Polierte Oberfläche
Jorge Edwards Roman-Debüt in Deutschland bleibt hinter den Erwartungen zurück
Von Katharina Deloglu
Besprochene Bücher / LiteraturhinweiseEifersucht ist eine Leidenschaft, die mit Eifer sucht, was Leiden schafft. Wenn dann noch das eigene Leben keine anderen Leidenschaften zu bieten hat, ist der Mensch mit seiner Fantasie schnell am Werk. – Der 70jährige Medizinprofessor Patricio Illanes ist mit der 20 Jahre jüngeren, attraktiven Silvia verheiratet. Beide stammen aus Chile und führen im Pariser Exil ein ruhiges Leben im Kreis lateinamerikanischer Intellektueller. Darunter auch Felipe Díaz, ein Schriftsteller und gealterter Don Juan, den mit Patricio eine archaische Männerfreundschaft verbindet. Beste Voraussetzung für eine ménage à trois also.
Doch ein Museumsbesuch bringt das wohl geordnete bürgerliche Leben durcheinander. Patricio meint, in einem Gemälde von Courbet, einem obszönen Frauenakt mit verhülltem Gesicht, Ähnlichkeiten mit Silvia zu erkennen. Wenig später stirbt Felipe. In seinem Nachlass entdeckt Patricio eine dem Gemälde nachgestellte Fotografie und verdächtigt von nun an seine Frau des Betrugs mit seinem besten Freund. Der korrekte Medizinprofessor stürzt sich in eine wahnwitzige Phantomjagd: eine zwanghafte, fast perverse Suche nach Zeugenaussagen, die zugleich nach erotischer Kompensation lechzt.
Hier bringt es Autor Jorge Edwards zu einer bühnenreifen Leistung – mit so mancher Anleihe aus der Literatur. Patricio, wie er sich mit jeder Niederlage, jedem ausbleibenden Beweis mehr in seinen Wahn steigert, gibt eine gelungene Karikatur des gehörnten Ehemanns wie auch des akribisch ermittelnden Detektivs à la Sherlock Holmes ab. Derweil zieht in loser Szenenabfolge die skurrile Truppe der Nebendarsteller über die Bühne des Geschehens: die französische Concièrge (Balzac) neben der hexenartigen Kupplerin (Celestina) und ein kommunistischer Karikaturist neben einem surrealistischen Intellektuellenpaar, das die freie Liebe predigt.
So könnte das Ganze eine wunderbare Komödie sein, zumal Übersetzerin Sabine Giersberg gekonnt den Ton trifft. Dazu das barocke Vexierspiel von wahnhafter Illusion und Wirklichkeit, und die Mischung würde uns einen amüsanten Theaterabend bescheren. Doch jenseits der blühenden Komik linear erzählter Anekdoten bleibt Jorge Edwards'‘ Roman seltsam flach. Politische und soziale Details, die in den Lebensgeschichten der Figuren durchaus angelegt sind und Anlass zu einer epischeren Auseinandersetzung bieten könnten, bleiben fast unausgeführt.
Jorge Edwards, in seiner Heimat Chile einer der renommiertesten Gegenwartsautoren, benennt seinen Roman nach dem Unheil stiftenden Gemälde von Courbet „Der Ursprung der Welt“. Im übertragenen Sinn erscheint so aber nicht nur der alttestamentarische Sündenfall als Ursprung der christlichen Welt beziehungsweise ihres Weltbildes. Der imaginierte sexuelle Treuebruch Silvias wird hier zum Ursprung einer völlig isolierten Welt, nämlich der Obsession Patricios, die sich einzig und allein um ihre eigene Achse dreht. Dieser monomanische Ansatz liefert zwar literarisch geschliffene Unterhaltung, aber was so über die glatt polierte Oberfläche schlittert, ist letztlich nicht mehr als gediegene Altherrenprosa.
Wirklich verübeln kann man das nur einem Schriftsteller, von dem man anderes gewohnt ist. Einem Intellektuellen, der schon vor Jahrzehnten mit seiner kritischen Stimme auf sich aufmerksam machte. Als die sozialistische Regierung Salvador Allendes den Juristen Edwards 1970 nach Kuba schickte, um erste diplomatische Beziehungen aufzubauen, kam es zum Eklat. Wegen seiner Kritik an den sozialen Missständen verwies ihn Castro persönlich schon nach wenigen Monaten des Landes.
Der Tabubruch: Kritik an einem sozialistischen Regime aus der Perspektive eines bürgerlichen Linksintellektuellen. Seine polemische Chronik jener Zeit, „Persona non grata“, wurde vielfach übersetzt und provozierte ausgiebige Debatten unter den Intellektuellen der gesamten romanischen Welt. Ein zu heißes Eisen für deutsche Verleger? – Die deutsche Übersetzung lässt bis heute auf sich warten.
Hierzulande kennt man von Edwards bisher nur die Biografie seines Freundes und Landsmannes Pablo Neruda. Mit „Der Ursprung der Welt“ wird Edwards nun erstmals als Romancier lanciert. Das ist ohne Zweifel ein verlegerisches Verdienst. Aber wo in früheren Werken seine bekannte und geschätzte Ironie immer auch die Gesellschaft traf – die verkrustete Bürokratie, Stagnation und soziale Desintegration – gleitet das Konfliktpotential hier in den Miniaturkosmos eines Einzelnen ab.
Ein kleines literarisches Selbstporträt zeichnet Edwards mit dem starrsinnigen Ex-Kommunisten und Castro-Kritiker Felipe Díaz. Aber wie auch dieser mit den Jahren abgestumpft ist, hört man die Resignation aus allen Ecken und Fugen dieses Alterswerks ächzen. Die revolutionäre Kritik von damals weicht der Beschaulichkeit einer geistig gesättigten Gesellschaft, deren einzige Dynamik aus dem erotischen Phantasma und dessen ironischen Pirouetten entsteht.
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