerwenigen, die nicht schuldig geworden waren... Unser Respekt galt also dem geistigen und moralischen Anstand, nicht seinem Werk." Schnitzler gilt oder galt als einer, der es nicht recht fertiggebracht hatte, sich vom Milieu seines Jugendwerkes zu lösen. Die Rede vom Dichter einer abgetanen Zeit verbindet sich besonders in der Zeit nach dem Ersten Weltkrieg mit seiner Person, wie Jakob Wassermann eines Tages feststellt; und darauf antwortet Schnitzler sichtlich ungehalten; er schreibt:

"Es freut mich sehr, daß die 'Komödie der Verführung' Sie immerhin interessiert zu haben scheint und daß das 'Fräulein Else' Ihnen so besonders gefallen hat. Ganz und gar nicht bin ich Ihrer Ansicht über die 'abgeschlossene, abgetane, zum Tode verurteilte Welt', als welche Ihnen offenbar sowohl die in der 'Komödie der Verführung' als die rings um 'Fräulein Else' erscheint. Was ist abgetan, abgeschlossen, zum Tode verurteilt? Wer hat verurteilt? Wann soll das Urteil vollzogen werden? Dieses Wort von der abgetanen oder versunkenen Welt - (ach, wie oft habe ich es in der letzten Zeit zu lesen bekommen) - erinnert mich so sehr an jenes andere, von der großen Zeit, das ebenso suggestiv und trügerisch vor noch nicht einem Jahrzehnt unsere Ohren umschwirrt hat."

Wenige Tage später kommt er in einem Brief an Thomas Mann auf das hier in Frage stehende Problem zurück: "Das frühere Totschlage-Wort von der 'großen Zeit' ist nun durch das neue von der 'versunkenen Welt' ersetzt worden. Es ist, als wäre die Weltgeschichte überhaupt nur dazu da, um den Rezensenten neue falsche Maßstäbe an die Hand zu geben." Mit gutem Grund macht Schnitzler geltend, daß das Zeitgemäße - die vermeintlich große Zeit um 1914 - etwas sehr Trügerisches sein kann. Aber die Vorbehalte gegenüber jeder zu leichtfertigen Anpassung an das jeweils Zeitgemäße schließen Stilwandel im literarischen Schaffen nicht aus. Das ist an der Casanova-Gestalt als einer Kultfigur in der Literatur der Jahrhundertwende zu zeigen. Noch im letzten Kriegsjahr erscheint die Novelle "Casanovas Heimkehr", die das Spätwerk einleitet. Der Mythos des großen Erotikus wird als verblaßt gezeigt; die Figur wirkt komisch und veraltet; und genau so, als eine gebrochene und gebrechliche Gestalt, soll der Erotiker von ehedem verstanden werden. Schnitzlers Spätwerk ist nicht ohne die Erfahrungen des Krieges zu denken. Aber obgleich es außer der "Friedensschrift" nur wenige Bezugnahmen zum Ersten Weltkrieg gibt, hat sich sein Bewußtsein von Kunst und von der Verantwortung, die dem Schriftsteller zukommt, vertieft. Es ist strenger geworden. Dieses Spätwerk seit 1918 ist unbeschadet seiner ästhetischen Qualitäten anders als zuvor das Werk eines Moralisten von Rang. Das leicht Gefällige, das bloß Spielerische wird zur Rede gestellt. Triviale Literatur wie im Roman "Therese" wird erzählerisch thematisiert und in seiner mangelnden Wahrhaftigkeit erkennbar. Stilwandel, wie er sich vor allem in den späten Erzählungen herausbildet, setzt die Kriegsjahre voraus, die ihn nachhaltig zur Legitimation seines schriftstellerischen Tuns herausgefordert haben.

