Salonièren, Femme-Soldaten und Citoyenne-Mütter

Geschlechtersphären und diskursive Übergänge in Europa um 1800

Von Mechthilde VahsenRSS-Newsfeed neuer Artikel von Mechthilde Vahsen

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Im September 2002 fand an der Ludwig-Maximilians-Universität München eine Tagung mit dem Titel "Gender und Politik um 1800" statt. Thema war die "Ordnung der Geschlechter", wie sie um 1800 in Europa diskutiert und modelliert wurde. Der Topos der 'getrennten Sphären', der sich seit langem in der entsprechenden Forschungsliteratur findet, wurde zum anregenden Fokus der interdisziplinären Diskussion der aus den Geistes- und Kulturwissenschaften stammenden Beiträgerinnen und Beiträger. Obwohl dieser Fokus bereits mehrfach dekonstruiert wurde, diente er während der Tagung als heuristisches Modell, an dem sowohl detaillierte Fallstudien als auch übergreifende Fragestellungen und Themen modifiziert werden können.

Nun ist der Tagungsband erschienen und versammelt die einzelnen Vorträge in thematischen Schwerpunkten. Einführend unterziehen mehrere Beiträge die Übergangszeit um 1800 einer theoretischen Betrachtung. Diskutiert wird, inwieweit der zu dieser Zeit einsetzende Modernisierungsprozess auf Ausdifferenzierung beruht. Strikte Trennungen wie z. B. privater/öffentlicher Bereich ziehen Zuweisungen sozialer und humaner Werte nach sich, die sich in der Geschlechterordnung widerspiegeln. Dabei ist die entworfene häusliche Idylle ein rechtsfreier Raum, der als Kompensation dessen dient, was vom Staat negiert wird. In diesem Kontext ermöglicht die offene Form des Salons den so genannten Salonièren eine Grenzüberschreitung ohne Verletzung der bürgerlichen Rollenmuster. Die Salon-Öffentlichkeit kann daher als Schnittmenge von Sphären gelten, die Regelübertretungen zulässt.

Ebenso sind die Bildungskonzepte der Zeit geschlechtsspezifisch ausgerichtet (Schwerpunkt II) und bereits gut erforscht, was in der gut zusammenfassenden Darstellung deutlich wird. Trotzdem bringen Einzeluntersuchungen immer wieder Neues, wie am Beispiel der Analyse des egalitären Erziehungsmodells der Französin Madame d'Épinay vorgeführt wird.

Diesen Überlegungen folgen im dritten Teil literaturwissenschaftliche Analysen von Dramen deutscher Autoren.

Die Figuren der femme-soldat und der citoyenne-Mutter werden am Beispiel dramatischer Werke von Zschokke und Kotzebue untersucht. Beide Figuren gehören zu Modellen, mit denen deutsche Autoren auf bewaffnete, kämpfende Revolutionärinnen, die Tat Charlotte Cordays und den revolutionären Weiblichkeitsdiskurs reagieren. Die Überschreitung der gender-besetzten Räume während der ersten Revolutionsjahre wird in eine bürgerliche Ordnung rückgeführt, in der die Mutter für die Umsetzung bestimmter Tugenden zuständig ist. Interessanterweise kreuzen sich hier bürgerlich-deutsche und jakobinische Interessen.

Auf eine ähnliche Konstellation verweist die Interpretation der Kleist-Frauenfiguren Penthesilea und Käthchen. Obwohl fast durchgängig als zwei gegensätzliche Konfigurationen von Weiblichkeit rezipiert, können sie auch als Figuren gelesen werden, "die Gegensätzliches, Widersprüchliches in sich vereinen", was sich auf der symbolischen Ebene in der Verbindung von Feuer und Wasser verdichtet. Beide werben aktiv um den Geliebten und entgrenzen die ihnen zugewiesenen Räume, stellen ihre Neigung höher als die Pflicht des sozialen (Geschlechts-)Status und geraten ob ihrer Handlungen in den Verdacht des Wahnsinns. In beiden Analysen ist präzise herausgearbeitet, dass Transgressionen nur dann gelingen, wenn Herrschaftsmacht dies billigt. Sobald sie sich in Frage gestellt sieht, indem eine Frau z.B. autonom agiert, folgt die Sanktionierung.

