Kleines Buch, große Wirkung

Jan Peter Bremers "Still leben"

Von Martin GaiserRSS-Newsfeed neuer Artikel von Martin Gaiser

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Vor zehn Jahren erhielt Jan Peter Bremer den Bachmann-Preis, vier Jahre danach erschien sein Roman "Feuersalamander". Seitdem war von dem ohnehin sehr zurückgezogen wirkenden Autor nichts mehr zu lesen. Nun endlich liegt wieder ein Buch vor, besser gesagt, da es von ihm kein Buch mit mehr als 150 Seiten gibt, ein Büchlein.

Folgerichtig hat der Verlag "Still leben" auch als Kurzroman bezeichnet. Doch Quantität hat nichts mit Qualität zu tun, das beweist Bremer mit diesem neuen Buch wieder einmal ganz deutlich. Fast ist es wie in der Lyrik und in der Kurzgeschichte, wo man sich keine Längen, Durchhänger oder gar Schlampereien erlauben darf. Im Roman von sagen wir einmal 500 Seiten fällt so etwas zwar auch auf, doch ist man hier wahrscheinlich gnädiger und sieht dem Verfasser eine kleine Schwäche auch einmal nach. Schreibt man so verdichtet und konzentriert, wie es Jan Peter Bremer tut, muss jedes Wort stimmen, am richtigen Platz sein, den Rhythmus des Textes unterstützen.

In "Feuersalamander" schrieb ein Schriftsteller, der seine Frau und sein Kind verlassen hat, um der häuslichen Enge zu entkommen und befreit schreiben zu können, die Worte "Mein Freund" auf eine Postkarte. Mehr gelang ihm nicht, er verstrickte sich in der Folge in einige kuriose Situationen. Sechs Jahre später, so könnte man "Still leben" lesen, ist dieser Mann wieder bei seiner Familie, hat ein zweites Kind und lebt glücklich in einem kleinen Haus auf einem Berg. Und wieder schreibt er. Jeder Absatz beginnt nun mit der Anrede "Mein lieber Freund". Man weiß nicht, an wen sich der Ich-Erzähler wendet, es könnte er selbst sein, das Schreiben somit ein Selbstgespräch, es könnte eine Wunschvorstellung sein, eine Dopplung seiner selbst (im Falle einer Schizophrenie), es könnte Gott oder der Tod sein. Das Buch, das nahezu keinen Rückschluss auf die Zeit seiner Entstehung zulässt, so zeitlos ist es, so ohne Bezug zu den Erscheinungen und Phänomenen der Gegenwart, kommt auch sprachlich ohne jeglichen Ballast, ohne Füllmaterial aus. Wie die Veränderungen beispielsweise auf einer Erdbebenskala, von kaum merklich bis zur Verwüstung, steigert Bremer diesen Text. Vom vollkommenen Glück - die Kinder sind noch klein, die Harmonie perfekt, das stille Leben benötigt keine Einflüsse von außen - zur völligen Auflösung, zum Alptraum, bestehend aus Depression, Eifersucht und Schweigen.

Bremers ruhige Sprache, seine kargen Worte sind auf unerklärliche Weise geladen, sodass sie intensive Szenen, dramatische Entwicklungen und fast surreale Bilder schaffen, die der Beliebigkeit vieler geschwätziger und austauschbarer Romane weit überlegen sind. Es ist sicher nicht übertrieben, Jan Peter Bremer mit seinen mittlerweile fünf kurzen Romanen (die drei ersten liegen als Taschenbuch unter dem Sammeltitel "Paläste" vor) in einen Kontext mit Robert Walser, Franz Kafka und Samuel Beckett zu stellen.

Große kommerzielle Erfolge wird man mit dieser Literatur nicht erzielen können, doch die Kunst des Schreibens, die Bremer hier wieder eindrucksvoll gezeigt hat, lebt in Büchern wie diesem. Der Berlin Verlag darf sich glücklich schätzen, einen solchen Meister in seinem Programm zu haben.


Titelbild

Jan Peter Bremer: Still leben. Kurzroman.
Berlin Verlag, Berlin 2006.
96 Seiten, 16,00 EUR.
ISBN-10: 3827006406

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