Orbis Schnapphahnski

Georg Weerths Roman "Ritter Schnapphahnski" und Bernd Füllners Weerth-Chronik

Von Thomas NeumannRSS-Newsfeed neuer Artikel von Thomas Neumann

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Das kleine handliche Bändchen aus dem Verbrecher Verlag kommt in einer kladdenartigen Aufmachung daher, wie mit einem Wachsmalstift beschrieben. Auf dem hinteren Außentitel findet man einen kurzen Ausschnitt aus dem Inhalt, der den Leser vorbereitet, was ihn erwarten wird, sollte er sich für die Lektüre entscheiden: "Homer ist tot. Ich lebe. Das Letztere freut mich am meisten. Was Homer nicht tun konnte: ich tue es. Homer besang den Odysseus - ich verherrliche den Ritter Schnapphahnski."

Georg Weerth (1822-1856) gehört mit seinen etwas außerhalb des klassischen Kanons des 19. Jahrhunderts liegenden Texten eher zu den Randfiguren der Literaturgeschichte. Am bekanntesten ist sein Gedicht "Hungerlied", das es sogar bis in die Lesebücher geschafft hat. Dennoch: den Autor Georg Weerth kennt man kaum - außer, wie es Nils Folckers im Nachwort zum "Schnapphahnski" formuliert, "aus marxistischen Lesezirkeln, germanistischen Seminaren oder [...] aus Detmold." Trotzdem gibt es bei Weerth einiges zu entdecken. Und es sind sogar literarische Perlen, die man bei ihm finden kann: Es ist eine mit dem Florett geführte Sprache, die Humor und Brillanz offenbart, sodass sie an mancher Stelle ihresgleichen sucht. Dabei kann sich Weerth durchaus mit den Höhepunkten der humoristischen Literaturgeschichte vergleichen, etwa mit Christian Dietrich Grabbes "Scherz, Satire, Ironie und tiefere Bedeutung". Diese Grundhaltung offenbart sich sogar im Vorwort Weerths, indem er die nicht ganz so lustige Nachgeschichte der Veröffentlichung rekapituliert, die ihm mehrere Monate Gefängnishaft einbringen sollte.

Georg Weerth hatte aufgrund seiner Bekanntschaft mit Karl Marx eine enge Beziehung zur "Neuen Rheinischen Zeitung", für die er seit ihrem ersten Erscheinen schrieb. Dort erschien der Roman "Leben und Taten des berühmten Ritters Schnapphahnski" in lockerer Folge zwischen August 1848 und Januar 1849. In der Literaturgeschichtsschreibung wird er als erster Feuilletonroman bezeichnet, was aber eher den unterhaltenden Aspekt hervorhebt und den pointiert-kritischen und ironischen Humor etwas zurücktreten lässt. Es sollte das einzige zu Lebzeiten Weerths veröffentlichte Buch bleiben und es erschien in überarbeiteter und teilweise etwas entschärfter Fassung 1849 in Hamburg. Weerth hatte seine Hauptperson von Heine entliehen, der Schnapphahnski in seinem "Atta Troll" schon ein kleines Denkmal gesetzt hatte. Weerths Roman karikiert den auch bei Heine gemeinten Abgeordneten der Paulskirche Fürst Lichnowski, der am 18. September 1848 von Aufständischen in Frankfurt ermordet wurde. Weerth sollte die angebliche Verunglimpfung des Fürsten ein paar Monate Haft einbringen, die er 1850 antrat. Nach dem Scheitern der Revolution stellte Weerth seine schriftstellerische Tätigkeit ein - sie erschien ihm sinnlos - und nahm sein Leben als Geschäftsmann wieder auf. 1856 starb er in Ausübung dieser Tätigkeit in Havanna auf Kuba.

Die Ausgabe im Verbrecher Verlag hat den Verdienst, den Text des Romans wieder zugänglich zu machen. Gewünscht hätte man sich einen wissenschaftlichen Anhang, der sich zu Druckvorlage und editorischen Richtlinien äußert und nicht nur pauschal die skandalöse Editionsgeschichte kritisiert. Davon einmal abgesehen hält der Leser mit dem Roman einen der besten satirischen Texte, der Mitte des 19. Jahrhunderts geschrieben wurde, in Händen. Und ganz im Sinne Weerths - "Homer ist tot. Ich lebe." - sollte man durchaus einen Blick auf den etwas "schrägen Klassiker" werfen.

Ist man nach der Lektüre des Romans noch an Hintergrundinformationen zu Leben und Werk Weerths interessiert, greife man zu der von Bernd Füllner verfertigten "Georg-Weerth-Chronik". Die von Füllner im Umfeld der beim Aisthesis Verlag in Bielefeld erscheinenden kritischen Weerth-Ausgabe konzipierte Chronik umfasst nahezu 200 Seiten, ist in übersichtlichem Din A4 Format gedruckt und enthält neben den reinen Daten zur Biografie Weerths umfassende Kontextinformationen - bis hin zu Dokumenten, Zeitungsausschnitten, Briefzitaten und illustrierendem Bildmaterial. "Neben den reinen Lebensdaten verzeichnet die Chronik alle Werke Weerths". Die inhaltlichen Ergänzungen der Chronik erklärt der Verfasser in der "Nachbemerkung": "Damit diese Chronik nicht ein reines Datengerüst bleibt, werden unterschiedlich umfangreiche Passagen aus Briefen, in wenigen Ausnahmen auch aus Werken, mitgeteilt. Die Auswahl dieser Auszüge richtet sich danach, inwieweit sie Informationen zur Entstehung einzelner Werke liefern, nach ihrem biografischen Informationsgehalt, nach Aussagen zu Weerths Verhältnis zu anderen Schriftstellern und Politikern, aber natürlich auch zum engen familiären Kreis oder zur (einseitig) geliebten Betty Tendering. Einen besonderen Raum nehmen bei den hier mitgeteilten Briefauszügen Weerths [...] Angaben über das Reisen ein [...]. Ein ungeahntes Panorama des Reisens im 19. Jahrhundert wird sichtbar."

Vergleicht man beide Bücher, ist es die Chronik Füllners, die einem aus heutiger Sicht spannender erscheint. Aber auch den "schrägen Klassiker" sollte man ein wenig Zeit widmen. Denn unterhaltsamer als mancher als unterhaltsam angepriesene Roman ist der "Ritter Schnapphahnski" allemal.


Titelbild

Bernd Füllner: Georg-Weerth-Chronik (1822-1856).
Aisthesis Verlag, Bielefeld 2006.
188 Seiten, 24,00 EUR.
ISBN-10: 3895285390

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Titelbild

Georg Weerth: Leben und Taten des berühmten Ritters Schnapphahnski. Roman.
Verbrecher Verlag, Berlin 2006.
223 Seiten, 14,99 EUR.
ISBN-10: 3935843658

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