Vom Sinn des Indianerspielens

Marcus Jensens Roman "Red Rain"

Von Aline WillekeRSS-Newsfeed neuer Artikel von Aline Willeke

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Alles ist möglich und fast alles ist erlaubt im Chaos der Endzeitstimmung: Ein Versagertyp in Indianerverkleidung rast in einer Luxus- Limousine durch Berlins Milleniumpanik. Auf einer Silvesterparty für Staatsmänner, die seine Ex-Freundin organisiert, soll er unter dem Namen "Red Rain" den Medizinmann spielen. Die Rolle ist ihm wie auf den Leib geschrieben, doch als der überzeugte Freizeit-Indianer am Ende seinen großen Auftritt haben soll, will er nur noch er selbst sein.

Der Roman verfolgt die Entwicklung eines Mannes, der sich erst in einen Indianer und dann in sich selbst verwandelt. Vor dem Hintergrund Berlins, das sich in Weltuntergangsstimmung und nahe einer Massenhysterie befindet, spielt sich die Handlung passend zum Inhalt auf mehreren Ebenen ab.

Die Darstellung der Fahrt zum Arbeitsplatz des "Indianers", behindert von absurden Zwischenfällen mit militanten Star Trek- und Enterprise-Fans und einer harmlosen Gotcha-Armee, bildet die eigentliche Handlungsebene. Durchbrochen wird sie immer wieder von Erinnerungen der Hauptfigur: an einen spirituellen Urlaub in einem Indianerreservat und an die Beziehung zu seiner Ex-Freundin, einer Staatssekretärin, deren seelische Notlage er lieber analysiert als sein eigenes zwanghaftes Verhalten kritisch zu betrachten. Wie Stimmen aus dem Off blenden sich in regelmäßigen Abständen die Medien ins Geschehen ein, schüren und verkaufen Angst. Marcus Jensen parodiert ausgezeichnet den Ton eines Late-Show-Entertainers, der an Harald Schmidt denken lässt.

Die montageartig zusammengesetzten Erzählebenen erzeugen Dynamik und Spannung und lassen dem Leser den Fahrtwind des temporeichen Trips um die Nase wehen. Im Gegensatz dazu erzeugt die Mischung von äußerlich stoischer Ruhe und gleichzeitiger Introspektive des Indianers Disharmonie. Die sorgt für äußerst komische Momente, in denen der Held seine Rolle perfekt beherrscht, er wirkt weise und gelassen, innerlich ist er aber völlig rastlos und verunsichert.

Die Darstellung des Indianerspielenden im Krisenzustand ist leider nicht immer glaubwürdig. Wenn die Hauptfigur in voller Verzweiflung darüber welches Spiel seine Ex-Freundin mit ihm treibt, vor hunderten Gotchasoldaten steht und in akzentfreiem Deutsch fleht, man möge ihn doch bitte erschießen, und das Echo seiner Schreie noch wunderbar lautmalerisch präsentiert wird, fragt man sich, wer jetzt für dumm verkauft werden soll: Die Bodyguards im Auto, die den wortkargen Medizinmann bisher nur indianisch und englisch mit vielen rollenden Rs haben sprechen hören, oder der Leser, der die Unstimmigkeit bemerken muß.

Ansonsten karikiert der Roman auf eine sehr lustige Art die esoterischen Sinnsucher, die vor lauter Konzentration auf Transzendenz zu unsympathischer Intoleranz neigen. So nähert sich der Indianer "Red Rain" auf Umwegen und ahnungslos seiner eigenen Heilung und gibt am Ende seine Verkleidung auf, um das Risiko der eigenen Identität einzugehen. Die Reise ins Ich eines Möchtegern-Indianers liest sich wie Zapping durch drei Fernsehkanäle im Samstagabendprogramm: Action-Komödie, Liebe und Psycho-Drama - gut gemischt und leicht verdaulich.

Titelbild

Marcus Jensen: Red Rain. Roman.
Frankfurter Verlagsanstalt, Frankfurt a. M. 1999.
172 Seiten, 15,20 EUR.
ISBN-10: 3627000722

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