Der Klimasturz

Matthias Matussek schießt sich im "Spiegel" auf den in Frage gestellten Heine-Preisträger Peter Handke ein und serviert die Jury gleich mit ab

Von Jan SüselbeckRSS-Newsfeed neuer Artikel von Jan Süselbeck

Wüsste Heinrich Heine, was für Fans er heutzutage hat - er würde sich im Grabe umdrehen. Gemeint ist hier allerdings nicht Peter Handke, und gemeint sind auch nicht die Juroren des Düsseldorfer Heinrich-Heine-Preises. Die Rede ist von "Spiegel"-Kulturressortleiter Matthias Matussek, dem deutschen "Problemmatthias" (Frankfurter Rundschau).

Dass der Verfasser des Pamphlets "Wir Deutschen. Warum die anderen uns gern haben können" die Chance der erregten Debatte um die (Nicht-)Verleihung des Düsseldorfer Heinrich-Heine-Preises an Handke zum Anlass nehmen würde, um zu einem Rundumschlag gegen die Juroren auszuholen, war zugegebenermaßen erwartbar. "Man kann den Glücksfall, den Heinrich Heine für die deutsche Literatur bedeutet, nicht oft genug feiern", hebt Matussek in seinem "Spiegel"-Artikel in höchsten Tönen an, um sogleich auch schon den Tod des betreffenden Preises zu beklagen. Der erste Schuldige ist schnell ausgemacht: "Zündung, in Deckung gehen, rums! [...] Handke, der Anti-Heine, der Klimasturz."

Mag sein. Man erkennt hieran jedoch vor allem eines: Stilblüten, die jedem Pennäler in der siebten Klasse mit dickem Rotstift aus der Deutschklausur gestrichen würden, feiern in Matusseks Leitartikel fröhliche Urständ. Der Autor stellt sich Handke in seiner blinden Wut gar als "leergeschriebenen Klotzfuß deutschsprachiger Rätselhaftigkeit" vor - wie auch immer man sich einen solchen bildhaft vorstellen soll.

Da verwundert es wenig, dass sich Matussek in seiner wohlmeinenden Erinnerung an "Goldene Zeiten" Handkes ausgerechnet an kitschige Sätze wie diesen aus "Der kurze Brief zum langen Abschied" (1972) erinnert, um darin allen Ernstes "eines der schönsten Semikolons der deutschsprachigen Literatur" zu entdecken: "Ich schaute hin und sah einen Schmetterling, der gerade die Flügel zusammenfaltete; zugleich senkte Judith die Wimpern."

Nach seinem skandalösen Besuch bei der serbischen Beerdigung Slobodan Milosevics ist Handke für Matussek nichts weiter mehr als ein "politischer Fall" - und alle, die ihn mit dem Heine-Preis auszeichen wollten, sind für ihn bloße "Kulturbetriebsnudeln". Allen voran Sigrid Löffler, die Matussek kurzerhand als "eingeschnappte Handtasche" des "Literarischen Quartetts" abkanzelt: "Ihre Vorstellung von Mut ist der literarische Skandal, und damit war Handke die logische Wahl", nörgelt er.

"Oder Wiglaf Droste, der gute alte 'taz'-Haudegen, der meistens mit hochrotem Kopf an seinem Stammtisch steht und schwankend rauszukriegen versucht, was nun das Gegenteil zu allem ist, was er bisher gelesen hat". Einmal abgesehen davon, dass das eher auf den ehemaligen Maoisten Matussek zuzutreffen scheint, der nach einigem Grübeln dort endete, wo die meisten seiner Art nach 1989 landeten - nämlich beim so genannten Patriotismus -: Drostes provozierender Kommentar zu Handkes Slobodan Milosevic-Grabrede ("Na und?"), den Matussek so empört zitiert, harrt der Antwort.

Schwenkte doch die allgemeine Entrüstung über Handkes pathetischen Auftritt im ehemaligen Jugoslawien bei aller berechtigten Kritik an den serbischen Kriegsverbrechen verdächtig schnell auf jenen alten Kosovokriegs-Konsens ein, in dem sich bereits 1999 die deutsche Presse befand, um fast einhellig die Bomben auf Belgrad zu bejubeln. Dass sich der angebliche militärische "Hufeisenplan" des serbischen Diktators längst als fixe Idee des damaligen SPD-Verteidigungsministers Rudolf Scharping entpuppt hat, mit deren Hilfe der einstige Außenminister Joschka Fischer (Grüne) den Krieg gar als Kampf gegen ein zweites "Auschwitz" stilisieren konnte - vergessen. Auch, dass die Milosevic-Anklage der Chefanklägerin des Internationalen Strafgerichtshofs in Den Haag, Carla del Ponte, von einem peinlichen Totalzusammenbruch bis zum nächsten stolperte, bis Milosevic plötzlich verstarb, konnte man zwar seit Beginn des Prozesses in der Zeitung verfolgen, doch solche Hintergründe interessieren Matussek in seiner Handke-Kritik natürlich nicht im Geringsten.

Stattdessen vergleicht er lieber Äpfel mit Birnen: "Politische Irrtümer sind in der deutschen Literatur durchaus keine Seltenheit. Von der Nazi-Begeisterung Benns bis zu Brechts Stalin-Verehrung gab es durchaus ernormere Vorbilder", erklärt Matussek - womit er unterstreicht, dass auch er die Post-Wende-Renaissance der Totalitarismustheorie längst genauso verinnerlicht hat wie ein Konfirmand den Luther'schen Katechismus.

Gewiss: Man mag von der serbischen Parteinahme des österreichischen Schriftstellers halten, was man will. Die Nolbelpreisträgerin Elfriede Jelinek beispielsweise erklärt in ihrem Handke-Debattenkommentar in der "Jungle World", dass sie "das Eingreifen fremder Mächte bei drohendem Völkermord, den ich damals am Balkan gesehen hatte, auch völkerrechtlich gedeckt fand und immer noch finde", um ihren diesbezüglichen Dissens mit ihrem Kollegen einzuflechten. Doch zumindest die Möglichkeit einer "offenen Wahrheit", auf deren Spur die Heine-Preis-Juroren Handke vermuten, sollte von einer freien Presse in einem demokratischen Staat doch konzediert werden können - ohne gleich eine einjährige Mundtotmachung der Juroren-"Betriebsnudeln" zu fordern, wie Matussek es in seinem Artikel tatsächlich für angebracht hält.

Vielleicht antwortet man darauf wirklich am Besten mit Elfriede Jelineks zitierter Verteidigung Handkes: "Das, was von der Allgemeinheit gesagt wird und also gesagt werden muss (der berühmte Konsens über etwas), lässt dem Dichter keine Möglichkeit mehr übrig, etwas zu sagen, da alles schon ausgerechnet, zusammenaddiert und saldiert ist", heißt es dort. "Das, was allgemein und der Allgemeinheit (und die Gemeinheit bereits enthält) gesagt werden muss, entscheidet nicht darüber, ob einem Dichter etwas zu sagen nötig scheint, und wäre es das absolut Unnötige, Überflüssige, Sinnlose. Der Dichter hat, was er zu sagen hat, zu sagen, weil es ihm notwendig ist, es zu sagen, aber er hat nicht das Notwendige zu sagen, sonst hätte er gar nichts mehr zu sagen. Sonst hätte er nur noch zu erledigen, was erledigt werden muss. Das ist zuwenig." Wie Matusseks Polemik.