Der postmoderne Kater

Martin Tauss zur deutschsprachigen Drogenliteratur nach 1945

Von Stephan ReschRSS-Newsfeed neuer Artikel von Stephan Resch

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Ende der 90er Jahre wurde an der Universität Wien das interdisziplinäre Forschungsprojekt "Drogen und Sucht" ins Leben gerufen. Zahlreiche soziologisch, historisch, politikwissenschaftlich oder psychologisch orientierte Beiträge zum Thema sind seitdem erschienen. Nach Brigitte Marschalls theaterwissenschaftlicher Studie "Die Droge und ihr Double" (2000) ist nun mit Martin Tauss' Buch "Rausch - Kultur - Geschichte: Drogen in literarischen Texten nach 1945" eine zweite literarisch orientierte Arbeit aus diesem Forschungsprojekt erschienen.

Der Einfluss von Drogen auf das Schreiben ist bisher kaum systematisch von der deutschsprachigen Literaturkritik untersucht worden. Meist beschränkten sich autorenübergreifende Arbeiten auf Werke einschlägiger englischer, amerikanischer oder französischer Schriftsteller - deutschsprachige Werke wurden überwiegend en passant erwähnt. Erst Alexander Kupfers umfangreicher Studie zur Literaturgeschichte der Drogen ("Die künstlichen Paradiese", 1996) gelang es, die Ausmaße dieses multidisziplinären und oft disparaten Forschungsfeldes auch für die deutsche Literatur zu skizzieren. Gerade was den Zeitraum von 1945 bis zur Gegenwart betrifft, in den immerhin die ärgsten Rauschexzesse der Beatautoren und ein gesteigertes Interesse an alternativen Bewusstseinszuständen fallen, blieben aber auch nach Kupfers Buch viele Fragen offen. Martin Tauss' Buch stößt also durchaus in eine Forschungslücke.

Vier Autoren, deren Texte die Anzeichen einer Beeinflussung durch psychoaktive Substanzen tragen, stehen im Zentrum von Tauss' Studie. Interpretiert werden Ernst Jüngers "Besuch auf Godenholm", Bernward Vespers "Die Reise", Walter Vogts "Mein Sinai-Trip" und "Vergessen und Erinnern" sowie Rainald Goetz' "Rave". Diesen Analysen ist eine ausführliche kulturgeschichtliche Beschäftigung mit den Begriffen Rausch, Drogen und Sucht vorangestellt. Den theoretischen Rahmen der Arbeit bildet Norman Zinbergs These, dass zur Auswertung jeder Drogenerfahrung außer der Substanzwirkung per se auch das Set (nämlich die psychologische Prädisposition des Drogenkonsumenten) und das Setting (nämlich die physische Umgebung, in der der Konsum stattfindet), miteinbezogen werden müssen. Ein derart strukturierter Aufbau hebt sich positiv von den oft anekdotenhaften bisher erschienenen Untersuchungen zum Thema ab.

Die Textinterpretationen beschäftigen sich sowohl mit der inhaltlichen als auch der ästhetischen Gestaltung literarischer Rauscherfahrungen. Ernst Jüngers hermetische Erzählung "Besuch auf Godenholm" wurde bis zur Veröffentlichung seines autobiografischen Essays "Annäherungen - Drogen und Rausch" von der Kritik als innere Reise, keineswegs aber als die Beschreibung eines LSD-Trips erkannt. Tauss interpretiert die Fahrt auf die mystische Insel Godenholm als "archaische Initiation" und damit als paradigmatische Umsetzung von Jüngers elitärem Rauschbegriff. Freilich ist es schade, dass nicht näher auf andere Werke des Autors eingegangen wird, in denen die Drogenthematik ganz dezidiert zur Sprache kommt. Obwohl Tauss etwa den Roman "Heliopolis" als "frühen Referenztext der deutschsprachigen Drogenliteratur nach 1945" erwähnt, bleibt eine nähere Untersuchung dieses Textes aus. Drogenthematisch wäre dies gerade deswegen interessant gewesen, weil "Heliopolis" etwa 20 Jahre nach Abschluss von Jüngers jugendlichen Drogenexperimenten dessen neue und reflektiertere Einschätzung psychoaktiver Substanzen erkennen lässt.

