In Reichweite der Elektrizitätswerke

Regionale schwäbische Literaturgeschichtsschreibung - Zur Ausstellung "Schwabenspiegel"

Von Thomas NeumannRSS-Newsfeed neuer Artikel von Thomas Neumann

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

800 Jahre Literatur in Schwaben, begonnen um das Jahr 1000 und bis ans Jahr 1800 heranreichend: Drei Zahlen für eine Ausstellung und die dazugehörigen Publikationen. Die Ausstellung ist bisher ungefähr zwei Jahre durch Süddeutschland gereist, durch Bibliotheken und andere Institutionen. Bemerkenswert ist dabei, dass es keine wissenschaftliche oder öffentliche Institution war und ist, die das Projekt unterstützt und finanziert hat. Initiator und Sponsor des gesamten Projekts sind die Oberschwäbischen Elektrizitätswerke. Das gesamte Projekt besteht aus mehreren Teilprojekten, von denen die Ausstellung sicherlich das größte Publikum erreicht hat. Parallel zu den Ausstellungen wurde öffentlichkeitswirksame Pressearbeit betrieben und selbst so Kleinigkeiten wie eine immer aktuelle Webseite hat man bei der Projektleitung nicht vergessen. Hier sollen nun die bisher erschienenen Begleitpublikationen betrachtet werden und mit einigen Anmerkungen zur regionalen Literaturgeschichtsschreibung versehen werden.

Was liegt vor dem Leser? Man hat zur Ausstellung, als Ausstellungskatalog gedacht, zwei schwergewichtige Bände publiziert. Sie enthalten bei weitem mehr, als der Besucher jeweils vor Ort in der Ausstellung sehen und von der Sache auf einmal aufnehmen könnte. Es sind die vielen Details, die die Bände - wie auch die Ausstellung - für den Leser so wertvoll machen und ihm die nötigen Ergänzungen zur Ausstellung liefern, wenn er denn gewillt ist, die oft anstrengende Lektüre auf sich zu nehmen. Dass sich aber die Lektüre lohnt, merkt man nahezu bei jedem der einzelnen Kapitel, die mit Akribie und oft viel Liebe zum Detail erarbeitet wurden und die Handschrift der zumeist wissenden Bearbeiter tragen. Diese Fülle an Details und Informationen ist es denn auch, die die beiden reichhaltig illustrierten Bände - ganz im Sinne von Illustrationen als lesestützenden Materialien - zu mehr als nur zwei Bilderbüchern macht, die man getrost nach der Ausstellung zur Seite stellen kann.

Die in einem Schuber zusammen gefassten Bücher sind in Katalogband und Aufsatzband gegliedert. Findet man im ersten eine literaturgeschichtsähnliche Darstellung, mit Bild- und Textbeispielen durchzogen, gibt der Aufsatzband zu circa 100 Themen zur schwäbischen Literaturgeschichte jeweils ausführliche Informationen. Im Katalogband findet man neben den darstellenden Teilen immer wieder erklärende Kurzbiografien, im Anhang eine umfassende Bibliografie, die kaum Wünsche offen lässt. Außerdem hat man auf über 100 Seiten ein Autorenlexikon mit in den Katalogband aufgenommen. Erschlossen wird der Text durch ein umfangreiches Register. Es ist kaum zu glauben, aber für einen Band über regionale Literaturgeschichtsschreibung lässt sich hier ungewöhnlich wenig kritisieren. Das auch didaktisch ordentlich gemachte Buch bietet für den Leser unterschiedliche Zugänge zur schwäbischen Literatur, bietet dem Freund der zusammenhängenden Darstellung ebenso viel Informationen wie dem eher lexikalisch orientierten Leser. Die beiden Ausstellungsbände bieten ein hervorragendes Kompendium zur Literatur in Schwaben bis um das Jahr 1800 herum.

Um dem Bedürfnis nach dem Substanziellen von Literaturgeschichte, nach den Texten, Rechnung zu tragen, hat man sich noch entschlossen, zu den einzelnen thematischen Schwerpunkten des Katalogbands bzw. der Ausstellung einige umfangreiche Textbände zusammenzustellen, die die 800 Jahre Literaturgeschichte als Quellenbände begleiten. So kann man dann etwa im ersten Buch unter den Abschnitten "Suevia", "Hof", "Kloster", im zweiten Band unter den Überschriften "Stadt", "Reformation/Gegenreformation", "Zeitungen/Zeitschriften/Buchdruck" und im dritten Band in den Abschnitten "Pest/Hunger/Krieg", "Schwaben und die Welt, "Uni/Stift Tübingen" interessante und oft auch obskure Texte lesen, deren oft dialektgetragene Sprache beim lauten Lesen manche Überraschung bereithält. Als Lesebücher sind die editorisch und wissenschaftlich ordentlich gemachten Publikationen ein erheblicher Zugewinn für die beiden Ausstellungsbände und liefern die Substanz, wenn man sich ernsthaft mit der Literatur dieses Kulturraumes beschäftigen möchte.

