Große Gefühle

Steinunn Sigurdardóttirs Island-Romanze "Die Liebe der Fische"

Von Stefan MeschRSS-Newsfeed neuer Artikel von Stefan Mesch

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Obacht! Wer zu "Die Liebe der Fische", dem neuen Roman der isländischen Erfolgsautorin Steinunn Sigurdardóttir, greift, sollte vorher ein paar Dinge wissen. Zum einen, dass "Roman" etwas hochgegriffen ist für eine Novelle/Erzählung, die bei großzügigem Schriftsatz gerade mal 96 Seiten füllt. Zum anderen, dass "neu" nur für die deutsche Übersetzung gilt: Der Originaltext stammt von 1993. Vor allem jedoch sollte man sich bewusst machen, dass Sigurdardóttir - trotz euphorischer Kritikerstimmen und einem großen erzählerischen Schwung - nur insoweit "Erfolgsautorin" genannt werden kann, wie man zum Beispiel Songwriter Kristofer Aström als "erfolgreichen Musiker" bezeichnen würde.

Soll heißen: Sigurdardóttir ist eine leidenschaftliche Erzählerin, keine Frage. Aber ab und an vergreift sie sich derart böse im Ton, dass sich ihr Exotenstatus kaum ändern lassen wird. Bei Kristofer Aström kreischen ab und zu unvermittelt Mundharmonikas los, oder der Synthesizer zerdudelt jede Atmosphäre. Bei Sigurdardóttir werden große Gefühle aufgefahren, aber die Figuren stehen eher flach vor der ausführlichst beschriebenen isländischen Landschaft herum. Natürlich kann man das mögen - wenn man ein Auge zudrückt. Holpersätze ignoriert. Und immer, wenn die Musik aufwallt, die Lautstärke ein wenig nach unten dreht. Dann geht es. Dann geht es sogar sehr gut. Aber eben nur dann.

Die Handlung dreht sich um die lakonische Ich-Erzählerin Samanta Einarsdóttir. Sie arbeitet für einen Verlag in Reykjavik, übersetzt indische Lyrik ins Isländische und macht gerade Urlaub im Süden, in einem Schloss von reichen Bekannten (Irland? Osteuropa? Oder Deutschland, in seiner Zuckerbäcker-Kopfsteinpflaster-Schankstuben-Variante?). Samanta ist 29. Ihre letzte Beziehung ist eine Weile her, aber sie hat wenig Lust, sich auf jemand neuen einzulassen. Deshalb lässt sie Hans, einen dreist-charmanten Manager aus der Heimat, auch erst einmal abblitzen. Im Lauf der nächsten Jahre begegnen sich die beiden jedoch immer wieder. Hans will. Samanta nicht. Oder doch?

"Die Liebe der Fische ist kalt wie die Fische selbst", zitiert Sigurdardóttir im Vorsatz. Und entwirft einen kargen, beinahe banalen Plot um zwei Fremde, die kühl und stellenweise auch recht masochistisch aneinander vorbei...glitschen, eine Art Anti-"Harry und Sally". Samanta arbeitet ein bisschen, leidet ein bisschen, verreist ab und zu und verbringt viel Zeit damit nachzuspüren, was sie eigentlich fühlt: "Nichts geschieht in dem Augenblick, wo es geschieht", sagt sie sich. "Alles geschieht erst im Nachhinein. Ich war nicht zuvor am Abend mit Hans Örlygsson essen gewesen, sondern das geschah erst jetzt, ich sah den Mann in einem klaren Licht, wie attraktiv er war und wie flott er wirkte."

Eine Art emotionaler Jetlag also. Eine Gefühlsverzögerung, die Samanta ständig dem eigenen Leben hinterrennen lässt. "Vielleicht war es ja ein und dasselbe, ein amüsantes Leben zu inszenieren und eines zu haben. Vielleicht war die Schauspielerei The Real Thing, vielleicht kam man ganz einfach nicht näher an den Kern der Sache heran, und in den allerbesten Momenten wurde das Spiel zu dem, was es zu sein vorgab", grübelt Samanta. Das klingt ein wenig nach Befindlichkeitsprosa, und ein bisschen nach Existenzialismus. Aber leider eben auch wie etwas, das sich Ally McBeal denken könnte, während sie winterliche Straßen hinabläuft, auf denen viel zu viele Lichterketten blinken: Was aus den Tiefen des Unbewussten hochgezerrt wird, muss nicht automatisch auch tiefgründig sein.

