Jüdisches Schicksal im faschistischen Ferrara
Giorgio Bassanis Roman "Die Gärten der Finzi-Contini" in der Manesse Bibliothek
Von Alexandra Pontzen
Besprochene Bücher / LiteraturhinweiseEin vom örtlichen Fremdenverkehrsbüro herausgegebener touristischer Führer durch Ferrara vermittelt den Eindruck, dass die Stadt ihr Renommee nächst dem Herrschergeschlecht der Este vorzüglich dem Autor Giorgio Bassani zu verdanken habe. Der Besucher wird aufgefordert, einen Bummel durch Ferrara mit Erinnerungen an Bassanis Werk und Person anzureichern. So soll er z. B. in den Gassen der Altstadt an die nächtlichen Spaziergänge des verliebten Ich-Erzählers der "Gärten der Finzi-Contini" denken und sich diesen Park selbst an einem stimmungsvollen Ort in der Nähe des jüdischen Friedhofs vorstellen. Er wird hingewiesen auf Bassanis Elternhaus und auf ein dem berühmten Sohn der Stadt gewidmetes Museum. Außerdem erfährt er, wo Bassani jüdische Kinder unterrichtet hat, als sie durch die italienischen Rassengesetze von den öffentlichen Schulen ausgeschlossen worden waren.
Solche Informationen sind nicht belanglos. Die Vertrautheit mit der Heimatstadt des Autors trägt zum Verständnis der autobiografisch geprägten Erzählungen und Romane nicht unerheblich bei. Ihr Schauplatz ist das sehr konkret wiedergegebene Ferrara, und Bassani selbst hat sein erzählerisches Werk unter dem Sammeltitel "Il romanzo di Ferrara" zusammengefasst. Freilich gehört er nicht zu den Vertretern des literarischen Regionalismus, die als Nachfahren der Heimatdichter des 19. Jahrhunderts zur Verklärung ihrer Heimat neigen. Trotz einiger stimmungsvoller Passagen ist seine Darstellung ein Blick zurück im Zorn. Zu sehr war die Jugend des 1916 als Sohn einer wohlhabenden assimilierten jüdischen Familie Geborenen vom Faschismus und vom Antisemitismus vergiftet worden. Es ist aufschlussreich, dass er zwar fortgesetzt über seine Heimatstadt schrieb, aber seit Ende des Zweiten Weltkriegs dort nicht mehr wohnte, sondern in der Nähe von Rom, wo er im Jahr 2000 gestorben ist.
Die 1962 erschienenen "Gärten der Finzi-Contini" sind Bassanis bekanntester und wohl auch gelungenster Roman und haben mit Recht einen Platz in der "Manesse Bibliothek der Weltliteratur" verdient. Ihr Hauptthema ist der Antisemitismus. Wir erfahren, dass der italienische Faschismus anders als der deutsche Nationalsozialismus ursprünglich keineswegs antisemitisch war. Der Vater des Ich-Erzählers, "Doktor der Medizin und Freidenker, Kriegsfreiwilliger und Faschist mit der Mitgliedskarte von 1919", wird kurzum als "moderner Jude" vorgestellt. Er missbilligt, dass Ferraras vornehmste jüdische Familie, die Finzi-Contini, aristokratisch versippte Großgrundbesitzer, sich dem Werben der faschistischen Partei entzieht, der neunzig Prozent der jüdischen Gemeindemitglieder angehören. Die Finzi-Contini isolieren sich in scheinbarem Hochmut und geben die Isolierung erst auf, als das faschistische Regime die Juden in opportunistischer Gefolgschaft gegenüber Deutschland aus der Partei ausschließt und 1938 seine Rassengesetze erlässt, die das jüdische Leben in Italien lähmen und schließlich zu ersticken drohen. Sie stellen den Tennisplatz ihres Parks den im städtischen Tennisklub nicht mehr geduldeten Juden und deren Freunden zur Verfügung.
