Anti-Disziplin und Nike

Friedrich von Borries über situationistisch verbrämte Marketingpolitik

Von Johannes SpringerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Johannes Springer

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Dass Subversion und Abweichung nicht mehr so einfach und eindeutig funktionieren, sondern im Gegenteil sogar als Ressource benutzt werden für alle möglichen systemstabilisierenden Imperative, hat sich langsam herumgesprochen. Ob es die These vom Minderheitenmarketing ist, die Holert und Terkessidis aufstellten, oder kulturwissenschaftliche Beobachtungen über neue Anforderungen an Arbeitssubjekte, die nunmehr wie anarchistische Do-It-Yourself Manager kreativ und dissident agieren sollen - es gilt, dass Eigensinn, Kritik und Abweichung als subkulturelle Verhaltensweisen zu marktförmig hochgradig begehrten Mustern geworden sind.

Sehr wichtige und praxisorientierte Techniken der Subversion kamen aus der Revolutionstheorie der Situationistischen Internationale. Sie galten primär dem Kampf in den Städten, vor allem dem funktionalistischen, disziplinierten und kontrollierten urbanen Raum. Verschiedene Methoden sind in ihren experimentellen Feldforschungen entstanden oder weiterentwickelt worden, die allesamt auf emanzipative Praxen im Stadtraum abzielen sollten. Die Psychogeografie, die Konstruktion von Situationen, aber vor allem die Entwendung (détournement) und das Umherschweifen (dérive) sollten als alltagsrelevante Interventionen vor dem Hintergrund einer Strategie des Klassenkampfes in Gebrauch genommen werden. Das Détournement sollte als eine Kunst des Eigensinns verstanden werden, die instabilen Bedeutungen von kulturellen Gegenständen auszunutzen und sie im Geiste eines oppositionellen Gebrauchs zweckzuentfremden, während das Umherschweifen die Stadt als Schauplatz revolutionärer Eingriffe in den Blick nimmt und Handlungsmöglichkeiten für eine spielerische, räumliche Aneignung auslotet. Bereits antizipiert wurde von der Situationistischen Internationalen die Gefahr, das System könne sich selbst weiterentwickeln und modernisieren durch die Integration der eigentlich als Negationsmomente gedachten Strategien der widerspenstigen Entwendung. Mit dem Begriff der Rekuperation wird jene Kraft bezeichnet, die die Entwendung aufnimmt, sie ihres systemtranszendierenden Charakters beraubt und damit in Techniken des Spektakels verwandelt, wie es in der Diktion der Situationisten heißt. So lässt sich in ihren Texten lesen: "Die subversiven Konzepte werden ihres Inhalts entleert, sie werden im Dienst der aufrechterhaltenden Entfremdung neu in Umlauf gebracht - der umgekehrte Dadaismus. Sie werden zu Werbeslogans."

Der Berliner Architekt und "Raumtaktiker" Friedrich von Borries legt nun eine Arbeit vor, die sich in kapitalismuskritischer Intention mit einem solchen Fall der Rekuperation beschäftigt. Im Marketingverhalten des Sportartikelherstellers Nike sieht er eine Praxis, die subversive Kritik und Widerstand aufnimmt und in eigene Werbestrategien transformiert. Unter dem Stichwort des "Corporate Situationism", das er vom bereits erwähnten Tom Holert entlehnt, führt er aus, wie es Marken - in diesem Falle Nike - schaffen, mittels eigentlich widerständig gedachter Tricks eine begehrte Identität zu kommunizieren. Der Clou ist also, dass antikapitalistisch gemeinte Methoden von Firmen wie Nike übernommen werden und die Stadt in beiden Fällen die zentrale Rolle spielt. Während aber die Architektur in der Moderne Räume für eine egalitäre Realität schaffen sollte, führt Borries aus, dass der heutige Funktionalismusbegriff sich dahingehend verwandelt hat, dass Architektur und Stadtplanung nunmehr Markenidentitäten entwickeln sollen. Dabei aktiviert Nike Orte in Anlehnung an radikale Protestbewegungen, indem via urbaner Interventionen Markenräume als spontane, freie und unkontrollierte Erlebnisse inszeniert werden. Der markige Spruch "Just Do It", der das Ausbrechen aus dem Alltag meint und die Überzeugung transportiert, alles schaffen zu können, wenn man sich nur genug mobilisiert, ein Spruch also, der gleichzeitig einen Geist des Widerstandes, der Guerilla, des totalen Wettbewerbs und der absoluten Selbstoptimierung impliziert, ist dabei ein Fanal für die ideologische Stoßrichtung des Konzerns. Von Borries ruft an diesem Punkt einen Spot in Erinnerung, der Mitte der 90er Jahre mit den beiden amerikanischen Tennisstars Andre Agassi und Pete Sampras warb. Die beiden sind dort auf der 5th Avenue spielend zu sehen, wobei die Straße zum Tennisplatz und der Bürgersteig zur Tribüne wird. Die Botschaft ist deutlich: Die reglementierte Stadt wird unterwandert, die Funktionsweise aufgehoben und die Logik des Alltags transzendiert. Die Fesseln sind also gesprengt und der Akt listenreicher, schöpferischer Zweckentfremdung zum Image Nikes geworden.