Tauss' Beobachtungen zur Wirkung der jeweiligen Drogen zeugen von einem profunden medizinischen und pharmakologischen Wissen. Alle Einzelinterpretationen beziehen stets die Faktoren Set und Setting mit ein und vermeiden so eine substanzzentrierte Hermeneutik, die der Thematik kaum gerecht werden würde. Während bei Jünger die Droge als Auslöser zur metaphysischen Selbsterkundung verstanden wird, die nur wenigen zugänglich ist, sieht Tauss die Droge bei Bernward Vesper als ein dem Schreiben nebengeordnetes Hilfsmittel zur verzweifelt betriebenen Selbstverwirklichung an. Walter Vogt, dem polytoxikomanen Schweizer Arzt und Schriftsteller attestiert Tauss nach psychoanalytischer Sichtweise einen Regressionswunsch in den Mutterleib, den dieser sich erst durch die Droge und dann durch die schützende Umgebung der Entzugsklinik ermöglicht. Rainald Goetz hat seine Erfahrungen in der Techno-und Ecstacy-Szene in "Rave" festgehalten. Tauss sieht die Erzählung als authentische, aber weitgehend unreflektierte Darstellung nächtlicher Drogenexzesse, die zwar ästhetisch durch die aufgebrochene Erzählstruktur zum Ausdruck kämen, letztlich aber nur eine "Faszination ohne Bedeutung" seien.

Als Makel dieser ansonsten vorbildlichen Untersuchung könnte die Textauswahl angesehen werden. Zwar werden mit Jünger, Vesper, Vogt und Goetz wichtige Vertreter des Genres Drogenliteratur angesprochen, es ist allerdings fraglich, ob es sich bei diesen "publizistisch bereits etablierten Autoren" wirklich um einen genrerepräsentativen Querschnitt handelt. Gerade in der Drogenliteratur mag es nützlich sein, einen Blick auch über den literarischen Mainstream hinaus zu werfen und Verbindungen zur literarischen Subkultur zu finden, die avantgardistische Literatur produzierte, wegen ihrer Nischenposition aber nicht von einem größeren Publikum wahrgenommen wurde. Das Interesse der 68er an psychoaktiven Substanzen hätte etwa durch Jörg Fausers oder Hadayatullah Hübschs Texte zum Thema näher erkundet werden können, auch Günter Wallraffs literarische Bearbeitung eines Meskalin-Experiments wäre in diesem Zusammenhang interessant gewesen. Die Figur des Junkies, die als solche erst in der zweiten Jahrhunderthälfte ins öffentliche Bewusstsein getreten ist, hätte anhand von Falladas Roman "Der Alpdruck", Heinz Liepmanns "Der Ausweg" oder Fausers "Tophane" ausgeleuchtet werden können. Freilich räumt Tauss ein, dass es ihm vorrangig um die Erstellung eines "adäquaten kritischen Instrumentariums" gehe und die Textanalysen daher eher eine Beispielfunktion hätten. Etwas unorthodox erscheint die Textanordnung innerhalb der einzelnen Kapitel. Die nützliche Beschreibung des Umfelds, womit meist das erweiterte Setting, also der historische, kulturelle oder soziologische Kontext der Drogenbenutzung gemeint ist, folgt jeweils den Textanalysen, wäre aber als Einführung in die Thematik vielleicht besser vor den Interpretationen platziert gewesen.

Tauss' Untersuchung leistet, was methodischen Ansatz und Textauslegung angeht, einen wichtigen Beitrag zur kritischen Erschließung eines bisher kaum systematisch untersuchten Forschungsfelds. Zukünftige Studien könnten, sowohl durch eine Erweiterung des Textkorpus als auch durch eine komparatistische Perspektive, die die inhärente Intertextualität vieler Drogentexte hervorhebt, weiter zur Vervollständigung einer Literaturgeschichte der Drogen beitragen.


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Martin Tauss: Rausch Kultur Geschichte. Drogen in literarischen Texten nach 1945.
Studien Verlag, Innsbruck 2005.
254 Seiten, 28,00 EUR.
ISBN-10: 3706518635

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