Betrachtung eines Unpolitischen?

Manfred Görtemakers Darstellung "Thomas Mann und die Politik" bleibt konventionellen Deutungen verhaftet

Von H.-Georg LützenkirchenRSS-Newsfeed neuer Artikel von H.-Georg Lützenkirchen

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

"Zum ersten Mal seit Jahrzehnten wird mit diesem Buch in einer geschlossenen Darstellung das schwierige Verhältnis Thomas Manns zur Politik ausgelotet", heißt es im Klappentext des Buchs, womit zugleich eine scheinbare Relevanz der Thematik erläutert ist.

Der Autor Manfred Görtemaker ist als Thomas Mann-Kenner bislang noch nicht in Erscheinung getreten. Sein Fach ist die Geschichte, speziell die deutsche und europäische Geschichte des 19. und 20. Jahrhunderts. Man mag darüber spekulieren, ob ein derart fachfremder Zugang nicht auch den Umständen eines Thomas Mann-Jahres geschuldet ist, in welchem dann auch entdeckt wird, dass lange nichts mehr zu Thomas Manns Umgang mit der Politik publiziert worden ist.

Umso berechtigter ist allerdings dann auch die Nachfrage, ob aus einem solchen Beweggrund tatsächlich Neues und Interessantes zutage gefördert wird. Vielleicht liegt ja die jahrzehntelange Zurückhaltung bei der Betrachtung eines Unpolitischen auch daran, dass soviel Neues nicht zu erwarten sein darf. Thomas Mann verstand sich gewiss nicht als politischer Schriftsteller, und diese Erkenntnis gehört zum Allgemeinwissen über den Autor. Sie äußert sich auch bei Görtemaker in der Floskel von der "gewissen politischen Naivität" des Schriftstellers. Sie geht einher mit dem unterschwelligen Vorwurf, Thomas Mann habe sich nie eindeutig für die demokratische Gesellschaftsverfassung ausgesprochen. Statt dessen habe er sich, nun wieder der politisch naive Schriftsteller, den konkreten politischen Erscheinungen verweigert und sich in ein ungewisses Höheres, einen idealtypischen weltbürgerlichen Humanismus geflüchtet.

Dieses Muster sucht Görtemaker in seiner Darstellung zu belegen. Mit Kapitelüberschriften wie "Das patrizische Erbe", "Gedanken im Krieg", "Vernunftrepubikaner", "Die erzwungene Emigration", "Exil im Exil", "Verhältnis zur "inneren Emigration" oder "Rückkehr nach Europa" definiert er jeweils einen Zeitabschnitt, für welchen er zunächst anschaulich die politisch-historischen Rahmenbedingungen schildert, ehe er dann sorgsam die politischen Aussagen und Kommentare Thomas Manns zusammenträgt. Bei der Bewertung dieser Aussagen kommt er freilich kaum über die bekannten Standards hinaus. Wieder ist da die "gewisse politische Naivität" zu konstatieren. Kurzum, auch Görtemakers Darstellung neigt zur Bestätigung des Klischees vom "reinen Künstlers", dem Politik eigentlich fremd ist.

Zu fragen ist allerdings, ob diese konventionelle Herangehensweise zur Bewertung der politischen Kompetenz Thomas Manns angemessen ist. Immerhin, und das sieht auch Görtemaker, ist seine Existenz und sein Werk unmittelbar verbunden mit den einschneidenden politischen Ereignissen des 20. Jahrhunderts. In dieser Situation verzog sich der prominente nobelpreisgewürdigte Schriftsteller eben nicht in die Weltabgeschiedenheit eines idealisierten reinen Künstlertums. Im Gegenteil: Sei's gewollt oder nicht, Thomas Mann nahm die Herausforderung, die die politischen Umstände an ihn stellten, an - und fand in der Rolle des überparteilichen Repräsentanten bereits während der Weimarer Republik eine ihm angemessene Form. Zu fragen wäre nun, wie Thomas Manns feinsinnig konstruiertes Verständnis von Politik sich in der Praxis bewährte. In der zentralen politischen Frage der Zeit tat es das durchaus: bereits während der Weimarer Republik bezog Thomas Mann eine klare politische Position, und zwar gegen die nationalsozialistische Unmenschlichkeit!

Die politische Position führte allerdings nicht zur politischen Aktion. In dem Maße, wie Thomas Mann sich aber gerade dazu gedrängt sah - sei es in den ersten Monaten des Exils oder Jahre später in der Deutschlandfrage - geriet er in eine existentielle Verunsicherung. Sie gründete in der schmerzhaften Erfahrung, die er Jahre zuvor in dem angestrengten Konkurrenzkampf mit dem Bruder Heinrich gemacht hatte. Der beherrschte die Kunst des politisch-essayistischen Einwurfs ebenso wie eine politisch inspirierte und erfolgreiche Romanform. Gegen diese boshaft als "Asphaltliteratur" geschmähte "Schriftstellerei" hatte Thomas Mann geglaubt, sich behaupten zu müssen mit seinen in einer eigenwilligen Mischung aus politischer Unkenntnis und gefährlich subjektivem Trotz entstandenen "Betrachtungen eines Unpolitischen". Der Versuch missglückte, brachte Thomas Mann aber Klarheit über seine Kompetenzen: auf dem Feld der tagesaktuellen politischen Aktion war er fehl besetzt.

Doch bedeutet diese Erkenntnis keinen Rückzug aus der Welt des Politischen. Befreit von den tagesaktuellen Notwendigkeiten politischer Rücksichtnahmen, füllte er nun die Rolle eines überparteilichen Weltbürgers umso politischer aus. Nur so konnte er die weltpolitische Teilung seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs souverän ignorieren und schon bei seinem Deutschlandbesuch im Goethejahr 1949 ebenso Frankfurt wie auch Weimar besuchen. Als er dort freilich in guter Stimmung allzu wohlwollend den ostdeutschen Machthabern zusprach, wurde er, so erinnerte sich der Literaturwissenschaftler Hans Mayer, von Frau Katia dezent aber konsequent gebremst. Sie, die Realistin, wusste wohl um die Risiken des politisch naiven Übermuts ihres Gatten.

So betrachtet bekommt der politische Thomas Mann ein anderes Gewicht. Seine "weniger einem Fundus historisch-politischer Kenntnisse als seinen philosophisch-künstlerischen Überzeugungen" zu verdankenden politischen Kommentare sind dann nicht Ausdruck einer politischen Naivität, sondern deuten eine die Tagesaktualität überwindende Perspektive an: die einer auf Humanismus, Ästhetik und Bildung gründenden Menschheitszukunft. Dass eine solche Perspektive bis heute nicht zum politischen Programm geworden ist, sondern eher nach wie vor als idealistische Naivität abgetan wird, ist eben das Problem eines eingeschränkten konventionellen Politikverständnisses.

Titelbild

Manfred Görtemaker: Thomas Mann und die Politik.
S. Fischer Verlag, Frankfurt a. M. 2005.
284 Seiten, 19,90 EUR.
ISBN-10: 310028710X

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