Tränen auf der Königswange

Oder die Kunst, Schiller zu aktualisieren

Von Nikolas ImmerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Nikolas Immer

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Burkhard Müller weiß, was Schiller will. Zumindest gibt er zu verstehen, was nicht im Interesse des Dichters gelegen hätte: nämlich die platten Aktualisierungsversuche, mit denen das Jubeljahr 2005 aufgewartet hat. Somit darf jeder, der Besucher der Festakte gewesen ist, sich sogleich angesprochen fühlen. Denn kritisiert wird, dass "den Gästen nunmehr jede Art intellektuellen oder affektiven Aufwands grundsätzlich erlassen" werde. Die Ursachen dafür liegen nach Müller in der gegenwärtigen "Theoriefaulheit" und der "Schwäche des Theaters". Gegen beides schreibt er an, indem er ausgewählte Werke Schillers neu analysiert und mit vielfältigen Hinweisen für die Inszenierungspraxis versieht.

Der entschiedene Vorteil von Müllers Arbeit liegt in der Art des Zugriffs. Denn in der essayistischen Betrachtung gewinnt der jüngst vielfach entstaubte Klassiker ein unerwartet frisches Aussehen. Dabei geht es Müller sowohl um die prominenten als auch um die weniger geläufigen Schillertexte: Der Bogen spannt sich von der Balladenlyrik, die auch heute noch der Schulunterricht gelegentlich vermittelt, bis hin zum gegenwärtig kaum mehr gespielten "Fiesko". Darüber hinaus werden der "Don Carlos", Schillers Universalhistorik, die Abhandlung vom Dreißigjährigen Krieg, die großen ästhetischen Schriften und zum Abschluss die "Nänie" untersucht und hinterfragt.

Aber in der Art von Müllers Ansatz liegt auch ein Nachteil. Denn der Drang zur Pointierung fordert zum gewagten Wortspiel, zur eigenwilligen Behauptung heraus. Zum Beispiel: "Schiller ist kein Lyriker und kann es nicht sein", oder: "Der ,Don Carlos' nimmt sich im Resultat aus wie der Schiefe Turm von Pisa". Aha, wer hätte das gedacht. Die anfängliche Erfrischung hinterlässt hier einen herben Nachgeschmack. Auch wenn die geschliffenen Wendungen zum stetigen Weiterlesen auffordern, stimmt es zuweilen unbehaglich, wenn der Interpret durchscheinen lässt, im Grunde vieles viel besser zu wissen. Doch immerhin: Burkhard Müller hat Schiller kunstvoll und lesenswert aktualisiert. König Philipps Tränen mögen ihm Belohnung sein.


Titelbild

Burkhard Müller: Der König hat geweint. Schiller und das Drama der Weltgeschichte.
zu Klampen Verlag, Springe 2005.
160 Seiten, 14,00 EUR.
ISBN-10: 3934920586

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