Kompetente Lebensdarstellung

Zur abermaligen Neuauflage von Klaus Schröters Thomas Mann-Biografie in der Reihe Rowohlt Monographie

Von H.-Georg LützenkirchenRSS-Newsfeed neuer Artikel von H.-Georg Lützenkirchen

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

In der bewährten kleinen Reihe der Rowohlt Monographien erschien bereits 1964, noch mit zustimmender Beratung durch Frau Katia Mann, der der Autor in einer Nachbemerkung "dankbar und voller Verehrung" gedenkt, diese knappe und profunde Biografie Thomas Manns. 1995, zum damaligen Geburts- und Todesjahr, wurde sie neuerlich aufgelegt, und ebenso geschieht es im Jahre 2005. Als überarbeitete Neuausgabe liegt das schmale Rowohlt-Bändchen nun vor.

Thomas Mann ist heute ein Klassiker. Leben und Werk sind längst den Bereichen fachspezifischer literaturwissenschaftlicher und -historischer Betrachtungen entronnen. Zuletzt war es Heinrich Breloers viel gelobte Fernsehdokumentation, die den Lübecker Schriftsteller, sein Leben und sein Schaffen einem Millionpublikum nahe brachte. Was also ist noch zu erzählen? Schröter gliedert seine Darstellung nach vier, der Mann'schen Lebenschronik zugeordneten Schwerpunkten: Er beschreibt zunächst die "Patrizische Herkunft" des 1875 geborenen Thomas Mann, welche die Lübecker Jugendjahre bis zum Umzug nach München im Jahre 1893 umfassen. "Auf dem Weg zum Ruhm" lag anschließend der zweijährige Italienaufenthalt (1896-1898) mit Bruder Heinrich sowie die Münchner Jahre bis zum Ersten Weltkrieg. Danach begann der "Demokratische Aufbruch" in die Weimarer Republik bis 1933, dem ersten Exiljahr. Die Folgezeit bis zum Tode 1955 ist zusammengefasst unter dem Titel "Der Weltbürger". Der dahin führende Weg aus deutschbürgerlichen Verhältnissen hinaus lässt sich in Schröters Darstellung wie ein Entwicklungsroman lesen. In enger Verzahnung mit Werkdeutungen wird der Werdegang aus einem "romantisch umdüsterten Nationalismus" zu "freiester humaner und politischer Liberalität" deutlich. Zudem zeigt die Darstellung, dass das eine ohne das andere gar nicht zu haben gewesen wäre. Denn Thomas Manns Bildungs- und Entwicklungsprozess ist eine ständige "Aufhebung" im Hegel'schen Sinne. Der Bewusstseinszustand des Lübeckers erfuhr durch jeweils neue Erkenntnisse und literarisch-künstlerische Erfahrungen eine Bereicherung, die es ihm ermöglichte, sich "auf einer höheren Stufe des Bewusstseins" von "den Resten früh aufgenommener konservativer Lehrmeinungen" zu befreien und schließlich zum Weltbürger zu reifen.

Vorauszusehen war das nicht unbedingt. Seinen frühesten veröffentlichten Texte hatte Thomas Mann selbst noch "schreiende Unreife" attestiert. Zudem irritierte in vielen Werken ein deutschnational und antisemitisch tümelnder Tonfall: "TM war zu dieser Zeit im politischen Sinne ein Reaktionär. Man sollte das nicht zu retuschieren suchen." Eine Erklärung für die politischen Fehlleistungen Thomas Manns liefert Schröter, indem er das biografische Element als frühe Triebkraft des Mann'schen Schaffens erläutert. Hier wirkte vor allem die schmerzende Konkurrenz zum Bruder Heinrich. Der beherrschte die Kunst des essayistischen Einwurfs ebenso wie eine politisch inspirierte (zudem erfolgreiche) Romanform, die dem Bruder wie Bekenntnisliteratur vorkam. Dieser in den eigenen "Bekenntnissen eines Unpolitischen" so ungerecht und boshaft als Asphaltliteratur diffamierten "Schriftstellerei" setzte Thomas Mann ein romantisch idealisiertes, subjektives Künstlertum entgegen. Hinzu kam eine weltabgewandte "Sympathie mit dem Tode", eine Floskel, die Thomas Mann dem Komponisten Hans Pfitzner abgelauscht hatte. Spürbar wird in dieser Lebensphase Thomas Manns das Bemühen, mit derart idealisierten Konstruktionen in der schmerzhaften Konkurrenz mit dem Bruder zu bestehen. In der Praxis bedeutet das aber, dass Thomas Mann in einer eigenwilligen Mischung aus politischer Naivität und gefährlich subjektivem Trotz selbst sich zur "Schriftstellerei" gedrängt sieht - ein Feld, in dem er fehl besetzt ist. Erst nach der Versöhnung mit dem Bruder 1922 kann Thomas Mann sich von den Zwängen befreien. Nun erst kann ein Werk wie der "Zauberberg" entstehen, in dem ein naiver Held es lernen muss, seine Sympathie mit dem Tod zu überwinden. Nun auch konnte Thomas Mann eindeutig zugunsten der Demokratie und des ihr zugrunde liegenden Wertekonsenses eintreten: "Erst an seinem romantisch umdüsterten Nationalismus ist Thomas Manns Entwicklung zu freiester humaner und politischer Liberalität zu ermessen...".

Längst war zum autobiografischen Antrieb der pädagogische gekommen - Folge der Beschäftigung mit Goethe. Einleuchtend führt Schröter aus, dass Goethes "trotziger Lebenspositivismus" Thomas Mann zunächst noch "verwirrt" habe. Dann aber "entwickelte sich die Metamorphose, die Thomas Mann von der Sympathie mit dem Tode zum Lebensdienste führte..."

So wurde Thomas Mann noch während der Weimarer Republik zum Repräsentanten eines demokratischen Humanismus. Eine Rolle, die ihm während der Exilzeit ebenso Anerkennung brachte, wie sie verpflichtend für ihn war. Es mutet wie eine Ironie der Geschichte an, dass Thomas Manns überparteiliche Repräsentanz für Demokratie und Humanismus nach 1945 neuerlich an den politischen Realitäten zu scheitern drohte. Während ihm in Amerika die hysterischen, antikommunistischen McCarthy-Untersuchungen zusetzten, ergoss sich in Europa, vor allem aber in Deutschland, nach 1945 "ein Katarakt des Übelwollens über ihn." Da wurde mit "tränentrieschkeschem Lamento" die "äußere" gegen die "Innere Emigration" ausgespielt, deren Vertreter Thomas Manns politische Kompetenz im Übrigen mit "geistigen Unsauberkeiten" zu diffamieren suchten. Der aber demonstrierte - unabhängig von den beginnenden Ost-West-Konfrontationsmustern - im Goethejahr 1949 "sein Weltdeutschtum", als er sowohl im Westen als auch im Osten der deutschen Lande auftrat. So stießen die kleinkarierten Anfeindungen ins Leere. "Das letzte Jahr" 1955 wurde "durch das nicht vorauszusehende Maß der Ehrungen zu einer Via triumphalis erhöht: Das ganze Deutschland nahm Thomas Manns Huldigung an Schiller mit einhelliger Beistimmung, ja Ergriffenheit auf."

Titelbild

Klaus Schröter: Thomas Mann. Biographie.
Rowohlt Verlag, Reinbek bei Hamburg 2005.
197 Seiten, 8,50 EUR.
ISBN-10: 3499506777

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