Entsprechend dreht sich der Roman auch weniger um die große Liebe als um die Zweifelhaftigkeit und Fragilität solcher Gefühle. Millionen kleiner Irritationsmomente und Hilflosigkeiten. Gedanken, die sofort wieder verworfen werden, und Sehnsüchte, denen keiner trauen will. Ein großer Stoff, der angenehm knapp und zurückgenommen erzählt wird und damit beim Leser offenbar genau jenen Jetlag auslösen soll, der auch Samantas Leben bestimmt: "Ich sehne mich nach der Zeit zurück, bevor Hans Örlygsson in mein Leben einbrach. Wahrscheinlich werde ich nie begreifen, worum es eigentlich in dieser Sache geht. Ich kenne den Mann nicht. Ich bin mir nicht einmal sicher, ob ich ihn akzeptieren könnte, wenn ich ihn kennen würde."

Samanta und Hans sind ein ungemein faszinierendes Nicht-Paar, und Sigurdadóttir wirft haufenweise vertrackte Fragen über die Dynamik des Begehrens auf. Auch, dass dem Roman - anders als z. B. ihrer Provinz-Groteske "Gletschertheater" - jeder Humor fehlt, tut ihm gut.

Doch das zentrale Faszinosum von "Die Liebe der Fische" liegt woanders: Darin, wie es Sigurdardóttir gelungen ist, auf nur 96 Seiten trotz souveränem Spannungsbogen und interessanten Konflikten so viel Mist zu bauen. Vor allem die Landschaftsbeschreibungen sind zum Weglaufen, in ihrer unbeholfenen, unkonkreten Süßlichkeit. Etwa, wenn sich "Heerscharen neugeborener Lämmer bei herrlichem Wetter auf den Wiesen tummeln" und "vor lauter Fröhlichkeit so lautstark blökten, dass es in den Bergen widerhallte." Wer Island nicht kennt, für den wird "Die Liebe der Fische" nichts daran ändern können. Außer, dass er fortan klebrig-romantischen Natur-Patriotismus fürchtet, sobald er ein isländisches Buch aufschlägt.

"Das ist meine Lieblingsfarbe bei Rosen", sagt Samanta über eine orangefarbene Züchtung. "Es ist roter als rot", befindet Hans. "Weil es nicht rot ist", erwidert Samanta. Autsch! Das kann auch vor dreizehn Jahren nicht weniger missglückt geklungen haben als heute, im Jahr 2006. Doch wie gesagt: einfach die Lautstärke drosseln. Ein Auge zudrücken. Solche Holpersätze kommen auch bei Undine Gruenter mal vor, oder bei Peter Stamm. "Die Liebe der Fische" ist ein Buch für zwischendurch. Eine schludrige, aber interessante Skizze über Nähe und Angst.

Eingebettet in drei, vier weitere Erzählungen auf diesem Niveau wäre das ein netter Appetithappen: das Äquivalent einer EP, wenn auch kein richtiges Album. Doch Rowohlt veröffentlicht den Spar-Roman pompös als Single, mit Schutzumschlag und Lesebändchen: für denselben Preis gäbe es auch volle 70 Minuten melancholischen Skandinavien-Pop. Der ist zwar mitunter ebenso wenig stilsicher - aber stimmungsvoller. "Die Liebe der Fische" jedenfalls wird sich keiner auf "Repeat" stellen wollen: Kitsch bleibt Kitsch - ob unterkühlt oder nicht.


Titelbild

Steinunn Sigurdardóttir: Die Liebe der Fische. Roman.
Übersetzt aus dem Isländischen von Coletta Bürling.
Rowohlt Verlag, Reinbek bei Hamburg 2006.
96 Seiten, 14,90 EUR.
ISBN-10: 3498063677

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