Was sich aufgrund der neuen Erfahrungen vor allem herausbildet, ist ein vertieftes Verhältnis zur Sprache. Erhöhtes Sprachbewußtsein ist kennzeichnend für die Konstituierung der Moderne im ganzen. An der Entwicklung dieses Sprachbewußtseins mit Nietzsche als seinem Wegbereiter ist Schnitzler von Anfang an beteiligt. Aber mit Sprachskepsis, wie man ein bestimmtes Sprachverhalten seit 1900 nennt, ist nicht hinreichend erfaßt, worum es jetzt geht. Neuartiges wird wahrgenommen: Zusammenhänge zwischen Kriegführung und Redeformen als Propaganda, die eine radikale Sprachkritik erforderlich machen. Phrasen der Herrschenden werden aufgezeigt und verworfen: "... das Kriegsgeschrei müssen wir uns gefallen lassen - Kriegsgeschwätz soll der Teufel holen", heißt es in einem Brief vom Dezember 1914. Schnitzler bestreitet energisch, daß Kriege jemals für eine Idee geführt worden seien, und wo es sich dennoch um Ideen gehandelt habe, seien sie durch die Politiker zur Phrase geworden. Neben den Politikern sind es vor allem die Diplomaten und die Militärs, die für den Sprachverfall verantwortlich zu machen sind, um den es sich handelt. Abermals zielt seine Sprachkritik auf den Begriff des Helden, den die Kriegführung braucht, während ihn die Literatur der Moderne als überholt hinter sich läßt. Der Konflikt zwischen Krieg und moderner Literatur, den es im Falle Schnitzlers gibt und den er ehrenvoll austrägt, wird in der unterschiedlichen Auffassung vom Helden offenkundig. Schon an dem noch vor dem Krieg entstandenen Geschichtsdrama "Der junge Medardus" wird das Bild des Helden dem Zeitgeist diametral entgegengesetzt, gegen das "oberlehrerhaft verbohrte Dogma vom Heldentum", wie gezeigt wurde. Vor allem im Blick auf den Helden in moderner Literatur - den Helden der Schwäche wie bei Thomas Mann oder den Helden, der zaudert, schwankt und irrt wie der junge Medardus - muß Schnitzler fürchten, daß dies alles in Anbetracht des Krieges nichts mehr zu bedeuten habe - "als wäre nun mancherlei, was bisher als Kunst gegolten hat (- und auch weiterhin gelten wird) - ein für alle Mal erledigt". Es ist nur folgerichtig, wenn auch verwandte Begriffe dieses Wortfeldes aus der Optik der modernen Literatur demontiert werden. Zu diesem Wortfeld gehört der zumal in Kriegszeiten gedankenlos gebrauchte Begriff des Heldentodes. Schnitzler nimmt an ihm wahr, daß die Wirklichkeit mit Hilfe der Sprache durch die Kriegführenden beschönigt wird, so daß zur Lüge wird, was es zu bezeichnen gilt: "Man sagt, er ist den schönen Heldentod gestorben. Warum sagt man nie, er hat eine herrliche Heldenverstümmelung erlitten? Man sagt, er ist für das Vaterland gefallen. Warum sagt man nie, er hat sich für das Vaterland beide Beine amputieren lassen?" In solcher Blickwendung zugunsten derjenigen, die verstümmelt und amputiert aus dem Krieg zurückkehren, muß man keine Verhöhnung der Gefallenen erkennen wollen. Aber dem Schriftsteller der Moderne muß es erlaubt sein, mit denjenigen eines Sinnes zu sein, die sich nicht opfern, sondern geopfert werden. Sie vor allem gilt es vor den Redensarten zu schützen, die Wirklichkeit verfälschen. Daher die unverstellte und radikale Sprache im Blick auf diejenigen, die geopfert werden. In einer Tagebuchnotiz vom 5. November 1915 hält Schnitzler fest, was er selbst gesehen hat: "Bei Chiaracci. Zwei Beine amputirt, - halb gelähmt, kann nur lallen, hört aber ganz interessirt unsern Gesprächen [...] zu." Höchst eindrucksvoll liest sich eine Niederschrift aus dem Jahre 1915, der das Wort Kriegsgreuel vorangesetzt wird. Die unverstellte Sprache als Ausdruck einer Sprachkritik,die sich gegen Beschönigungen richten, die Lügen sind, ist mitunter in einer Radikalität zu vernehmen, die man dem Darsteller der "süßen Mädel" kaum zugetraut hätte, wenn es in einer dieser Aufzeichnungen heißt:

"Kriegsgreuel: Ein wehrloser Verwundeter wurde auf dem Schlachtfeld geblendet, verstümmelt, von einem Feind natürlich. Ich weiß noch Ärgeres zu erzählen: ein Dutzend Soldaten saßen in einem Schützengraben, ein Schrapnell kam, der eine wurde blind, dem anderen wurde der Bauch aufgeschlitzt, dem dritten der Kehlkopf zerfetzt, dem vierten das ganze Gesicht weggerissen, dem fünften zwei Arme und ein Bein zerschmettert und so weiter. Die nicht gleich tot waren, lagen stundenlang da in Durst, Martern, Höllenschmerzen, Todesangst. Auch sie waren wehrlos gewesen, vollkommen wehrlos. Es gab keine Möglichkeit, sich gegen das Schrapnell zu verteidigen. Auch davonlaufen durften sie nicht, dann wären sie mit Recht wegen Feigheit erschossen worden. Die Wehrpflicht hätte sie wehrlos gemacht."

