Umfassende Würdigung

Eine Studie zu Grimmelshausens Courasche-Roman und seiner literarischen Rezeption im 20. Jahrhundert

Von Cornelia PlumeRSS-Newsfeed neuer Artikel von Cornelia Plume

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Die 2003 veröffentlichte Studie zur Courage in der deutschen Literatur beinhaltet detaillierte Analysen und Interpretationen zu drei bekannten Werken deutscher Literatur: Grimmelshausens "Courasche"- Roman, Brechts "Mutter Courage" und Grass' Erzählung "Das Treffen in Telgte". Die Werke von Brecht und Grass werden dabei schwerpunktmäßig in ihrer Beziehung zu Grimmelshausen untersucht.

Den breitesten Raum nimmt eine Neuinterpretation des Romans von Grimmelshausen ein. Anliegen von Battafarano und Eilert ist es, die Vielschichtigkeit des Erzählstils von Grimmelshausen aufzudecken. Damit legen die Autoren detailliert dar, welch hohe literaturhistorische Bedeutung Grimmelshausen für die deutsche und europäische Literatur zukommt und warum er als einer der großartigsten Erzähler der Barockzeit anzusehen ist.

Zu diesem Zweck nehmen sich die Autoren die brisanten Themen des Romans in einzelnen Kapiteln vor und arbeiten die Intentionen Grimmelshausens heraus. Battafarano und Eilert würdigen Grimmelshausens Roman als erste Darstellung der Auswirkungen des Krieges aus der Perspektive einer Frau in der deutschen Literatur. Es wird gezeigt, dass Grimmelshausen eine sehr kritische Sicht auf den Krieg sowie die gesellschaftszerstörenden Vorurteile seines Zeitalters hat. Gleichzeitig ist sein Weltbild zutiefst humanistisch. Seine Romane - sowohl "Courasche" als auch die anderen des simplicianischen Zyklus - klären seine Zeitgenossen über das Wesen des Kriegs auf: Der Krieg ist ein Monstrum und stellt eine extreme Bedrohung aller positiven Wertmaßstäbe dar.

Die Autoren würdigen insbesondere, dass Grimmelshausen anhand einer weiblichen Biografie zeigt, was der Krieg aus den Menschen macht: Er zwingt sie zum Schlechten. Niemand kann überleben und gleichzeitig unschuldig bleiben. Courasche überlebt in Kriegszeiten sieben Ehemänner, die sie teilweise erleidet, teilweise liebend wieder verliert. Sie wird mehrfach vergewaltigt und als Hexe diffamiert. Sie muss sich, unstet durch halb Europa ziehend, ihren Lebensunterhalt hart erkämpfen und dabei mehrfach von vorn beginnen. Nur durch Schlauheit, Zähigkeit und so manche moralische Verfehlung und Gesetzesübertretung schafft sie es zu überleben. Grimmelshausen gestaltet sie als in sich widersprüchlich, schuldig werdend, jedoch nicht als insgesamt negative Figur, sondern ganz überwiegend als Opfer und Ergebnis der Lebensumstände im 30-jährigen Krieg.

Einen wichtigen Aspekt des Romans stellt die Hexenthematik dar. Battafarano und Eilert beleuchten diese sowohl grundsätzlich als auch in Bezug auf die Courasche-Figur. Die Autoren zeigen, dass Grimmelshausen die niederen Motive der Hexenverfolgung seiner Zeit aufdeckt und damit die Dämonisierung von Frauen als Hexen scharf kritisiert.