Das ist der politische und gesellschaftliche Rahmen für die Liebe des Ich-Erzählers zu Micòl, der Tochter der Finzi-Contini, eine Liebe, von der man nicht weiß, ob sie überhaupt und, wenn ja, wieweit sie erwidert wird. Micòls Gefühle bleiben rätselhaft; einerseits lockt sie und andererseits verweigert sie sich. Letztlich unklar bleibt auch, ob sie einen anderen erhört, einen "Goi", oder ob diese Vorstellung nur der Eifersucht des Ich-Erzählers entspringt. Für die Interpretation wäre hier der psychologisch und politisch heikle Punkt, die persönliche Liebesgeschichte mit dem politischen und sozialen Hintergrund zu verbinden: Micòl gibt an einer Stelle zu verstehen, dass sie sich zu christlichen Männern erotisch stärker hingezogen fühlt als zu Glaubensgenossen. Somit wäre die unglückliche Liebe des Ich-Erzählers Teil seines jüdischen Schicksals. Doch der Liebeskummer ist nahezu läppisch, verglichen mit dem Schicksal, dem Micòl entgegengeht: Als der politische Umschwung im Herbst 1943 der deutschen Besatzungsmacht ermöglicht, die Judenverfolgung auch in Italien ungehemmt zu betreiben, werden sie und ihre Familie in ein deutsches Vernichtungslager deportiert.
Obwohl der Roman darstellt, wie die gesellschaftliche Ausgrenzung der Juden begünstigt wurde durch Feigheit und Charakterlosigkeit so mancher Italiener, trübt die Empörung über seine Landsleute nie den Blick des Erzählers dafür, dass der Antisemitismus kein autochthones Gewächs war, sondern ein Import aus Deutschland. Schon die Sprache lässt davon keinen Zweifel: Als einmal die Schwierigkeit erörtert wird, einen geeigneten Kurort zu finden, heißt es im italienischen Original: "... e poi Juden sind dappertutto unerwünscht." ("außerdem sind Juden überall unerwünscht.") Dass die diskriminierende Formel auf Deutsch kursierte, ist ein Detail, das für sich selbst spricht und dem deutschen Leser noch heute einen Stich versetzen kann.
Es ist nichts dagegen einzuwenden, dass der Verlag auf die bereits 1963 erschienene deutsche Übersetzung von Herbert Schlüter zurückgegriffen hat; doch hätte sich für die Neuausgabe eine Überarbeitung empfohlen. Besonders ärgerlich ist der Titel: Aus dem Singular "Il giardino dei Finzi-Contini" hat der Übersetzer den Plural "Die Gärten der Finzi-Contini" gemacht. Wahrscheinlich fand er angesichts der Größe des Parks den Singular zu bescheiden und hat auch im Text entsprechende Änderungen vorgenommen. Ein Beispiel: "Il giardino era grande 'un' dieci ettari [...]" wird erweitert zu "Der Garten - oder sollte man sagen 'die Gärten'? - war ungefähr zehn Hektar groß [...]". Vermutlich soll die hinzugefügte Parenthese den fragwürdigen Titel legitimieren. Abgesehen davon, dass im Deutschen der Singular "Garten" für einen herrschaftlichen Park nicht ungebräuchlich ist - man lese Eichendorff -, muss die Übersetzerwillkür deswegen beanstandet werden, weil durch den Plural zwei wichtige Konnotationen verloren gehen: Im Roman bedeutet der Garten zum einen das Paradies, in das man eingelassen, aber aus dem man auch vertrieben wird; zum anderen liegt eine - keineswegs ungewöhnliche - erotische Metapher vor. Die Liebesgeschichte zwischen Micòl und dem Ich-Erzähler beginnt damit, dass sie ihn in den Garten lockt. Wenn Ute Stempel in ihrem lesenswerten Nachwort den von hohen Mauern umgebenen Garten als "hortus conclusus" interpretiert, so ist das gleichfalls eine Interpretation, die den Singular zur Voraussetzung hat.
Dass die Datierung des Epilogs auf die Jahre 1958-1961 fehlt, geht allerdings nicht zu Lasten des Übersetzers, sondern ist vom Verlag zu verantworten. Die Datierung ist nicht irrelevant. Sie bezeichnet die zeitliche Distanz von etwa 20 Jahren, aus der heraus erzählt wird. Der Erzähler beschwört Vergangenes und leistet späte Trauerarbeit. Nicht von ungefähr sind Friedhöfe und Grabmäler sein Ausgangspunkt. Der Roman setzt einer ungewöhnlichen jüdischen Familie, deren letzte Vertreter noch nicht einmal ein Grab gefunden haben, ein Denkmal, und erinnert zugleich daran, welch fruchtbare Symbiose zwischen jüdischer und italienischer Kultur durch den Antisemitismus zerstört worden ist.
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