Ende gut, alles gut

Ob Lolly Winstons Roman "Himmelblau, Rabenschwarz" mehr schafft, als auf einer Welle mitzureiten

Von Anne K. BetzRSS-Newsfeed neuer Artikel von Anne K. Betz

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Es war plötzlich überall, ohne dass wir im Vorfeld viel Werbung oder auch nur eine Ankündigung gesehen hätten: Ein Buch mit handgemaltem Cover, ein Schriftzug, der durch die Schäfchenwolken an einem frühlingshaft blauen Himmel bricht, als könne er sich nicht mehr darüber halten: "Himmelblau und Rabenschwarz" von der uns noch unbekannten amerikanischen Autorin Lolly Winston. Was ist das für ein Buch? Das Cover erinnert vage an die Veröffentlichung "P.S. - Ich liebe dich", deren Cover ebenfalls einen Himmel mit Wolken zeigt. Der Klappentext scheint eher zu einem dieser schnoddrigen Romane über mehr oder minder erfolgreiche Mittdreißigerinnen zu gehören, die plötzlich nach etwas "Wahrem" in ihrem Leben suchen müssen. Hatten wir das nicht alles schon zur Genüge?

Hier die Überraschung: "Himmelblau, Rabenschwarz" ist ein Roman über Trauer. Die Ich-Erzählerin Sophie Stanton führt den Leser mit rührend unsicherer Stimme in ihre aus den Fugen geratene Welt ein. Ihr Ehemann ist gestorben, und sie hört einfach auf zu funktionieren. Der Verlust dieses einzigen wirklichen Vertrauten, den sie je hatte, reißt eine Kluft in ihr Leben, die es - bevor sie überhaupt daran denken kann, sie zu überwinden - erst einmal einzugrenzen gilt: Kann sie weiter in diesem Haus leben? Wollte sie den PR-Job, den sie hat, eigentlich jemals wirklich? Soll sie Ethans Kleider, seine Sachen, seine Möbel, weggeben oder behalten? Soll sie wegziehen? Schafft sie es ganz allein? Und was ist mit ihrer Schwiegermutter, die nicht nur ihren eigenen Mann, sondern jetzt auch noch den einzigen Sohn verloren hat - kann sie die allein lassen?

Sophie weiß aus ihren vielen Trauerseminaren, dass es ihr eigentlich bald besser gehen müsste. Aber schließlich ist jeder Mensch anders, und vielleicht ist gerade sie diejenige, die es niemals wieder schaffen wird. Sophie wartet verzweifelt darauf, dass die Trauer nachlässt. In der Zwischenzeit verliert sie ihren Job und isst so viele Cremewaffeln, dass sie unkontrolliert zunimmt, auch Duschen tut sie nicht mehr. Dann beschließt sie endlich, dass sie sich selbst helfen muss, dass sie irgendetwas tun muss. Sie hat gehört, es hilft, etwas Gemeinsames zu zerstören: Sie zerbricht das komplette Geschirr. Sie hat gehört, backen beruhigt: Sie backt acht Kuchen auf einmal. Aber nichts hilft ihr, und sie, die niemals eigene Entscheidungen hat treffen müssen, die immer behütet war, beschließt, komplett neu anzufangen: Sie zieht fort aus Californien, in den Regenstaat Ohio. Sie sucht sich einen Job als Kellnerin. Sie verkauft ihr Haus und mietet ein neues, und sie will Bedürftigen helfen. All das tut sie in der wilden Hoffnung, dass es ihr selbst helfen wird, dass es endlich die richtige Methode ist, den Schmerz in ihr zu ersticken.

"Himmelblau, Rabenschwarz" ist erst Lolly Winstons zweiter Roman, und trotz seines traurigen Themas wurde er in Amerika zu einem großen Erfolg: Die Autorin erzählt Sophies Geschichte mit so viel Einfühlsamkeit, Wärme und - ja! - Witz, dass es zu einem echten Bedürfnis wird, ihren zögerlichen Schritten aus der Verzweiflung zu folgen. Der Titel des Buches ist Programm: Sophie erlebt in dem Jahr, in dem der Leser sie begleitet, sowohl himmelblaue als auch rabenschwarze Tage. Sie hat Erfolgserlebnisse, dann Rückschläge; sie sehnt sich nach Nähe, und doch fürchtet sie neue Menschen; sie hat das Gefühl, etwas komplett Neues aufbauen zu müssen, um ohne Ethan leben zu können, und kommt doch nicht einmal von seinem Skipullover los. In "Himmelblau und Rabenschwarz" geht es um Dualität, vor allem um Stärke und Schwäche, um Zerfall und Neubeginn. Es ist die große Stärke dieses Romans, dass er keine Helden darstellen will, dass er nicht leichtfertig mit den Gefühlen seiner Figuren umgeht, dass gezeigt wird: Manche Dinge brauchen einfach Zeit. Seine große Schwäche ist eine kräftige Portion amerikanischer Idylle mit Schlagsahne obendrauf: Erst ein schwerer Schicksalsschlag, jeder ist einsam, aber alle heilen gemeinsam, und am Ende steht ein gemeinsames Thanksgiving, bei dem sogar der Obdachlose willkommen ist. Der neue Mann in Sophies Leben muss unbedingt ein gut aussehender Schauspieler sein, die beste Freundin schickt den untreuen Ehemann emanzipiert in die Wüste, und das schwer erziehbare Mädchen, dessen sie sich angenommen hat, schafft es, ein gutes Gesellschaftsmitglied zu werden. Und Sophie backt Kuchen für alle. Ach, was ist das schön. Da ist man dann doch schon wieder bei Bridget Jones und der TV-Serie "Sex and the City". Alles große Publikumserfolge. Die man sich aber immer wieder gerne anschaut. Na gut: Thanks giving, Mrs. Winston.

Titelbild

Lolly Winston: Himmelblau und Rabenschwarz. Roman.
Übersetzt aus dem Englischen von Georgia Sommerfeld.
Droemersche Verlagsanstalt, München 2005.
462 Seiten, 16,90 EUR.
ISBN-10: 3426661292

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