Zündels Abgang am Hang
Neues von und über Markus Werner
Von Klaus Hübner
Besprochene Bücher / LiteraturhinweiseSeinen besonders erfolgreichen Autoren widmet der S. Fischer Verlag bisweilen ein Taschenbuch mit Texten und Materialien, sicherlich auch in der Hoffnung, es möge den Ruhm des Schriftstellers weiter mehren. Nun ist Markus Werner an die Reihe gekommen, der 1944 geborene, in Schaffhausen lebende Autor der Romane "Zündels Abgang", "Froschnacht", "Die kalte Schulter", "Bis bald", "Festland" und "Der ägyptische Heinrich", der spätestens seit "Am Hang" kein Geheimtipp mehr ist.
Dieser jüngste Roman, 2004 erschienen, ist nicht nur sein mit Abstand meistverkaufter geworden - "Am Hang" ist womöglich sogar sein bester. Wenngleich man nach einem solchen Urteil, das ja auch eines über die vorausgegangenen sechs Bücher ist, naturgemäß sofort zögert. "Allein das Zögern ist human", sagt Werners Romanheld Thomas Loos, und so lautet auch der Titel des vom Zürcher Literaturkritiker Martin Ebel herausgegebenen Buches. Das Verblüffende daran: Es ist ebenso ein Buch von Markus Werner geworden wie eines über ihn. Der ungemein sorgfältig arbeitende und deshalb ganz auf die Kraft seiner Texte vertrauende Schriftsteller, von dem es, wie Ebel schreibt, keine Homestories gibt und nur wenige Äußerungen über sein Werk, hat tatsächlich gar nicht so selten über sich und seine Arbeit gesprochen. Er hat es nur ein wenig versteckt getan hat, in Dankesreden zu den mittlerweile zahlreichen Literaturpreisen, die er erhalten hat, oder in einem der raren Gespräche mit vertrauten Journalisten. So sind die ersten achtzig Seiten die mit Abstand spannendsten, und in der Zusammenstellung dieser ohne Martin Ebel schwer greifbaren Texte liegt das größte Verdienst des Buchs.
Nicht nur überrascht Markus Werner mit einer dem Alphabet folgenden gereimten "Kleinen Liebes-Organologie", so zum Beispiel mit dem Reim zum Buchstaben "S": "Der Seelen Einklang ist ein Fest / Schwellkörper sorgen für den Rest". Er lobt auch, mit wohlgesetzen, leicht ironischen Worten, die reine Faulheit als nachdrückliche "Absage an das besinnungslos rumorende Weltgetümmel". Heute könne man, sagt Werner, von allem "die Bestandteile herausfinden bis zum atomaren Bereich und weiß immer noch nicht, was es ist ...Wir zählen Staubfäden und bedienen Computer und schneiden uns die Zehennägel und bleiben ahnungslos." Diesen existenzialistisch geprägten Autor, der sich am ehesten als "trauriger Humorist" sieht, beschäftigt alles, was man nicht zu fassen vermag, was keine Lösung erlaubt, was Angst machen kann. Wo das "Prinzip Unsicherheit" herrsche, dort sei der Ort der Kunst. Allerdings: "Eine Kunst, die nichts zu tun hat mit unserer Existenz und mit der zersplitterten und beschädigten und komplizierten Realität, interessiert mich nicht. Ich bin altmodisch, ich bin für Verbindlichkeit. Der Postmoderne ist alles gleich gültig, also gleichgültig."
Ihm hingegen sei das barocke Lebensgefühl tief vertraut, ohne religiöses Fundament allerdings. "Die Hinfälligkeit und Vergänglichkeit alles Irdischen - also auch der Liebe - dürfte wirklich ein Zentralthema meiner Bücher sein." Wie man mit der Einsicht in die empörende Gebrechlichkeit von Welt und Mensch umgehen könne, davon handle jedes seiner Bücher auf jeweils eigene Art. Mehr verrät Markus Werner nicht. Denn: "Es geht entschieden zu weit, wenn man von mir verlangt, das gelegte Ei auch noch selbst zu begackern. Das müssen schon die Leser tun."
Folglich tritt nun die so genannte Sekundärliteratur an, unter anderem in Form von jeweils drei mit Bedacht ausgewählten Besprechungen zu jedem der sieben Bücher. Ähnlich interessant und anregend wie diese sind die drei Laudationes. Enttäuschend hingegen ist die weit weniger umfangreiche Wissenschaftsabteilung, nicht wegen der Qualität der auch heute noch diskutierbaren Analysen von Hubert Winkels (1988) und Helmut Böttiger (2004), sondern weil man offenbar keinen Wissenschaftler gefunden hat, der sich auf dem aktuellen Stand der Dinge Gedanken zu Markus Werner machen wollte. Dafür entschädigt wird der Leser durch "Hommages" von Kollegen wie Klaus Merz, Urs Widmer oder Joseph von Westphalen, vor allem aber durch "Annäherungen": Annette Mingels sagt viel Kluges über die mehrfach lädierten und sich selbst entfremdeten Männerfiguren in Werners Werken, Hermann Kinder widmet sich unter anderem Werners Wechselspiel von Melancholie, aufklärerischer Kritik und Komik, und Gunhild Kübler geht der Frage nach, ob die sieben Romane "Männerbücher" sind. Sie kommt zu dem Ergebnis, dass eine solche Etikettierung an allen singulären Qualitäten dieses Erzählers vorbeigeht, "an seinem moralischen Ernst und vertrackten Witz, den vielen skurrilen Einfällen und der hintergründigen Komik, seiner Findigkeit bei der Anzettelung von Konflikten, seiner Souveränität in der Plotgestaltung und nicht zuletzt seiner Sprachprägnanz."
Der Herausgeber übrigens bezeichnet Markus Werner als den Schriftsteller, "in dem man mit einigem Recht den bedeutendsten lebenden seines Landes sehen kann." Und setzt zögernd hinzu: "Der Autor selbst würde sich wohl bei diesem Superlativ wie der umständlichen Annäherung an ihn schütteln, trotzdem sei's gesagt."