Aufklärung und Kommunikation

Neue Annäherungen an das gesellige Jahrhundert

Von Rita Unfer LukoschikRSS-Newsfeed neuer Artikel von Rita Unfer Lukoschik

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

"Was ist Aufklärung?" - Auf die kritische Frage des Philosophen am Ausgang der Epoche sucht die Forschung durch eine Analyse der mannigfaltigen Manifestationen dieser Bewegung immer intensiver eine Antwort. "Was war Aufklärung?" fragt sie, um den Titel von Rudolf Vierhaus' Untersuchung aus dem Jahre 1995 hier zu bemühen, im Bestreben, mit Hilfe der unterschiedlichsten Zugänge das Wesen dieser Epoche zu erfassen, die als Jahrhundert der Übersetzungen, der Publizistik, der Vernunft und - mit Bezug auf die eifrige Produktion bürgerlicher empfindsamer Dramatik - als das "weinende Saeculum" definiert wurde. Jüngste Definitionen rücken die Geselligkeit und Kommunikation in den Vordergrund.

"Aufklärung ist nicht, sondern wird", hatte stellvertretend für die Arbeiten ab den 80er Jahren des 20. Jahrhunderts Horst Möller schon 1986 in seiner Studie "Vernunft und Kritik" vorgeschlagen, indem er das Moment des Prozessualen dieser Denkbewegung im Fortdenken der Impulse hervorhob, die aus der 1932 erschienenen "Philosophie der Aufklärung" Ernst Cassirers ausgegangen waren. Darin wurde die aufklärerische Vernunft als "Energie" gedeutet, als "eine Kraft, die nur in ihrer Ausübung und Auswirkung völlig begriffen werden kann". Aufklärung definierte Möller demnach als "ein prozessual verstandenes Denkprinzip", das zunächst durch "keine feststehenden Inhalte", sondern in seinem eminenten prozessualen Charakter begriffen werden musste. Dieser Ansatz, der in den letzten Jahren immer stärker ins Blickfeld der Forschung geraten ist, wird in den letzten Jahrzehnten von den Überlegungen begleitet und vertieft, die Hans Erich Bödeker in seinem Beitrag zu dem 1988 von Rudolf Vierhaus herausgegebenen Sammelband "Aufklärung als Prozeß" in Bezug auf die 'gesellige' Dimension der Epoche anstellte. Indem er Kants Auffassung der Aufklärung im Sinne eines dynamischen Prozesses weiterdachte, erklärte Bödeker den öffentlichen Gedankenaustausch zum Konstitutiv der Aufklärungsgesellschaft und begriff diese Geistesbewegung als "Kommunikationsprozess".

Das Diskursive im "geselligen Jahrhundert" ist in der Nachfolge Bödekers von zahlreichen Studien berücksichtigt worden, die Modi und Formen dieser Dimension in Augenschein genommen haben, allen voran von Michael Kempe und Thomas Maissen, die sich mit Schweizer Sozietätstypen befassen und bereits in der Einleitung "Aufklärung als Kommunikation" zum Leitbegriff ihrer Studie erklären ("Die Collegia der Insulaner, Vertraulichen und Wohlgesinnten in Zürich 1679-1790", 2002).

Neben den Arbeiten, welche die Bedeutung des kommunikativen Aspekts der Aufklärung durch die Erforschung des in ihren Manifestationen inhärenten dialogischen Moments hervorheben (vgl. die Rezension des Buches von Alexandra Kleihues "Der Dialog als Form" in literaturkritik.de 01/2004), mehren sich die wissenschaftlichen Untersuchungen, welche eine umfassende Analyse des Aufklärungsprozesses durch Behandlung realer und symbolischer Räume kommunikativer Situationen anstreben: Briefwechsel, Publizistik, Kaffeehäuser und die "kommunikativen Gruppenbildungen der Aufklärer", wie sie Bödeker nennt, "Societäten" unterschiedlichster Prägung und Ausrichtung, von den Lesegesellschaften bis zu den geheimen Logen.

Das Zusammenwirken der in diesen "sozialen Orten argumentativer Auseinandersetzung" Interagierenden, um noch einmal mit Bödeker zu sprechen, ist Gegenstand des Sammelbandes, in dem Holger Zaunstöck und Markus Meumann die Ergebnisse einer im November 2000 am Interdisziplinären Zentrum für die Erforschung der Europäischen Aufklärung der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg gehaltenen Tagung nunmehr der breiteren Öffentlichkeit präsentieren.

Erklärtes Ziel der Tagung war es, über einen neuen Zugang zu reflektieren, der es gestattet, unter Wahrung der hierfür notwendigen methodischen und fachspezifischen Vielfalt, "die verschiedenen neuen Forschungen zur Vergesellschaftung im 18. Jahrhundert zu einer aktuellen Sozietätsgeschichte zu bündeln". Ausdrücklich u. a. an Bödeker anknüpfend, meinte man diesen Zugang in einer Kommunikationsgeschichte gefunden zu haben, die sich nicht in einer beschreibenden Mediengeschichte erschöpft, sondern die die "kommunikative Interaktion" der Beteiligten in den Vordergrund stellt, wobei hier Kommunikation "einen Informations-, Meinungs- und Wissenstransfer und daraus resultierend einen kritischen Austausch" meint.

