Triumph der gequälten Ich-AG

Noch einmal F. K. Waechter - "Der Affe des Strandfotografen"

Von Laslo ScholtzeRSS-Newsfeed neuer Artikel von Laslo Scholtze

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Es beginnt mit der Sicht "aufs winterliche Meer". Man blättert um. Das Meer. Und wieder das Meer. Große, ruhige, unbewegte Seiten lang werden Blau- und Grau-, schließlich auch Grüntöne variiert, während der Einsturz einer windschiefen Bretterhütte Schritt für Schritt, fast in Daumenkinomanier, vorgeführt wird. Der Einbruch der Nacht, das kühle Licht des Tages, die Wellen, der Wind und eine rätselhafte Holzkiste sind die Akteure des "Naturtheaters", mit dem die Geschichte episch anhebt. Man hat schon ein Viertel aller Seiten umgeblättert, bis der Protagonist erscheint - "Ein Hund? Ein Mensch!" - und "mit leiser, rauher Stimme" zu erzählen beginnt.

Er hat lange gebraucht, um anzukommen. Er spricht leise, ohne überflüssige Ausschmückungen, vielmehr sparsam, schlicht, nur das Nötigste. Es wird schnell klar, dass weder dieser kalte Strand noch die Geschichte unseres Erzählers ein Ort sind, der einem das Herz wärmen wird. Es ist die bittere Geschichte eines Versklavten, der, bereits in Gefangenschaft aufgewachsen, grausam ausgebeutet wird. Er muss das Publikum zum Lachen bringen, tut er es nicht, wird er von seinem "Herrn" unter Drogen gesetzt. Bis der "Affe des Strandfotografen" schließlich seinen Peiniger mit ebendiesen Drogen vergiftet - jetzt lacht das Strandvolk über den Fotografen, der noch am selben Abend stirbt.

Wer F. K. Waechter als Zeichner und Erzähler kennt, dessen Humor irgendwo zwischen skurril und tabulos, obszön und lakonisch, derb und anmutig liegt, den erstaunt die Ernsthaftigkeit, die zu keiner Zeit in dieser Geschichte aufgehoben wird. Der Schmerz des Misshandelten schaut einen auf ein, zwei Bildern aus Affenaugen zwischen traurigen Falten an. Ansonsten bleibt die Melancholie hinter dem Erzählten verborgen, weil es der namenlose Affe ist, der bestimmt, wieviel von ihr preisgegeben wird. Und das ist nicht mehr, als er als Geschäftsmann, der er geworden ist, für nötig hält, um seine Ware an den Mann zu bringen. Er will keinen Trost, kein Mitgefühl, sondern "drei Euro dreißig".

Die Grausamkeit seines Schicksals ist sein Kapital geworden. Und dass er darüber verfügen kann, wenn auch als Marketingprodukt, macht seine wiedergewonnene Würde aus. Er ist nun, wenn man so möchte, sein eigener Ausbeuter, eine Affen-Ich-AG, und kann die Distanz zur Kundschaft bestimmen, zu deren Erheiterung er früher gequält wurde. Die Selbstständigkeit, für die er den Strandfotografen getötet hat, ist sein Triumph. Die Einsamkeit und Gefühlskälte ist er damit nicht losgeworden. Man wünscht ihm einen Freund zum Lausen.

F. K. Waechter beschäftigte zuletzt die Feuilletons. Abschieds- und Ehrerbietungsworte, ebenso wie biografische Rückblicke und Nachrufe auf den Verstorbenen. "Der Affe des Strandfotografen" mag zu den ungewöhnlicheren Werken Waechters gehören, zu seinen allerbesten wahrscheinlich nicht. Die Aquarell- und Tuschezeichnungen lassen einen, wie die Geschichte im Ganzen, in ihrer Reduziertheit doch oft ratlos zurück. Und noch mehr als in "Die Schöpfung", die auch rätselhaft-anmutig, nicht aber gleichermaßen verschlossen ist, fragt man sich, wozu es das große, verschwenderische Format gebraucht hat. Irgendwann wird es ja auch, Entschuldigung, eine Frage des Preises.

Aber vielleicht ist eine wichtigere Frage, wie weit man mit dem "kindlichen Betrachter am Steuer" (Wolfdietrich Schnurre) zu segeln vermag. Liebhaber und Fans, also solche, die in Waechters Wind zu segeln wissen, werden auch dieses Buch schätzen.


Titelbild

Friedrich Karl Waechter: Der Affe des Strandfotografen.
Diogenes Verlag, Zürich 2004.
56 Seiten, 28,90 EUR.
ISBN-10: 3257020791

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