Das ist im Vergleich mit den Kriegsbüchern Ernst Jüngers, die noch einmal auf das Heldische setzen, die andere Seite, diejenige der Kriegsopfer; und es ist stets auch der Arzt, der ihnen zugewandt bleibt. Erhöhtes Interesse unter den Opfern gilt denjenigen, die erblindet aus dem Krieg heimgekehrt sind. In diesem Punkt wird Schnitzler eine seiner frühen Erzählungen wichtig: die schon 1901 veröffentlichte Novelle "Der blinde Geronimo und sein Bruder", die in das Klischee nicht recht paßt, das man sich vom Verfasser des "Reigens" gemacht hat; denn die Erzählung spielt nicht in der großbürgerlichen Umgebung wie die meisten Texte Schnitzlers. Es handelt sich vielmehr um eine Bettlergeschichte, die im sozial niedersten Milieu angesiedelt ist. Von zwei Brüdern hat der eine das Augenlicht durch die Hand des anderen verloren. Das geschah, als dieser mit dem Bolzen eines Geschosses das Ziel verfehlte und den Bruder Geronimo traf, der daraufhin erblindet ist. Nicht von Krieg ist die Rede, aber doch von Waffen, die sich ihre Opfer suchen. Um dieses Opfers willen kann die Erzählung ihren Ort in einer Zeit des Krieges erhalten, nicht als Zustimmung zu ihm, sondern als Zeugnis gegen ihn. Wenn sich Schnitzler widerstrebend herbeiläßt, während des Krieges aus eigenen Werken zu lesen, fehlt selten die Geschichte vom blinden Geronimo. Er liest sie im März 1915 "für die im Feld Erblindeten". Bei seinem Verleger Samuel Fischer bestellt er sich eine Neuauflage des Textes, gibt genaueste Anweisungen, wie das Buch aussehen soll und fügt hinzu: "Das gesammte Erträgnis dieses Buches ist den im Feld Erblindeten gewidmet..." Dies alles geschehe, wie es zu Eingang des Briefes heißt, aus "gewissermaßen patriotischen Gründen". Es ist seine Art von Patriotismus, der darin beruht, an die Opfer zu mahnen, die Kriege zurücklassen. Aber deutlich geworden ist auch, daß im Verweilen bei den Opfern, die der Pflege und der Heilung bedürfen, der Arzt stets beteiligt ist. Die Kriegsgegnerschaft dieses Schriftstellers hat mit seinem ärztlichen Denken sehr viel zu tun.

Es überrascht nicht, daß das Interesse des früheren Nervenarztes auch den psychisch Kranken als Kriegsopfern gilt. Von der Wahnsinnsnovelle, die später den Titel "Flucht in die Finsternis" erhalten wird und die ihn während der ersten Kriegsjahre immer erneut in Anspruch nimmt, war schon die Rede. Aber auch die Kriegspsychiatrie - ein trübes Kapitel in der Geschichte der Medizin - entgeht nicht seinem Blick. Schnitzler notiert, ohne zu kommentieren; aber das Notat zur Lage der Kriegspsychiatrie spricht für sich und bedarf kaum eines Kommentars: "Aerztliches zum Weltkrieg ...: der Psychiater, der vorschlägt, auch Manische ins Feld zu schicken - ihre Manie könne zu Anfeuerungszwecken ausgenutzt werden..." In einer anderen die Medizin angehenden Aufzeichnung geht es nicht um psychisch Kranke, sondern um einen Professor der Medizin, dem aufgrund von Verfehlungen der Doktorgrad aberkannt wurde. Schnitzler notiert das Verdikt eines früheren Kollegen, eines Professors der Anatomie: "Er erklärt ihn als degenerirt, daher gemeingefährlich, daher soll er nicht wieder Doctor werden." Schnitzler widerspricht: "Ich bezweifle die Degeneration, verlange Beweise - (insbesondere während der letzten 14 Jahre nach Verurtheilung) und finde, dass von diesem Standpunkt die wenigsten Aerzte berufsfähig und würdig wären." Das ist Arztkritik, wie es sie im literarischen Werk wiederholt gibt; aber Kritik wird auch geübt an einer Medizin, die sich weithin an den Degenerationslehren des 19. Jahrhunderts orientiert, an solchen, die auf Ausgrenzung gerichtet sind; und wie in der Selektionslehre des Darwinismus sind die Ausgegrenzten die Opfer solchen Denkens. Schnitzlers Sympathie gilt denjenigen, die geopfert werden im weitesten Sinn, und es ist in hohem Maße ärztliches Denken, das solche Sympathien leitet. In der Parteinahme für die Opfer und in der Zurücksetzung des Helden im alten Sinn nähern sich Medizin und moderne Literatur einander an; und wenigstens in der Idee kommt es zur denkbaren Einheit des Schriftstellers wie des Arztes. Sie treffen sich in einem Verständnis von Sprache, das die Sprachkritik erforderlich macht, von der die Rede war. In einem Aphorismus der "Friedensschrift" ist diese denkbare Einheit prägnant formuliert, gerichtet gegen die Herrschenden im Krieg, die ihre eigene Sprache und folglich ihr eigenes Wörterbuch haben, das es nicht zu übernehmen gilt: "Das Wörterbuch des Krieges ist von den Diplomaten, den Militärs und den Machthabern gemacht. Es sollte von denen richtiggestellt werden, die aus dem Krieg heimgekehrt sind, von den Witwen, den Waisen, den Ärzten und den Dichtern." Abermals gesellt sich der Schreibende denjenigen zu, die das Nachsehen haben, den Opfern. Ihnen ist zugedacht, die Sprache "richtigzustellen"; der Ort des Arztes wie des modernen Schriftstellers ist bei ihnen. Wie der Held anachronistische Züge erhält, so auch der Krieg und die Sprachen des Krieges. Dennoch ist die am Sprachverfall in Kriegszeiten geübte Kritik nicht das letzte Wort in der Sache.

