Eine post-postmoderne Stimme

Ein Sammelband unterstreicht die Relevanz des späten Foucault für den Feminismus

Von Rolf LöchelRSS-Newsfeed neuer Artikel von Rolf Löchel

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Foucault ist aktuell, nach wie vor. Für SoziologInnen, PolitologInnen, PhilosophInnen und WissenschaftlerInnen etlicher anderer Disziplinen. Auch für FeministInnen. Daher wundert es nicht, dass ein Sammelband, zwanzig Jahre nach seinem Tod, das Verhältnis zwischen "Feminism and the Final Foucault" thematisiert. Herausgegeben wurde der Band von Dianna Taylor und Karen Vintges, die in der Einleitung erklären, warum seine "post-postmodern voice" auch heute noch Gehör verdient. Der Grund liege in Foucaults Bemerkungen zur "politics as ethics", mit denen er das Ethische in der Praxis der Politik betone. Foucaults ethische Bemerkungen, so konstatieren die Herausgeberinnen weiter, seien mit den Zielen des heutigen Feminismus sehr gut vereinbar. Denn dessen Theorie und Politik richten sich auch auf Themen wie Krieg, Gerechtigkeit, Emanzipation und die Polarisierung der Kulturen. Dabei werde Feminismus nicht durch die Behauptung einer einzigen homogenen Identität gestärkt, sondern durch eine kritische Verpflichtung sich selbst und der Welt gegenüber. Eben hierin treffe sich der Feminismus mit dem späten Foucault.

Allerdings halten nicht alle der aus den USA, Australien und Europa stammenden AutorInnen des vorliegenden Bandes Foucaults Spätwerk für politisch vorausschauend. Vielmehr sind einige ihm gegenüber eher kritisch eingestellt. Jedoch diskutieren die Beiträge nicht Foucaults Verdienste oder die Beschränkungen und Unzulänglichkeiten seiner Theoreme. Vielmehr wollen die AutorInnen das politische Organon, das der späte Foucault zur Verfügung stellt, erörtern und es für die gegenwärtige feministische Theorie und Praxis fruchtbar machen.

Dies geschieht im Wesentlichen in zwei von drei Rubriken. Die AutorInnen des ersten Teils, "Women's Self-practices as Ethos: Historical Perspectives", stellen Frauen vor, die ethische "self-techniques" entwickelt haben, und machen so eine Entwicklungslinie in der Geschichte der "arts of existence" von Frauen deutlich. Jeanette Bloem informiert über Anna Maria van Schurman, eine holländische Intellektuelle aus dem 17. Jahrhundert, während Kathy Fergusen Emma Goldmann weniger als die bekannte politische Aktivistin, sondern als unterschätzte Theoretikerin vorstellt. Stephen M. Barber beleuchtet die letzten zehn Lebensjahre von Virginia Woolf und vertritt die These, dass die englische Autorin von 1932 bis 1941 eine Philosophie der Freiheit und eine Ästhetik der Existenz entwickelt und in "Three Guineas" dargelegt hat.

Die Beiträge des zweiten Teils, "Feminism as Ethos", analysieren den gegenwärtigen Feminismus "in terms of an ethos characterized by self-practice" und beleuchten die Konstruktionen und Erscheinungen feministischer Identitäten, Subjektivitäten und Existenzformen sowie deren Verhältnis zu den Theoremen des späten Foucault. So zeichnet Sylvia Pritsch ein höchst ambivalentes Bild der Beziehung zwischen Foucault und dem Feminismus, indem sie zwar die Möglichkeiten, die Foucaults Spätwerk für feministische Theorien bieten, unterstreicht, aber auch auf dessen Grenzen hinweist. Judith Butler widmet sich der von Foucault gestellten Frage, "how desire might become produced beyond the norms of recognition, even as it makes a new demand for recognition", und beleuchtet die "vexing" Unterscheidung zwischen Macht und Körper. Ladelle McWhorter wiederum schlägt vor, das Konzept 'Frau' nicht als Kategorie zu fassen, sondern als ein Moment von "volatility". Zugleich hebt sie die konkrete, körperliche Existenz hervor und verwirft die Vorstellung, dass eine derartige "reconceptualisation" in rein rhetorischen oder theoretischen Termini oder Bestimmungen formuliert werden kann.

Der dritte Teil schließlich, "Feminist Ethos as Politics", gilt der Theorie und Praxis des politischen Feminismus. In ihm unterstreicht Margaret A. McLaren "the possibility of a Foucauldian politics" und deren Vereinbarkeit mit feministischen Zielen. Amy Allen begründet hingegen, warum ihrer Ansicht nach Foucaults Begriff der "self-practice" dem Feminismus nur wenig zu bieten hat. Zwei Beiträge der Herausgeberinnen beschließen den dritten Teil. Dianna Taylor untersucht die Bedeutung, die Foucaults Ethik nach dem 11. September 2001 hat, und beleuchtet die Wirkungen des Terroranschlags unter dem Blickwinkel von Hannah Arendts Totalitarismuskonzept.

Auch der Beitrag der anderen Herausgeberin, Karen Vintes, steht unter dem Zeichen des 11. September. Zunächst konsterniert sie die Lesenden mit zwei Behauptungen: Zum einen warnt sie vor den "devastating" Auswirkungen der Postmoderne auf Theorie und Praxis des Feminismus, zum anderen glaubt sie im Herzen des Islam "freedom practices" zu finden, die ein freies und individuell geführtes Leben für Männer und Frauen ermöglichen. Ganz so abwegig, wie diese beiden Statements vermuten lassen, sind Karen Vintges weitere Ausführungen allerdings nicht. Denn sie bestreitet durchaus nicht, dass Frauen "often are oppressed by the Islamic moral codes". Ihre positiven Aussagen über den Islam, so wird deutlich, beziehen sich nur auf eine seiner marginaleren Strömungen, den tatsächlich etwas moderateren Sufismus.

Auch ihre Ablehnung der Postmoderne wird schnell relativiert, bekundet sie doch nicht nur Sympathien für deren theoretische Ansätze. Das durchaus bedenkenswerte Anliegen ihres Beitrages, eine "post-postmodern conception of ethical universalism" zu entwerfen, ist sogar positiv mit der Postmoderne verknüpft. Denn der ethische Universalismus, den der Feminismus als weltweite Bewegung vertreten müsse, sei auf postmoderne Einsichten zu gründen.

Mit ihrem Entwurf eines ethischen Universalismus wendet sich Vintges gegen einen multikulturalistischen Werterelativismus, an dessen Stelle sie einen "cross-cultural" Feminismus setzt, der zwar "universal norm[s]" vertrete, aber nicht versuche, der Welt westliche Standards aufzuerlegen. Das klingt vielversprechend. Ob der Sufismus allerdings, wie Vintges meint, ein geeignetes Beispiel dafür ist, dass sich feministische Bestrebungen nicht notwendigerweise auf den westlichen Liberalismus berufen müssen, um ein freies und selbstbestimmtes Leben für Frauen fordern zu können, mag dahingestellt sein.

Titelbild

Dianna Taylor / Karen Vintges (Hg.): Feminism and the Final Foucault.
University of Illinois Press, Champaign, IL, USA 2004.
307 Seiten, 45,90 EUR.
ISBN-10: 0252071824

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