Auch die Genoveva-Figuren von Maler Müller und Tieck verbinden nationale und geschlechtsspezifische Aspekte, zu denen religiöse hinzutreten. Hier finden sich also ebenfalls Versuche zur Etablierung einer neuen Geschlechtersemantik aus männlicher Perspektive.

Doch was konzipieren die Autorinnen der Zeit? Wie sehen ihre Gender-Entwürfe aus? In Anette von Droste-Hülshoffs Dramenfragment "Bertha oder die Alpen" kommt der Kontext zwischen Gattung und Krankheit ins Wort. Droste bricht durch Gattungswahl und Thematisierung eines innerfigürlichen Konflikts mit geschlechtsspezifischen Zuweisungen. Gattungstheoretisch angelegt ist auch die Analyse der Biografie von Wiliam Godwin über seine Frau Mary Wollstonecraft. Diese Biografie stellt einen den gültigen Konventionen nicht entsprechenden, aber trotzdem geglückten Lebensentwurfs vor, der innovativ wirkt.

Einen anderen wichtigen Aspekt weisen die 'Memoirs of Emma Courtney' von Mary Hays auf. Gegen die aktuelle Forschung kann das im Roman vertretene Frauenbild progressiv gelesen werden, weil es Verstand und Gefühl umfasst. Das Scheitern kommt zu Stande, weil es zu diesem fortschrittlichen Frauenbild kein männliches Pendant gibt. Die neue Frau braucht aber für den gelungenen Lebensentwurf den neuen Mann.

Ein wichtiges Fazit dieses Schwerpunkts ist: Männliche und weibliche Gender-Positionen gegeneinander zu lesen, kann auch für andere Autorinnen und Autoren der Zeit und deren Werke zu neuen Ergebnissen führen. Darüber erschließen sich weitere Facetten der literarischen Gender-Debatte um 1800, die die bisherige Forschung erweitern und überschreiten.

Der letzte Schwerpunkt widmet sich Fragen zu Ethnizität und Geschlecht. Hier stehen Ansätze im Vordergrund zur Konstruktion von Männlichkeit bei Historiengemälden, Konzepte ethnischer Alterität in Gedichten der englischen Romantik und eine längere Ausführung über die Auswirkungen der schwarzen Widerstandsbewegungen in den britischen Kolonien auf den Weiblichkeitsdiskurs in England in den 1790er Jahren. Deutlich wird: Britische Autorinnen wie z.B. Maria Edgeworth entwerfen eine Weiblichkeitsideologie, die zur Aufrechterhaltung des Systems dient und auf Rassentrennung beruht. Auch Entwürfe von Männlichkeit, untereinander hierarchisiert, werden dazu verwendet.

Den Abschluss bildet der Essay von Ethel Matala de Mazza über den politischen Körper und sein (Nicht-)Geschlecht.

Insgesamt bietet der Sammelband sehr gute Grundlagenaufsätze und anregende Einzeluntersuchungen zum Thema 'Gender' um 1800. Gerade die interdisziplinäre Mischung trägt zur Erweiterung der Erkenntnisse bei. Nach wie vor ist gerade die Zeit um 1800 äußerst interessant für den Geschlechterdiskurs, weil sich zu diesem Zeitpunkt so viele Überschneidungen zeigen, zu denen Literatur und Kunst, Naturwissenschaft und Medizin und einige andere Wissenschaften beitragen. Außerdem bieten die zeitgenössischen Autorinnen ebenfalls sehr viele Ansatzpunkte. Eine Erweiterung des Materials um diese ebenfalls relevanten Texte wäre sicherlich von Vorteil. Auch eine fachliche Erweiterung ist vorstellbar, z.B. für die nächste Tagung.


Titelbild

Katharina Rennhak / Virginia Richter (Hg.): Revolution und Emanzipation. Geschlechterordnungen in Europa um 1800.
Böhlau Verlag, Köln 2004.
304 Seiten, 29,90 EUR.
ISBN-10: 3412112046

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