Ein trauriges, trauriges Lied

Alexa Hennig von Lange fragt "Warum so traurig?"

Von Jan FischerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Jan Fischer

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Alexa Hennig von Langes Gesicht ist betörend schön. Rotblonde Haare, Sommersprossen, grünblaue Augen. Auf dem Cover von "Warum so traurig?" sehen wir sie direkt an, eine Frau Anfang dreißig. Sie ist älter geworden seit "Relax". Man kann das gut verfolgen. Auf den Covern ihrer Bücher ist sie meistens selbst abgebildet, freundlicherweise gibt es seit 1997 ein fast jährliches Gesichtsupdate. Ah ja, die Alexa. Die Falten um den Mund sind tiefer geworden, stehen ihr aber nicht schlecht, die Haare trägt sie wieder kurz, blickt träumerisch in irgendeine Ferne links von sich, sieht aus, als könne sie sich nicht entscheiden, ob sie weglaufen soll oder weinen.

Und warum ist sie traurig? Weil Elisabeth nüchtern ist. Elisabeth fährt mit ihrem Mann Phillip nach Lissabon und ist nicht nur nüchtern, sondern auch traurig. Traurig, weil sie und Phillip kaum noch Sex haben. Weil Phillip keine Kinder haben will, Elisabeth aber schon. Für Phillip hat sie viel aufgegeben. Drogen. Markus. Und was am schwersten wiegt: Sie hat ihr Kind abgetrieben. Das hat sie schon fast erfolgreich verdrängt, nur als sie die Chance hat, Phillip mit René zu betrügen, von René aber eigentlich nur nehmen will, was Phillip ihr genommen hat, beginnen die Erinnerungen sich aufzudrängen. Alexa Hennig von Lange lässt Elisabeth ständig darin verlorengehen, indem sie zwischen verschiedenen Zeitebenen springt. In die Geschichte der Beziehung zwischen Elisabeth und Phillip ist die zwischen Elisabeth und Markus einbegettet. Die Fäden zwischen beiden werden fein verflochten, bis Elisabeth endlich weiß, was sie geopfert hat, bis in ihr nichts als Leere ist.

Es ist die Erzählung eines Abschieds, oder mehrerer Abschiede: Elisabeth verlässt Markus und entsagt den Drogen, sie verlässt ihr Kind und was mit ihr und Phillip wird, ist auch nicht so sicher.

Alexa Hennig von Lange spricht die Sprache des Verlustes perfekt. Jeder Eindruck ist tieftraurig, die ganze Welt ist eine Bedrohung für das innerste Selbst. Oft mündet das in Sätze, die auch als Songzeilen großartig wären. "In allem, was wir tun, suchen wir tröstenden Ersatz", beispielsweise, oder " So golden und sexy sein, wie wir es uns erträumten, wird es nie wieder sein". Würden Coldplay Bücher schreiben, "Warum so traurig?" wäre eines davon. Auch daran merkt man, dass Alexa Hennig von Lange älter geworden ist. "Relax" las sich noch eher, als hätten es die Sex Pistols geschrieben: Schnell und voller Drogen. Über Mittzwanziger mit Turnschuhfaible ("Ich bin's", 1999), magersüchtige Teenager ("Ich habe einfach Glück", 2002), Kindheitserinnerungen ("Woher ich komme", 2003), ältergewordene magersüchtige Teenager ("Erste Liebe", 2004) und drei Kinder-und Jugendbücher ist Alexa Hennig von Lange zu einem Stil gekommen, der unaufgeregter und beiläufiger geworden ist, der nicht mehr sofort wild um sich schlägt und mehr als drei Akkorde kennt. Obwohl es in "Warum so traurig?" genug Drogen und Sex gibt. Aber die Drogen werden nicht mehr genommen, man erinnert sich ihrer nur noch. Der Sex findet nicht statt, und genau das ist das Problem.

Fast kommt es einem vor, als wäre Elisabeth eine Figur aus "Relax", die eines schönen Morgens aufwacht und feststellt, dass sie zwar clean ist, keinen Kater mehr hat und verheiratet ist, sich ihre Probleme aber so auch nicht lösen lassen. Wenn man möchte, kann man das jetzt deuten. Wenn "Relax" den Rausch Ende der 90er wiederspiegelt, ist "Warum so traurig?" das Erwachen nach dem Rausch, das Abschütteln des Katers und der Überreizung, der Gewinn der Erkenntnis, dass es auch nach der großen Feier irgendwie weitergehen muss. Das Buch endet, bevor auch nur einer der Charaktere weiß, wie es weitergehen soll. Sie werden mitten in der Luft hängengelassen. Weglaufen oder weinen? Wie der Schwebezustand aufzuheben ist, weiß auch das Gesicht auf dem Cover nicht. Aber schön ist es, das auf jeden Fall.


Titelbild

Alexa Hennig von Lange: Warum so traurig? Roman.
Rowohlt Berlin Verlag, Berlin 2005.
128 Seiten, 14,90 EUR.
ISBN-10: 3871344605

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