Das meiste, ja alles, was über Schnitzlers Einstellung zum Krieg während des Krieges zu sagen war, ist unveröffentlicht, es findet sich in den Briefen, den Tagebüchern und Aufzeichnungen, die, wie ausgeführt, den Titel trägt "Und einmal wird der Friede wiederkommen". Ohne Benutzung des Nachlasses und ohne das nachträglich Gedruckte ergäbe sich ein unvollständiges und mehr noch ein falsches Bild. Im Blick auf die wenigen Texte, die während des Krieges entstanden und veröffentlicht wurden, könnte der Eindruck entstehen, als ginge diesen Autor die Weltgeschichte nichts an; und da die in dieser Zeit entstandenen Texte eher Nebenwerke als Schlüsseltexte sind, könnte es erst recht so erscheinen, als dichte da einer abseits vom Lärm der Welt vor sich hin. Aber in keinem Punkt weicht der Schriftsteller Arthur Schnitzler von der Linie ab, die er als Vertreter der literarischen Moderne eingeschlagen hat. Keine Zugeständnisse, keine Anpassung, keine Dienstbarkeit! Was gegen den Krieg zu sagen war, wird dem Nachlaß vorbehalten; was für ihn hätte gesagt werden können, ist nicht vorhanden. Der Plan zu einer "Kriegsgeschichte" wird gelegentlich notiert; aber daß daraus ein kriegsverherrlichender Text geworden wäre, ist nicht anzunehmen. Seine Antwort auf Erwartungen oder Wünsche dieser Art ist Schweigen - jenes Schweigen, mit dem ihm der ihm sonst wenig gewogene Karl Kraus in dem schon erwähnten Spruchgedicht geehrt hat:

er hat in Schlachten und Siegen
geschwiegen.

Schnitzler hat über dieses dem Dichter zukommende Schweigen nachgedacht, und er hat es an den Kritikern und Journalisten vermißt:

"Unter den Dichtern schweigen immerhin einige, unter den Kritikern keiner. Sie beziehen sich auf den Weltkrieg, und sie beziehen sich auf die Beziehung der Dichter zum Weltkrieg. Sie passen von amtswegen sorgfältig auf, wie die Dichter sich anläßlich des Weltkriegs benehmen und können nicht umhin, sich zu äußern. Sie finden es bemerkenswert, daß manche Dichter dichten und daß manche schweigen. Auch das Schweigen veranlaßt sie nicht, selbst das Maul zu halten, nein, sie kritisieren auch das Schweigen ..."

Schnitzlers Schweigen zum Krieg während des Krieges, da Wirksames gegen ihn nicht gesagt werden durfte, entspricht in seiner Konsequenz den Prämissen der literarischen Moderne, die wenige so beherzigt haben wie er.

Der Aufsatz erschien zuerst in dem Buch: "Krieg der Geister". Erster Weltkrieg und literarische Moderne. Hg. von Uwe Schneider und Andreas Schumann. Würzburg: Königshausen & Neumann 2000. S. 13-37. Wir danken Walter Müller-Seidel für die Publikationsgenehmigung. Eine vollständige Fassung des Beitrages mit Zitatbelegen und Fußnoten ist Online-Abonnenten von literaturkritik.de als pdf-Datei hier zugänglich.