Ein kluger Künstler

Zu Otto Flakes 125. Geburtstag ist sein Lebensbuch "Es wird Abend" wieder neu aufgelegt worden

Von Rolf-Bernhard EssigRSS-Newsfeed neuer Artikel von Rolf-Bernhard Essig

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Studienabbruch, Orientierungslosigkeit, Existenzsorgen freier Journalisten und Schriftsteller, Wirtschaftskrisen und höchst komplizierte Familienverhältnisse: Manchmal reibt man sich schon die Augen, wenn man Otto Flakes (1880-1963) autobiografisches Buch "Es wird Abend. Bericht aus einem langen Leben" liest. Gab es das vor hundert Jahren schon alles? Tatsächlich! Und vieles, wie die stets gefährdete Lage der ach so frei geistig Produzierenden, hat sich seit 1900 kaum geändert. Flakes sachliche Einwände gegen die bestehenden Macht- und Geldverhältnisse im Literaturbetrieb bleiben aktuell; genauso wie seine Einsichten über das Elend der Kritik.

Schon die sehr klare Beschreibung der seltsamen, von vielen Zu- und Glücksfällen geprägte "Laufbahn" eines der bekanntesten deutschen Schriftsteller der ersten Jahrhunderthälfte fasziniert. Sie hat so gar nichts Folgerichtiges, verläuft vielmehr fast bis zum 30. Lebensjahr derart im Zickzack, dass man mit dem Erfolg schon gar nicht mehr rechnet. Den Leser belohnt die Darstellung dieses Wegs mit Erkenntnissen, die zeitlos bleiben: Mut und Mutwillen liegen dicht beieinander. Flucht ermöglicht unerwartete Ankunft. Geistige und körperliche Beweglichkeit schützen oft, aber nicht immer vor Hunger.

Solche Lebensthemen Flakes finden sich in seinen Büchern wieder: Hundert biografische Romane und romanhafte Biografien, Erzählungen und Essays publizierte er, die vor allem in der Weimarer Republik Furore machten, weil hier einer klar dachte, nicht schwafelte oder herummeinte. Kurt Tucholsky pries ihn deshalb als "unseren bedeutendsten Essayisten neben Heinrich Mann, einen deutschen Wegbereiter, eine geistige Wohltat", und Stefan Zweig stellte fest: "Ganz fremd ist Flake, ich weiß es, ganz isoliert mit dieser seiner Art in unserer neueren Literatur, aber notwendig, sehr notwendig, denn er beweist den Deutschen, denen Dichtung fast immer eins ist mit Dämmerung, am besten, dass Kunst auch Klugheit sein kann und Klugheit mit Kraft."

Das gilt auch für Flakes Autobiografie, deren Faktenfülle, deren sachlicher, ruhiger und klarer Stil, deren - meist - uneitle, aber immer sehr eigenwillige Darstellung in vergangene Zeiten entführen und gleichzeitig immer noch aktuelle Probleme behandeln. Nationalismus und Fanatismus kennt der Elsässer, der zeitlebens ein bedeutender Vermittler französischer Kultur war, sehr gut, ebenso die Chancen Europas, die gerade in solchen Überschneidungsgebieten wie dem Elsass leichtfertig verspielt wurden.

Hier beginnt der Reigen seiner berühmten Freunde und wichtigen Bekannten mit René Schickele, Ernst Robert Curtius und Ernst Stadler. Doch um name-dropping geht es Flake in seinem Lebensbuch nicht. Spannend liest sich, wie er - als politischer und philosophischer Kopf - erst Publizist, dann Autor wird. Die Stationen bis dahin heißen Colmar, Straßburg, Bern, Berlin, St. Petersburg, Bologna, Rom, Paris und Frankfurt. Wahrlich trotz Geldmangels ein wanderlustiger Autor! Und einer, der die Frauen liebte. Beides wird sich erst im Alter legen.

Selten einmal stoßen altertümliche, seltsame Urteile auf über Frauen, Völker und Verdienst (interessant dagegen: jedes Jahr gibt er sein Einkommen an). Manchmal werden einem all die Personen und Einzelheiten zu viel, die kleinen Abschweifungen, aber dann bemerkt man immer wieder, wie angenehm es ist, sich einem wirklichen Strom von Gedanken und Ereignissen anzuvertrauen, der ruhig fließt - tändelnd dann und wann, aber nie träge. Wie kann Flake doch Landschaften beschwören, wie klar politische Tatsachen erläutern, wie ernst und ironisch seinen eigenwilligen Lebenswandel beschreiben! Dass dabei Werke entstehen, vergisst er nicht. Er nennt sie allerdings mehr, als dass er ausführlich würde. Warum sollte er seine dort deutlichen Gedanken hier unredlich verkürzt wiedergeben!

Stolz, Elan, Freisinn behält er in der Zeit nach 1933, in der er mit seinem Werk, obwohl er auf Bitten seines Verlegers Bermann Fischer das NS-Loyalitätsbekenntnis unterschreibt, zunehmend unterdrückt wird. Flake findet es seltsam und aufschlussreich, dass die verachteten Nazis seine liberale politische Essayistik offenbar nicht zur Kenntnis genommen haben und ihn persönlich in Ruhe lassen.

Nach 1945 beginnt für ihn eine schwerere Zeit, als fast niemand mehr in den Medien seine Mitarbeit wünscht und nur wenige Bücher, dazu unter recht chaotischen Bedingungen, erscheinen können. Seinen Stolz verliert er dabei nicht. So aufschlussreich noch seine detaillierte Beschreibung der Okkupation Baden-Badens durch die Franzosen und die plötzliche Umfärbung brauner Funktionäre ist, so sehr verwundert einen doch die Anspruchshaltung Flakes, der doch wissen konnte, dass es anderen Autoren weit schlechter ging.

Er erlebte 1958 dann doch noch ein Comeback. Sigbert Mohn nimmt ihn in Verlag, Rolf Hochhuth betreut ihn als begeisterter Lektor, eineinhalb Millionen seiner Bücher verkauft man allein bis 1963.

Flake konstatiert es erfreut, führt selbstbewusst die verdienten Ehrungen auf, dazu solche, die er eigentlich verdient hätte. Wichtiger ist ihm bis kurz vor seinem Tod das Denken, das Schreiben. Und das endgültige Scheiden inszeniert er noch im Buch: unweinerlich natürlich, gottlos, bildungsgetröstet, allein.


Titelbild

Otto Flake: Es wird Abend. Bericht aus einem langen Leben.
S. Fischer Verlag, Frankfurt a. M. 2005.
622 Seiten, 12,90 EUR.
ISBN-10: 3596166365

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