Das Richtige tun

Lee Childs Army-Krimi hat erstaunliche Qualitäten

Von Walter DelabarRSS-Newsfeed neuer Artikel von Walter Delabar

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Eigentlich ist das ein Roman, der keine Chance hat: Krimis, die sich mit Ermittlungen in der US-Army abgeben, sind beinahe notgedrungen darauf verpflichtet, sich mit den Themen Befehl-Gehorsam, Vernichtung einer eigenständigen Persönlichkeit und militärischer Ehrenkodex zu beschäftigen, der dort herrschen mag (für uns Zivilisten nicht wirklich nachvollziehbar).

Das korrespondiert nahezu zwangsläufig damit, dass sich hier halbwegs moderne Erzählformen verbieten und sich die Autoren aufs Gehabte konzentrieren und umso stärker auf Spannungsaufbau über die verdeckten Hintermänner, ihre Strategien, ihre Ziele und Schachzüge und einen unwissenden Ermittler vertrauen. All diese Vorurteile oder literarischen Zwangsmaßnahmen erfüllt Lee Childs "Die Abschussliste", die jetzt bei Blanvalet erschienen ist. Und trotzdem ist das Buch ein angenehm zu lesender Schmöker, der die besseren Krimi-Erwartungen zu erfüllen vermag, die vor allem darauf zielen, nicht gelangweilt zu werden. Außerdem ist Child ein routinierter Schreiber, der literarische Standardfehler, die sich gerade in der tagtäglichen Lesekost einschleichen, zu vermeiden weiß. Vor allem die Dialoge der Ermittler sind nicht wie zur vierten Wand hin gesprochen, sondern sind plausibel in den Erzählgang eingebaut. Keine Belehrung, kein unnötiges Geschwafel, ja, auch keine übermäßig komplizierte Konstruktion, sondern ein straff geschriebenes Buch, das spätestens die paar Euro, die man schließlich fürs Taschenbuch ausgeben wird, lohnt.

Was aber geschieht? General Kramer, abgestiegen in einem drittklassigen Motel erliegt während des Verkehrs einem Herzinfarkt. Kurze Zeit später wird seine Frau erschlagen. Nachdem noch zwei weitere Soldaten dran glauben müssen, ist klar, dass hier eine armeeinterne Verschwörung im Gange ist, in die weite Kreise hineingezogen werden könnten, was niemanden wirklich interessieren würde. Ja wenn, wenn da nicht der neue Vorgesetzte unseres Ermittlers Jack Reacher wäre, der ihm jede weitere Untersuchung untersagt. Spätestens jetzt ist klar, dass Reacher sich an alles Mögliche, aber nicht an eine solche Anweisung halten und gegen jeden auch nur denkbaren Widerstand seine Untersuchung durchführen wird. Denn immerhin hat seine Mutter ihm beim Abschied aufgetragen, das Richtige zu tun (so formuliert, ist das furchtbar schmalzig, aber Child kriegt das ganz gut hin, ohne sehr peinlich zu werden).

Das Ganze spielt um den Jahreswechsel 1989/1990. Die Welt wird gerade neu entworfen, es hat sogar Leute gegeben, die vom Ende der Geschichte gesprochen haben: In jedem Fall das angemessene Ambiente für einen Kriminalfall dieser Größe. Denn schnell wird klar, dass - da die Army ja Veränderungen hasst - die neue Weltordnung zu großen Konflikten auch innerhalb der Apparate führen wird, die von der alten ganz enorm profitiert haben. Dass der tote General auf der Reise zu einer Tagung gewesen ist und einen Handkoffer mit sich geführt haben soll, der deren Tagesordnung enthalten haben muss, bringt die Geschichte in Schwung. Denn offensichtlich soll deren Inhalt mit allen Mitteln verschwiegen werden, notfalls auch mit Gewalt oder auch mit Mord. Es geht um viel (was auch immer das sein mag), die Bösewichte des Romans sind auch schnell bekannt. Wir beobachten Reacher und seine Sergeantin Summer dabei, wie sie immer hinter den Verdächtigen her sind (der Corona des toten Generals) und zugleich von ihren eigenen Leuten gejagt werden.

Am Ende dann steht Reacher zwar mit der Lösung seines Falls da, aber ist zugleich selbst beschädigt, denn in dem rasant inszenierten Ablauf macht er nicht nur Fehler, er lässt sich auch dabei erwischen. Nein, besser, er steht zu ihnen, auch wenn ihm das schadet. Eine solch ehrenwerte Figur ist vielleicht ein wenig arg inszeniert, vor allem wenn sie aus einer Army-Familie kommt, die Mutter Französin ist und Resistance-Kämpferin war und Reacher auch noch als Super-Hero alles zusammenzuschlagen versteht, was aus dem Weg geräumt werden muss. Solche kompetenten und ehrenwerten Helden haben es nicht einfach mit ihren Lesern. Wir sind zu sehr den Versager von nebenan gewöhnt, der mit dem Leben zwar nicht fertig wird, aber gern verwickelte Zusammenhänge aufdeckt.

Allerdings hat Child hier auch auszubaden, was er sich selbst eingebrockt hat. Denn "Die Abschussliste" ist bereits der siebte Roman der Reacher-Serie und er erzählt die Vorgeschichte dessen, was in den anderen zu lesen ist. Und wenn man einmal den Fehler begangen hat, sich auf Serienhelden einzulassen, muss dann auch die Vorgeschichte einigermaßen plausibel sein (das ist wie bei Superman die Geschichte seiner Herkunft und seiner Schwäche, was Kryptonit angeht). Selber schuld, kann man ihm also nur sagen.

Wenn man aber wirklich meckern will, dann im Grund genommen nur über eins: Die Figuren des Jahres 1990 wissen zu genau, was in den anderthalb Jahrzehnten seitdem geschehen wird: Balkankrieg, Irakkrieg, Zusammenbruch des Ostblocks und was man sonst noch will. Nichts für ungut, ein bisschen mehr Unwissen oder ein paar Fehleinschätzungen hätten dem Ganzen gut getan. So bleibt am Ende ein all zu glatter Eindruck, allerdings auch kein Bedauern zurück, sich mit Childs "Abschussliste" ganz angenehm die Zeit vertrieben zu haben.


Titelbild

Lee Child: Die Abschussliste.
Übersetzt aus dem Englischen von Wulf Bergner.
Blanvalet Verlag, München 2006.
478 Seiten, 19,95 EUR.
ISBN-10: 3764501820

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