Den neuen Ansatz sinnfällig zu machen, Aufklärungsforschung und frühneuzeitliche Kommunikationsgeschichte miteinander zu verknüpfen und "die Sozietätsbewegung als innovativen Beitrag des Aufklärungsjahrhunderts zur Genese von übergreifenden Kommunikationsstrukturen" zu betrachten, wird einzelnen Fallstudien überantwortet, die in die drei im Titel vorweggenommenen Abschnitte - "Sozietäten", "Netzwerke" und "Kommunikation" - gegliedert sind.

Die mitteldeutschen gelehrten Kollegien des 17. und 18. Jahrhunderts werden im ersten Teil von Detlef Döring unter die Lupe genommen und in ihrer engen Verbindung zu den Universitäten sowie in ihrem vorbildhaften Charakter für andere Zusammenschlüsse von Gelehrten, besonders für deutsche Akademien, mit der Zielsetzung präsentiert, tatsächlich bestehende Beziehungen zwischen Akademiebewegungen und Universitäten herauszuarbeiten. Eine Sozietät mit enger Anbindung an eine Universität, hier die "Teutsche Gesellschaft" in Gießen, nimmt auch Robert Seidel in den Blick, um eine Funktionalisierung der Literatur im Sinne einer "berufsvorbereitende[n] Aufgabe" studentischer Gruppen herauszuschälen. Es folgen Betrachtungen zu den Verschränkungen zwischen geheimen und öffentlichen Gesellschaften in der Gesellschaft "Naturforschender Freunde" in Berlin (Katrin Böhme), zur Nutzbarmachung besonderer Quellen wie Ego-Dokumenten (Joachim Bauer) und Statuten (Markus Meumann) für die Erforschung von Studentenorden und Logen sowie eine fleißige quellengeschichtliche Untersuchung zur "Gesellschaft der Althertümer" in Kassel (Annett Volmer).

Im Abschnitt "Netzwerke" befassen sich Hermann Schüttler, Renko Geffarth und Karlheinz Gerlach mit netzwerkartigen Strukturen von Sozietäten, wobei der Schwerpunkt eindeutig auf arkanen Gesellschaften wie dem Illuminaten-Orden, den Gold- und Rosenkreuzern und den Freimaurern liegt. Ihnen steuert Christine Haug Wissenswertes und Kluges über eine kurzlebige, für die Zielsetzung des Bandes jedoch sehr beachtenswerte Gießener Frauenlesegesellschaft um 1790 bei.

Ein Beispiel für die enge Verknüpfung von Politik und Geheimgesellschaft im ausgehenden 18. Jahrhundert, für das Ineinanderübergehen von arkanem und öffentlichem Wissen liefert Reinhard Markner in seiner Studie über Kommunikation.

Anhand des "Indissociabilisten-Ordens" in Halle in den Jahren 1783 und 1784 untersucht dann Holger Zaunstöck, Mitherausgeber dieses Bandes und Autor einer viel beachteten, bahnbrechenden Studie zur Vergesellschaftung im deutschen 18. Jahrhundert ("Sozietätslandschaft und Mitgliederstrukturen. Die mitteldeutschen Aufklärungsgesellschaften im 18. Jahrhundert", 1999), die Denunziation im Hinblick auf die studentische Subkultur an deutschen Universitäten, indem er sie als "kommunikative[n] und spezifisch lebensweltlich motivierte[n] Akt" zwischen zwei Kommunikationsräumen, den geheimen Studentengesellschaften und der Universitätsleitung, begreift.

Von der umsichtig-klugen Verwaltung bestehender Kontakte und Netze durch die "Jenaer naturforschende Gesellschaft" schreiben Paul Ziche und Peter Bornschlegell, welche die Kommunikationsstrategien einer naturwissenschaftlichen Gesellschaft sowie deren Vernetzungsstrategien kritisch reflektieren, die das gelehrte Europa der Aufklärung mit unsichtbaren Fäden umsponnen.

Der bemühte Aufsatz Christine Dahmis' über Preisschriften italienischer Akademien und Sozietäten schließt diese Sektion und den Band ab.

Nicht alle Beiträge erreichen eine reife Ausgewogenheit und sichere Handhabung des von den Initiatoren der Tagung und Herausgebern des Bandes gewählten methodologischen Ansatzes, was wegen des werkstattartigen Charakters des Neuland betretenden Unterfangens durchaus nachvollziehbar ist. Ihnen allen ist jedoch die aufrichtige Bemühung um das Erreichen des anvisierten Ziels gemeinsam, Sozietäten als "integrale[n] Bestandteil der Kommunikationskultur vor 1800 und zugleich ein innovatives, qualitativ neues Element derselben" zu präsentieren: Ein überaus überzeugender, erfolgversprechender Ansatz, dem man weitere, daran anknüpfende Arbeiten zur Vervollständigung des Bildes einer ganzen Epoche an die Seite wünscht.

Titelbild

Holger Zaunstöck / Markus Meumann (Hg.): Sozietäten, Netzwerke, Kommunikation. Neue Forschungen zur Vergesellschaftung im Jahrhundert der Aufklärung.
Max Niemeyer Verlag, Tübingen 2003.
310 Seiten, 78,00 EUR.
ISBN-10: 3484810211

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