Dabei verweist der Begriff "Kulturraum" eben auch auf einen problematischen Gesichtspunkt dieser regionalen Literaturgeschichtsschreibung. Geht man von einem geschlossenen Kulturraum aus und will in diesem eine regionale Literaturgeschichte schreiben, muss man die in den letzten Jahren diesbezüglichen Untersuchungen im Bereich der Literaturgeschichtsforschung berücksichtigen, eben etwa einen territorialen Raum als Grundlage für die entsprechende Literaturbetrachtung in Augenschein nehmen und analysieren, ob es sich um einen ebensolchen überhaupt handelt. Neue Untersuchungen plädieren dabei für das "Territorium als Grundlage", wie etwa Max Siller (1991) und Fritz Peter Knapp (1994). In den Einleitungen der vorliegenden Bände findet man die folgenden Formulierungen: "Im Frühjahr 2001 begann im Auftrag der Oberschwäbischen Elektrizitätswerke (OEW) die Arbeit an dem Ausstellungsprojekt 'Schwabenspiegel 1000-1800. Literatur zwischen Neckar und Bodensee'. Es sollte die im Verbandsgebiet der OEW geborenen oder wirkenden Dichter und Schriftsteller während dieser acht Jahrhunderte erfassen und in einer Wanderausstellung präsentieren."

Nimmt man diese beiden Aspekte zusammen, drängt sich die Frage nach dem "Territorium" auf, dass dem Kulturraum zugrunde gelegt wurde. Ohne über die Richtigkeit der geografischen Grenzen sich zu echauffieren, sei der Blick auf die Verbindung zwischen Elektrizität(-sversorger) und Literatur gelenkt. Nun, vielleicht war die gedachte Verbindung zwischen beiden Themenbereichen "als noch kein Licht schien...". Aber um das Naheliegendste zu nehmen, hätte man vielleicht eine Gedankenkette anderer Art zugrunde legen sollen, die sich mit einer Schlagwortkette im Sinne von "Elektrifizierung der Welt", "Elektrizität und Naturwissenschaft", "Kultur- und Naturwissenschaft" beschäftigt und davon ausgehend eher eine Geschichte der Kultur im Sinne eines erweiterten Kulturbegriffes verfolgt, als diese auf den Bereich Literatur einzuschränken. Aber vielleicht sollte man dieses Unternehmen eher als einen Teilbereich einer umfassenderen Kulturgeschichte sehen, die den verbindenden Aspekt von Literatur und "Elektrifizierung der Welt" erst noch in einen plausibleren Zusammenhang stellen wird - und dann hoffentlich auch mit den nötigen Texten und Quellen unterstützt, denn es spricht viel dafür, dass gerade auch in den Nicht-Literatur-Bereichen eine Vielzahl von Quellentexten lohnenswerten Inhalts zu finden ist. Und dass man bei dem Projekthintergrund nicht auf die Idee gekommen ist, gerade auch die Naturwissenschaften und die Philosophie mit einzubeziehen, Reisen und Wirtschaftsgeschichte, Soziologie und Metaphysik usw. - also die Gebiete, die eben das ausmachen, was man unter Kultur verstehen kann - ist schade und bleibt ein Desiderat. Aber für den Bereich der Literatur ist die Arbeit schon gemacht worden, auch wenn die eine oder andere Verbindung zur Naturwissenschaft erfreulich gewesen wäre - gerade in dem dem Erfindergeist und der (Natur-)Wissenschaft so verbundenen Schwaben.

Zusammenfassend das ultimative Infopaket zur Oberschwäbischen Literatur der letzten Zeit, eine unbedingt zur Kenntnis zu nehmende Arbeit zur regionalen Literaturgeschichtsschreibung und in vieler Hinsicht ein unterhaltendes Ensemble von Büchern. Sie sollten in keiner literaturwissenschaftlichen und historischen Bibliothek fehlen.


Titelbild

Schwabenspiegel. Literatur vom Neckar bis zum Bodensee 1000-1800. Aufsatzband mit Katalog im Schuber.
Herausgegeben von Ulrich Gaier, Monika Küble und Wolfgang Schürle.
SPA Agentur für Ausstellungen, Messen, Druckwerke, Ulm 2003.
995 Seiten, 49,00 EUR.
ISBN-10: 3937184015

Weitere Rezensionen und Informationen zum Buch

Titelbild

Schwabenspiegel. Lesebuch 1. Suevia, Hof, Kloster.
Herausgegeben von Ulrich Geier und Wolfgang Schürle.
Edition Klaus Isele, Eggingen 2004.
494 Seiten, 24,00 EUR.
ISBN-10: 3861423049

Weitere Rezensionen und Informationen zum Buch

Titelbild

Schwabenspiegel. Lesebuch 2. Stadt, Reformation/Gegenreformation, Zeitungen/Zeitschriften/Buchdruck.
Herausgegeben von Ulrich Gaier und Wolfgang Schürle.
Edition Klaus Isele, Eggingen 2004.
508 Seiten, 24,00 EUR.
ISBN-10: 3861423286

Weitere Rezensionen und Informationen zum Buch

Titelbild

Schwabenspiegel. Lesebuch 3. Pest/Hunger/Krieg, Schwaben und die Welt, Uni/Stift Tübingen.
Herausgegeben von Ulrich Gaier und Wolfgang Schürle.
Edition Klaus Isele, Eggingen 2004.
512 Seiten, 24,00 EUR.
ISBN-10: 3861423561

Weitere Rezensionen und Informationen zum Buch