Ungrammatisch

Der Rechtschreibduden in der 23., völlig neu bearbeiteten Auflage

Von Manu SlutzkyRSS-Newsfeed neuer Artikel von Manu Slutzky

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Was lange währt, wird endlich gut, heißt es im Volksmund, doch macht die Rechtschreibreform davon offensichtlich eine Ausnahme. Die neueste Auflage des Flaggschiffs der Duden-Redaktion, der Rechtschreibduden - auch in einer Version als CD-ROM -, ist das amtliche Zeugnis eines "blind geborenen" (früher "blindgeborenen") und nicht sehend gewordenen Flickwerkes, das gegen die Ökonomie der Sprache ebenso verstößt wie gegen einfachste Regeln der Semantik und Logik. Historisch Gewachsenes und Bewährtes wird durch willkürliche Verordnung geändert und ist nur dazu angetan, Verwirrung zu stiften in den Köpfen derer, die gutes Deutsch erlernen oder vermitteln sollen.

Gegen alle Ökonomie verstoßen Neubildungen wie "selbstständige Verweisartikel" (so schon im Vorwort), "Fußballländerspiel" (ersatzweise "Fußball-Länderspiel") oder "Eisschnelllauf" (ersatzweise "Eisschnell-Lauf"). Das Wort "Ausschuss" ist ohne das vertraute "ß", das uns bislang so geduldig Wegweiser im Wörterdschungel war, Ausschuss, wie die "Ausschusssitzung" eindrucksvoll belegt - müssten wir noch in Blei setzen, der Buchstabe "s" wäre uns längst ausgegangen. Aber auch so produziert er Bleiwüstenwörter ohne Ende.

Grammatischer und semantischer Humbug bis zum Haareraufen stellt die Getrennt- und Zusammenschreibung dar, aus der sich Neuprägungen wie "Eis laufen" (bisher "Eislaufen"), "Buch führend" (auch "buchführend") oder "Epoche machend" (alternativ "epochemachend") ergeben, und es erscheint dem Rezensenten schleierhaft, wie man "Blut stillend" als Alternative zu "blutstillend" auch nur erwägen kann. Ähnlich wünschte man sich bei "Raum sparend" die raumsparende ältere Lösung zurück, und man muss nicht "schwarz sehen", jedenfalls nicht im Wortsinne, um zu erkennen, dass denen, die diese Neuregelung angestoßen, erarbeitet, abgesegnet und teils auch wieder rückgängig gemacht haben, ganz offensichtlich der Durchblick fehlt. Hier haben sich die Reformer ein "Kuckucksei" ins Nest gelegt, wie der Erlanger Sprachwissenschaftler Theodor Ickler sagt, und wo auf der einen Seite Wörter willkürlich auseinander gerissen und/oder substantiviert werden, führt man auf der anderen ohne Not die Zusammenschreibung von Übernahmewörtern aus fremden Sprachen - wie "Aupairmädchen", "Blackbox", "Bluejeans", "Floppydisk", "Readymade" ein. Was soll das?

Die Regelung der Getrennt- und Zusammenschreibung bleibt misslich und ist zu überarbeiten, besonders dort, wo sonst die Bedeutungsvielfalt der Sprache verloren geht, wie am Beispiel des Partizips "wohl" demonstriert werden kann: "In Verbindung mit einem adjektivisch gebrauchten Partizip kann getrennt oder zusammengeschrieben werden", heißt es, doch das angeführte Beispiel überzeugt nicht: "eine wohl versorgte, auch wohlversorgte Frau" - das ist mitnichten (alternativ "mit Nichten") dasselbe, ebenso wie ein "wohl bekannter", das heißt 'möglicherweise bekannter' nicht identisch mit einem "wohlbekannten", sprich 'sehr bekannten' Autor ist. Hier werden die Möglichkeiten der Sprache zur Nuancierung schlicht nicht respektiert.

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Duden - Die deutsche Rechtschreibung. CD-ROM. Das umfassende Standardwerk auf der Grundlage der neuen amtlichen Regeln. Für MS Windows und Apple Macintosh bis 9.X.
Bibliographisches Institut, Mannheim 2004.
19,95 EUR.
ISBN-10: 3411063807

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Titelbild

Duden Band 1. Die deutsche Rechtschreibung.
23., völlig neu bearbeitete und erweiterte Auflage.
Auf der Grundlage der neuen amtlichen Rechtschreibregeln.
Bibliographisches Institut, Mannheim 2004.
1152 Seiten, 20,00 EUR.
ISBN-10: 3411040130

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