Schwangerschaft durch Knospung

Ursula G. T. Müller berichtet aus 15 Jahren Gießener Frauen- und Lesbenbewegung

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Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Von Rolf Löchel

In ihrem Buch "Die Wahrheit über lila Latzhosen", berichtet Ursula G. T. Müller am Beispiel der mittelhessischen Universitätsstadt Gießen über "Höhen und Tiefen von 15 Jahren Frauenbewegung", wie der Untertitel verspricht. Und da ist mit knapp 400 Seiten doch einiges zusammen gekommen. Dass ihr Buch die Geschichte der Gießener Frauenbewegung rekapituliert, ist allerdings nur die halbe Wahrheit. Tatsächlich handelt es von mehr, nämlich ganz dezidiert auch von der Gießener Lesbenbewegung. Aber möglicherweise schien dem Verlag deren Aufnahme in den Untertitel nicht hinreichend verkaufsfördernd. Auch der Titel dürfte augenzwinkernd gemeint sein. Denn selbstverständlich bietet dieses Buch ebenso wenig wie jedes andere die Wahrheit, sondern eine Wahrheit: die der Autorin. Und so kündigt Müller zu Beginn nicht etwa an, die Geschichte der Gießener Frauen- und Lesebenbewegung so zu erzählen, wie sie wirklich war, sondern wie sie sie erlebt hat.

Im Spätsommer 1972 kam die Autorin nach Gießen, um Soziologie zu studieren, wo sich während der Zeit ihres 15-jährigen Aufenthaltes "quasi en miniature" alle wichtigen gesellschaftlichen Entwicklungen abspielen sollten; so auch die Entwicklungsphasen, welche die Frauenbewegung in dieser Zeit durchlief. Feministisch engagiert war die Autorin allerdings schon zuvor in den USA gewesen, wo sie ein Mathematikstudium absolviert hatte. Seither versteht sie sich "grundsätzlich als Radikale innerhalb der Frauenbewegung". Radikal sein bedeutet für Müller nicht zuletzt auf den dialektischen und historischen Materialismus als Methode und den Sozialismus als politisches Konzept zu vertrauen. Auch heute mag sie vom marxistischen Erbe der sich Ende der 60er Jahre entwickelnden Frauenbewegung nicht lassen. So bekennt sie sich noch immer zu den "Utopien", die "wir als sozialistische Feministinnen in der ersten Welle der Frauenbewegung träumten" und beklagt, dass "die wichtigen Auseinandersetzungen mit dem Sozialismus abflauten".

Am Anfang der von Müller erzählten Geschichte der Gießener Frauenbewegung steht die sozialistisch inspirierte Kampagne gegen Fleischpreiserhöhungen. Was in "gemischten und folglich männerdominierten Gruppen" die "Arbeiter in den Fabriken" waren, das bedeuteten den sozialistischen Feministinnen "die Hausfrauen". Aus heutiger Sicht wundert es wenig, dass die Aktion ein "Flop" wurde. Von ihm war es noch ein langer Weg zum erfolgreichen Kampf um ein Frauenhaus Anfang der 80er Jahre. Doch konnte der Zufluchtsort nicht verhindern, dass eine Schutz suchende Frau in seinen Räumen von ihrem Mann und Peiniger ermordet wurde.

Gelegentlich neigt die Autorin dazu, sich im Episodenhaften zu verlieren. Wie und warum bestimmte Thesen, Themen und Theorien der Frauenbewegung in den 70er und beginnenden 80er Jahren bestimmte Entwicklungen durchliefen, wird erst gegen Ende des Buches deutlicher. Ihr Ziel, "die vielen Facetten" der Frauenbewegung deutlich werden zu lassen, erreicht Müller allerdings dennoch. Auch gelingt es ihr, weit mehr als nur "einen Hauch des damaligen Klimas und der Art über Probleme nachzudenken" zu vermitteln - jedoch ohne dabei allzu tief in die seinerzeit virulenten Probleme und Auseinandersetzungen einzudringen. Vielleicht aber waren die Diskussionen doch nicht immer auf so hohem theoretischem Niveau angesiedelt, wie die Autorin sich zu erinnern glaubt. Die dem Buch beigegebenen - oft bis zur Grenze der Lesbarkeit verkleinerten - Dokumente zumindest deuten darauf hin.

Statt tiefer in theoretische Diskurse einzusteigen, erzählt Müller des öfteren meist witzige Anekdoten. Dies schadet dem Buch jedoch nicht, sondern belebt es. So etwa die Geschichte des von ihr als Mathematikerin entwickelten "Problemerhaltungssatz[es]": "Egal welche persönliche Lebensform eine Frau wählt, die Summe der daraus resultierenden Probleme bleibt konstant." Wirklich durchgesetzt, so muss Müller bedauernd konstatieren, hat er sich allerdings nicht. Auch die schlagfertige Antwort einer Hetera auf den Vorwurf einer Lesbe, Heteras seien "keine vollwertigen Kämpferinnen", lässt schmunzeln: "Wir kämpfen den Nahkampf". Ebenso die Bemerkung der Autorin, "dass man anhand der Diskussionen um die Strafbarkeit der Abtreibung den Eindruck gewinnen könnte, die Schwangerschaft" entstehe "durch 'Knospung'". Doch stellt sich manchmal heraus, dass nicht alles so scherzhaft gemeint ist, wie es zunächst scheint. Dem "Problemerhaltungssatz" etwa misst die Autorin - Adornos Diktum, es gebe kein richtiges Leben im falschen zitierend - denn doch mehr als nur einen ernsten Kern bei.

Andere Anekdoten sind alles andere als lustig. So die 1981 erfolgte Ablehnung und Benotung einer Magistra-Arbeit mit der Note 5 minus durch einen Prof. Dr. Erich Dauzenroth. Seine Begründung lautete: "Das vorliegende erhält vielleicht den Fleißzettel einer Frauen-Sommeruniversität, vielleicht Beifall in feministischen Lamentierzirkeln. In einer wissenschaftlichen Schule ist das umfangreiche Opus eine Zumutung." Wie man sieht, gewährt das Buch nicht nur in den damaligen Feminismus Einblicke, sondern auch in die Abgründe des Antifeminismus.

Ein vielleicht kleineres, doch stetes Ärgernis des Buches muss noch angesprochen werden: Zwar kritisiert die Autorin die Begriffe "Gutmensch" und "Ökopaxe", benutzt aber ungeachtet des von ihr zu Recht beklagten back lashs immer wieder den Topos der Political Correctness zur pejorativen Kennzeichnung bestimmter Verhaltensweisen innerhalb feministischer Gruppen, ohne zu reflektieren, dass es sich bei ihm längst um eines der wirksamsten sprachlichen Instrumentarien des konservativen roll backs und des antifeministischen back lashs handelt.

Titelbild

Ursula G. T. Müller: Die Wahrheit über die lila Latzhosen. Höhen und Tiefen in 15 Jahren Frauenbewegung.
Psychosozial-Verlag, Gießen 2004.
394 Seiten, 24,90 EUR.
ISBN-10: 3898062597

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