In Auseinandersetzung mit älterer Forschung arbeiten Battafarano und Eilert exzellent heraus, dass Grimmelshausen mit seiner Courasche-Gestalt keine negative Frauenfigur im Gegensatz zu positiven Männerfiguren wie Simplicius oder Springinsfeld schaffen wollte. Grimmelshausen vermittelt auch kein negatives Frauenbild, sondern gestaltet seine Courasche als starke, sich selbst behauptende Frau in grausamer Zeit. Sie bleibt trotz vielfach erfahrenen Leides menschlich, d.h. sie hört niemals auf, die positiven Normen ihres Zeitalters zur Basis ihrer Weltinterpretation zu machen. In ihrer Neubewertung der Relation zwischen Simplicius und Courasche sehen die Autoren die Courasche als Gegenentwurf zur Lebensbeschreibung des Simplicius und als Korrektivspiegel, in dem viele Unwahrheiten und Schönfärbungen der Simplicius-Figur aufgedeckt werden.

Besonders überzeugend an der Interpretation von Battafarano und Eilert ist die detaillierte Analyse des Textes und die vielfachen Zitatbelege. Sehr gut werden die unterschiedlichen Erzähl- und Bewertungsebenen innerhalb des Textes herausgearbeitet. Im Zusammenhang damit wird an vielen Einzelaspekten aufgedeckt, wie sehr die starke Frau Courasche nur durch die Bewertungsbrille männlicher Figuren negativ erscheint, objektiv betrachtet aber tapfer ihren Überlebenskampf in einem grausamen Krieg führt.

Ein weiteres wichtiges Romanthema ist die Auseinandersetzung mit der Religion. Die Autoren zeigen, mit welch gekonntem Balanceakt sich Grimmelshausen jeder kirchenpolitischen Positionsnahme enthält, so dass er weder als protestantischer noch als katholischer Parteigänger gelten kann. Die Religionslosigkeit der Courasche-Figur ist in der älteren Forschung oft negativ gewertet worden. Battafarano und Eilert wenden dagegen ein, dass die christliche Ethik durchaus auch für die Courasche die Grundlage ihrer Selbstbewertung ist. Der Roman demonstriere jedoch, dass in Kriegszeiten durchgehendes Handeln nach christlichen Wertmaßstäben nicht möglich ist, wenn man überleben will.

So verdeutlichen Battafarano und Eilert, dass Grimmelshausen zeitgenössische Wertvorstellungen und Dogmen relativiert bzw. ganz in Frage stellt. Damit revidieren sie auch die in der älteren Forschung vertretene Auffassung von der Eindimensionalität der literarischen Darstellung Grimmelshausens.

Hervorzuheben ist auch die übergreifende Analyse des simlicianischen Zyklus. Zu diesem gehören neben dem "Courasche"-Roman der "Simplicissimus" und der "Springinsfeld". Die Autoren decken die enge Zusammengehörigkeit anhand der Gesamtkonstruktion der drei Romane auf. Alle drei sind "Autobiografien", deren Figuren-Lebensläufe miteinander verwoben sind. Deshalb wird das gleiche Ereignis oft in mehreren der Romane berichtet, jeweils aus der subjektiven Perspektive der erzählenden Figur. Battafarano und Eilert zeigen exzellent, wie Grimmelshausen diesen Aufbau für kontrapunktische Erzählverfahren, kritische Spiegelungen, gegenseitige Infragestellungen und Differenzierungen nutzt. Die "richtige" Wertung ergibt sich dabei oft erst aus dem Vergleich der verschiedenen Erzählungen. Der Leser hat die Aufgabe, sich anhand der Fakten und Motive der jeweils erzählenden Figur eine Meinung zu bilden. Damit lehrt Grimmelshausen seine Leser/-innen kritisches Hinterfragen und Relativierung, ohne selbst die Berichte seiner Figuren kritisch kommentieren zu müssen. Uns heutigen Lesern werden durch die Aufdeckung dieser erzählerischen Techniken sowohl die hohe literarische Qualität der Romane als auch ihre Vielschichtigkeit und die Brillanz des Erzählers Grimmelshausen vor Augen geführt. Battafarano und Eilert würdigen Grimmelshausen damit zu Recht als großen, fortschrittlichen und heute noch attraktiven Autor.

