Ruck an der Zeitleine
Bruno Preisendörfer hat den besten Erzählband des Frühjahrs abgeliefert
Von Gustav Mechlenburg
Besprochene Bücher / LiteraturhinweiseDas Glück, das dumme Ding. Dies ist der beste Erzählband in diesem Frühjahr, das schnellste und zwingendste Buch. Einfach, ernst, fabelhaft.
Die Liebe liebt das Wandern, heißt es in Schuberts Winterreise klagend und wehmütig. Die neun Geschichten von Bruno Preisendörfer in "Die Beleidigungen des Glücks" vollziehen eine solche Wanderbewegung, sind aber ganz und gar nicht traurig verträumt, sondern präzise, schnörkellos und von irritierender Neutralität.
Der Berliner Journalist Bruno Preisendörfer, Jahrgang 1957, veröffentlichte seine literarischen Werke bisher unter dem Pseudonym Bruno Richard. In seinem neuen Buch glänzt der Autor unter seinem richtigen Namen in neun Erzählungen mit klagelosem Stil. Den Protagonisten seiner Texte geht es sehr menschlich und entsprechend dreckig. Jung sind sie, voller Pläne, Liebe und Lügen, alternd mit zerschlagener Hoffnung, sterbenskrank und immer noch verknallt.
Preisendörfer fährt sich nicht fest im tragischen Potenzial seiner Figuren. Nie lässt er den Leser in traumverlorenen Situationen zurück, weder in glücklichen noch in verdüsterten. Sein Verfahren ist denkbar einfach, die Durchführung umstandslos. Ruckartig reißt er an der Zeitleine, und man befindet sich sofort 30 Jahre früher oder zwei Stunden später im Leben seiner Helden, steht in der Küche, wo eben noch ein Baugrundstück war, oder übt Klavier, obwohl man als Jugendlicher Selbstmord begehen wollte. In einer Geschichte mit rund 70 Seiten überwindet Preisendörfer, in der Zeit vor- und zurückspringend, mühelos drei Generationen, ohne dabei etwas Entscheidendes auszulassen.
Es geht alles sehr schnell mit dem Glück und dem Horror, doch der Autor kommt immer wieder auf die wesentlichen Erlebnisse im Leben seiner Protagonisten zurück. Man kann das archaisch nennen - aber man kann es genauso gut lassen, weil hier zwar Urszenen des Lebens beschrieben sind, ihnen aber jedes Pathos fehlt. Die Sätze sind kurz. Zwei Geschichten haben vorweg eine Zusammenfassung. Sie sind so ernüchternd und gleichzeitig so herzzerreißend, dass man sich auf den Text stürzt, um nun eine der beiden vorangekündigten Empfindungen zu ihrem Recht kommen zu lassen, aber daraus wird nichts. Bruno Preisendörfer schreibt anrührend nüchtern.
Ein trockener Alkoholiker geht schwimmen. Hans pflanzt einen Baum, der ihm nicht mehr über den Kopf wächst. Eine Frau kauft einen roten Stöckelschuh. Im Titelblatt der Klavieretüden "Schule der Geläufigkeit" sind zwei Buchstaben durchgestrichen.
Preisendörfer bleibt diskret. Nie wird der Text ordinär, nie verletzend. Es ist der ganz normale Dreck des Lebens, haufenweise, erschütternd und nicht abzustellen.
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