Dass dies noch ein sehr harmloses Beispiel ist, weil von Seiten der Marke noch ohne Camouflagetaktiken operiert wird, macht von Borries an unzähligen Beispielen von Aktionen im Berliner Stadtraum, den von Borries für ein Experimentierlabor Nikes hält, klar. Neben dem Anschneiden der wichtigsten soziologischen und kulturwissenschaftlichen Diskurse zum Stadtraum bietet von Borries nämlich ein das Fürchten lehrendes Set an Projekten Nikes, sich mit der Aura subkultureller Bewegungen zu umgeben. Weder das Simulieren von Piratenradio oder die Aneignung von brachliegenden, "kaputten" urbanen Orten, Gründungen von temporären, coolen Clubs, die Bespielung von ungenutzten U-Bahnschächten noch inszenierte Demonstrationen gegen die Überlegenheit der eigenen Marke sind zu abwegig, als dass sie nicht von Nike als Strategien zur Produktion und Zirkulation des gewünschten Images eingesetzt würden. Über das Markenerlebnis soll Lust generiert werden, indem auf die Abwesenheit des Zauberhaften, Unvorhersehbaren, Unbekannten mit spielerischer Umkehrung des Alltagslebens reagiert wird. Was wie Happening oder Medienguerilla daherkommt, ist dann in Wirklichkeit ein werbewirksamer Schachzug. So ließ Nike eine Gruppe junger bezahlter Schauspieler in Berliner Museen rennen mit Plakaten, auf denen zu lesen war: "Nieder mit dem Spanischen Meister". Waren Aktionen wie diese in den 60ern, wie in Godards "Bande a Parte", noch spontane, überraschende Abweichung, ist es im Falle der Berliner Bilderstürmer nur ein Werbegag für ein am selben Abend angesetztes Fußballspiel zwischen den von Nike ausgestatteten Vereinen Hertha BSC und dem spanischen Meister FC Barcelona.

Die Instrumentalisierung des subkulturellen Stadtraums Berlins durch Nike, das Eindringen und Übernehmen subversiver Praxen wird im vorliegenden Essay hervorragend kenntlich gemacht. In einer theoretisch bestens unterfütterten Argumentation, die an Anschaulichkeit in Form der gut skizzierten Situationen kaum zu überbieten ist, wundert nur eines: dass von Borries als Strategie zur Überwindung dieser Aporie der Kritik ernsthaft den Radikalopportunismus ins Spiel bringt, eine Taktik, die seit den mittleren 80er Jahren keinen Sinn mehr macht. Die Dilemmata hackender, cultural jammender Bewegungen erkannt zu haben, muss aber auch nicht bedeuten, dafür sogleich eine Lösung parat zu haben. Dieses Eingeständnis hätte unter Umständen mehr Sinn produziert als die abschließenden raumtaktischen Floskeln. Aber womöglich war das auch schon eine Counter-Camouflage, die mitsamt ihrer subversiven Botschaft nicht so leicht entschlüsselt und rekuperiert werden will. Man darf ja schließlich nicht aufgeben.

Titelbild

Friedrich von Borries: Wer hat Angst vor Niketown? Nike-Urbanismus, Branding und die Markenstadt von Morgen.
Episode Publishers, Rotterdam 2004.
104 Seiten, 17,50 EUR.
ISBN-10: 9059730151

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