Eine Frau zu viel?

Wilhelm Genazino erzählt von der Liebeskrise eines älteren Mannes

Von Mechthilde VahsenRSS-Newsfeed neuer Artikel von Mechthilde Vahsen

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

"Zwei Frauen oder zwei Männer sind die Mindestüppigkeit, mit der wir den Kampf gegen unser armseliges Leben antreten können, ohne uns gleich dem Gesetz der Kargheit auszuliefern." Diese Meinung vertritt der männliche Protagonist in Wilhelm Genazinos neuem Roman "Die Liebesblödigkeit", den der Büchner-Preisträger von 2004 nun nach seinem viel gelobten Essayband "Der gedehnte Blick" im Frühjahrsprogramm des Hanser Verlags vorlegt.

Was plagt den alternden Fachmann für Zivilisationsapokalypse, der mit Seminaren und brillanten Vorträgen sein Geld verdient? Es ist das Altern, das "dieser nervöse, im Gesicht grünlich-gelbe, im Nacken zu starke und im ganzen zu unelegante Mensch" seit geraumer Zeit sehr deutlich körperlich erlebt: Zähne wackeln, braun-schaumiger Urin beunruhigt, Kompressionsstrümpfe werden verschrieben, Krämpfe führen zum Abbruch sexueller Handlungen, das Gedächtnis lässt nach, die Haut reagiert mit Ekzemen, hypochondrische Anflüge mehren sich, Beinahe-Impotenzen sind gerade noch zu vertuschen - die Altersangst beginnt ihn umzutreiben. Er steuert in eine Lebenskrise, weil er glaubt, eine existenzielle Entscheidung treffen zu müssen: Die nachlassende körperliche Kraft erlaube ihm nicht mehr, seine beiden Beziehungen zu Judith und Sandra weiter so zu leben wie bisher.

Die Krise ist also selbst inszeniert und beschäftigt den Apokalyptiker täglich, während seiner Seminare, während des Beischlafs, während seiner Spaziergänge durch die Stadt. Er denkt nach über sein Leben, die seit langem geschiedene Ehe mit Bettina, die in einem Institut für Schockforschung arbeitet - und kann sich einfach nicht entscheiden, denn zur Altersangst gesellt sich massive Entscheidungsangst. Der Spezialist für Apokalypsen muss zugeben: "Auch ich werde, wie alle anderen, sehenden Auges auf eine Katastrophe zugehen, etwas anderes ist dem Menschen nicht möglich."

Die ihn umgebenden Freunde und Bekannten mit ihren speziellen Leidenschaften können ihm nicht helfen: Da wäre der Post-Hasser, der Ekel-Berater, eine Staubexpertin und sein ehemaliger Freund, der Philosoph, der sich als Versicherungsangestellter verdingt. Erst die Experimente des Panik-Forschers bereiten im Ich-Erzähler eine zentrale Erkenntnis vor, die ihn zugleich mit dem Altern aussöhnt und ihn das Unvermeidliche akzeptieren lässt: "Um ein großes Liebesunrecht (entweder an Sandra oder Judith) zu vermeiden, nehme ich laufende kleine Verstöße gegen die Ethik (die Untreue) stillschweigend in Kauf. Es beglückt mich, daß ich zu dieser Überlegung fähig bin. Sie läßt mich zitternd, aber zufrieden als Überlebenden der Liebe zurück. Es ergreift mich eine gehobene Trauer, die durch ihre Leichtigkeit in ihr Gegenteil übergeht. So verwandelt sich die Todesangst in eine sich unbemerkt nähernde Sterblichkeit."

Mit Hilfe dieser sich im Roman langsam entwickelnden Sichtweise ist es ihm möglich, die unnennbare Sehnsucht, die er nicht recht zu benennen weiß - ist es Liebesverblödung, ist es Liebesblödigkeit? - und die ihn zeitgleich mit seinen Ängsten umtreibt, einzuordnen. Nach vielen Monaten der Ungewissheit mit seiner begrenzten körperlichen Existenz gewinnt er ein neues Selbstvertrauen, das in der Entscheidung gipfelt, beide Beziehungen weiterzuführen. Erleichtert kehrt der Protagonist wieder in die Bereiche der Belanglosigkeit zurück, die ihm die liebsten sind, weil er innere und äußere Tumulte nicht mag.

Damit verschwindet er erneut in der Menge, aus der ihn der Autor herausgeholt hat. Eine typische Geste für Wilhelm Genazino, der sich die "Gesamtmerkwürdigkeit" des Lebens zum Thema in seinen Romanen gemacht hat. Seine Darstellungsweise folgt dabei fast durchgängig mehreren Elementen: genaue Beobachtung von Details, ständiges Flanieren seiner Protagonisten durch die Stadt, Zusammenführen randständiger Berufe, das Aufzeigen des Zusammenhangs von Reflexionen und Dingen, worin es der Autor zur Meisterschaft gebracht hat. Obwohl seine Romane eher leise daherkommen, sind sie durchzogen von einer großen Intensität, die mit dieser besonderen literarischen Form der Auseinandersetzung mit elementaren Themen zu tun hat. In "Die Liebesblödigkeit" ist es die Frage nach dem Umgang mit der Liebe im Alter, beides ist nicht mit Etiketten zu belegen oder in Schubladen zu sortieren, sondern will auf je eigene Weise gelebt werden. "Altern ist nur ein anderes Wort für Unwilligkeit", sagt der Fachmann für Apokalypse, dazu gehört die Unwilligkeit sich anzupassen. Wilhelm Genazino jedenfalls bleibt seinem unnachahmlichen Stil treu.

Titelbild

Wilhelm Genazino: Die Liebesblödigkeit. Roman.
Carl Hanser Verlag, München 2005.
202 Seiten, 17,90 EUR.
ISBN-10: 3446205950

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