Im Brecht-Kapitel decken die Autoren als wichtige Motivation der Beschäftigung Brechts mit Grimmelshausen die Auseinandersetzung mit dem Krieg auf. Mutter Courage entstand 1939 bis 1941 (Uraufführung in Zürich). Brecht beschäftigte sich mit Grimmelshausen intensiv in seinem Exil in Schweden. Seine hohe Wertschätzung des Barockautors ist belegt.

Die Forscher vergleichen in diesem Kapitel Figurenaufbau und Handlungsmotivation von Figuren in beiden Werken, decken Verwandtschaften in der Geisteshaltung beider Autoren sowie Beziehungen zwischen den Figuren auf. Da Brecht den simplicianischen Zyklus und insbesondere den "Courasche"-Roman jedoch nur zur Inspiration seiner "Mutter Courage" benutzt hat, sind die Thesen kaum durch Textzitate abzusichern. Schlussfolgerungen und Wertungen bleiben deshalb wesentlich unsicherer als im Grimmelshausen-Teil des Buches. Ob tatsächlich Grimmelshausen die Negation des Kriegs in negierter Weiblichkeit darstellen wollte und Brecht die Negation des Kriegs in negierter Mutterschaft, wird die nachfolgende Forschung sicher diskutieren wollen.

Gleichwohl ist die Untersuchung der Beziehung zwischen beiden Werken sehr interessant zu lesen und sicher ein streitbarer Beitrag, der Impulse für die weitere Forschung geben wird.

Vergleichend ist auch das letzte Kapitel zu Grass' Erzählung "Das Treffen in Telgte" aufgebaut. Wiederum wird der Frage der Inspiration nachgegangen. Battafarano und Eilert arbeiten Figuren-Elemente heraus, die Grass für seine Libuschka- und Gelnhausen-Figur genutzt hat. Gleichzeitig weisen sie andere Einflüsse, Intentionen und Fakten nach, die bei der Gestaltung dieser Hauptfiguren der Erzählung eine Rolle spielten. Dabei wird ganz klar, dass auch bei Grass keine Entsprechungen zu Grimmelshausen-Figuren zu erwarten sind. Vielmehr spielt Grass mit dem "Material" aus dem "Courasche"-Roman. Sein Umgang mit Grimmelshausen gleicht dem barocker Architekten mit romanischen Kirchen - er nutzt das Material und baut auf Vorhandenem auf, schafft jedoch etwas ganz Eigenes und folgt dabei stets seiner eigenen Intention. Während die Forscher bei Brecht das Kriegsthema als zentrale Verbindung sehen, steht bei Grass das Geschlechter-Thema mehr im Vordergrund. Grass' Schwerpunktthema sehen sie jedoch in einer kritischen Auseinandersetzung mit der Funktion künstlerischer Fantasie. Dies steht im Zusammenhang mit der Nachkriegsdiskussion der deutschen Literaten, besonders der Gruppe 47, der Grass angehörte, über ihre Rolle und Aufgabe in der Gesellschaft.

Insgesamt ist die Courage-Studie von Battafarano und Eilert ein innovativer Beitrag sowohl zur Barockforschung als auch zur Frauenforschung. Bei aller Brillanz der Studie erschwert jedoch leider ein unnötig häufiger Gebrauch nicht notwendiger Fremdwörter das Lesen. Das alludierende, plateale, skatologische Fouragieren mit impotenten Invektiven bringt dem exzellenten Inhalt der Studie keinen Gewinn und macht es unnötig schwer, das Werk zu lesen.

Titelbild

Italo Michele Battafarano / Hildegard Eilert: Courage. Die starke Frau der deutschen Literatur. Von Grimmelshausen erfunden, von Brecht und Grass variiert.
Peter Lang Verlag, Frankfurt a. M. 2003.
264 Seiten, 49,00 EUR.
ISBN-10: 3039101315
ISSN: 09396241

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