"Wir haben gelernt, selbständig zu arbeiten"

Loki Schmidts persönliche Unterrichtsgeschichte für ein besseres Lernen

Von Lutz HagestedtRSS-Newsfeed neuer Artikel von Lutz Hagestedt

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

"Im Kulturkundeunterricht waren die Fächer Deutsch, Geschichte und Religion zusammengefasst. Im Grunde war das vergleichbar mit dem, was wir heute Gesamtunterricht nennen. Eigentlich ist es das, was ich in meiner Lehrerinnenzeit mit den kleineren Kindern gemacht habe. Man hat ein Thema und versucht es von vielen Seiten anzugehen. Und dabei achtet man nicht auf Fächer, sondern wie man dem Thema gerecht wird."

Loki Schmidt, die Frau unseres Alt-Bundeskanzlers Helmut Schmidt, war fast 30 Jahre lang Lehrerin und zeitlebens eine Pädagogin von Rang und Engagement. Aus einem Arbeiter-Haushalt stammend kam ihr, als sie selbst eingeschult wurde, zugute, dass es Elternhaus und Schule gleichermaßen verstanden, die Neugierde der Kinder zu wecken und zu befeuern. Als in den 20er Jahren Alfred Wegeners Kunde der Kontinentalverschiebung die in Hamburg-Hohenfelde lebende Familie Glaser erreichte, da schnitt der Vater die Silhouetten Afrikas und Südamerikas aus Zeitungspapier aus und fügte sie zusammen - und siehe, sie passten wunderbar.

Der Vater besaß einen selbstgezimmerten Bücherschrank, und schon lange vor ihrer Einschulung konnte die vierjährige Loki lesen. Und an dem, was sie in der Schule lernte, ließ sie ihre Eltern teilhaben, die bildungshungrig eine Volkshochschule besuchten und sich mitunter auch über die Schulbücher ihrer Kinder beugten. In der Turnhalle baute der arbeitslose Vater Anfang der 30er Jahre eine Bühne für Schüleraufführungen - das Material dazu stifteten die Lehrer. Ein Nähmütterkreis versuchte, die Kleidung der Allerbedürftigsten wieder herzurichten, Kochmütter versorgten die Schülerinnen und Schüler mit einer warmen Mahlzeit.

Loki Schmidt berichtet im Gespräch mit dem Hamburger Erziehungswissenschaftler und Schulhistoriker Reiner Lehberger davon, wie sehr Eltern einst auf die schulische Ausbildung ihrer Kinder Einfluss genommen haben. Nur circa fünf Prozent eines Jahrgangs kamen auf eine höhere Schule. Loki wechselte nach ihrer Grundschulzeit in der Reformschule Burgstraße auf eine Lichtwarkschule, deren pädagogisches Konzept den fächerübergreifenden Gesamtunterricht propagierte - Lesen, Schreiben und Rechnen wurden anhand bestimmter Sachthemen quasi "organisch" eingeübt. In den Reformschulen der Zeit gab es im ersten Schuljahr keinen Stundenplan, sondern die Schüler wurden mit Gesamtthemen aus dem Alltagsleben konfrontiert und erarbeiteten sich Probleme und Lösungen an Zweier- und Gruppentischen: "Wir haben gelernt, selbständig zu arbeiten."

Im Sommer wurde die Schule in ein Schullandheim verlegt, ein altes Gebäude am Schönberger Strand, das die Eltern selbst hergerichtet hatten. Und jedes Jahr war eine Semesterarbeit zu schreiben, deren Thema man sich selbst wählte. Loki, die sich früh für Pflanzen interessierte, stellte sich beispielsweise eine Biotopaufnahme zur Aufgabe und untersuchte ein kleines Moor. Pflanzen wurden gezeichnet und bestimmt, und später, in einer weiteren Jahresarbeit, auch die Vögel der Insel Helgoland.

Das Schülerleben der Loki Schmidt, geborene Glaser, fand seine aufregende Fortsetzung im Lehrerinnenseminar und im Schulunterricht. 1940, damals 19 Jahre jung, übernahm sie ihre erste Schulklasse mit 60 Schülern (die Parallelklasse hatte 63 Schüler), und auch nach ihrem Ausscheiden aus dem aktiven Schuldienst blieb sie dem Thema Schulisches Lernen treu. Neben der Wertevermittlung durch Schule und Elternhaus und der Eliteförderung durch Schulen und Stiftungen war ihr dabei stets die Förderung lernschwacher Schülerinnen und Schüler ein Anliegen. Als Mitinitiatorin und Jurymitglied des Hamburger Schulprojekts Lern-Werk, das - mittlerweile bundesweit - Schüler der Jahrgangsstufen acht und neun (Hauptschule) bzw. neun und zehn (Integrierte Haupt- und Realschule) mit der Arbeitswelt konfrontiert, hat sie der Schulpolitik ebenso wie Lehrkräften, Eltern und Schülern alte pädagogische Rezepte der Lernmotivation wieder schmackhaft gemacht. Ihr Buch ist auch das Ergebnis enger Zusammenarbeit mit Reiner Lehberger, der sich mit fachdidaktischen und erziehungsgeschichtlichen Publikationen einen Namen gemacht hat.

Titelbild

Loki Schmidt: Mein Leben für die Schule. Im Gespräch mit Reiner Lehberger.
Hoffmann und Campe Verlag, Hamburg 2005.
312 Seiten, 22,00 EUR.
ISBN-10: 3455094864

Weitere Rezensionen und Informationen zum Buch