Zu Fuß von Holland nach Istanbul

Der zweite Teil von Fermors Reise führt durch Ungarn und Rumänien

Von Georg PatzerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Georg Patzer

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Rumänien? Ein unbekanntes Land. Bessarabien? Da weiß fast niemand, wo das überhaupt ist. Walachei? Das ist irgendwo weit hinten. Aber Transsilvanien! Ja, Transsilvanien, das kennt man aus vielen Filmen, da liegt Schnee, da heulen die Wölfe, da beißen die Vampire - Transsilvanien ist das Land von Dracula!

Nein, kaum jemand hier in Westeuropa kennt Rumänien. Es muss eigentlich, schaut man sich die Reiseführer an, ein sehr schönes Land sein, voller Wälder und Flüsse. Und Dracula? Der war eigentlich ein Kämpfer gegen die türkische Fremdherrschaft. "Sultan Mehmet II., der Eroberer von Konstantinopel, zog aus, ihn für seine Erfolge zu bestrafen. Doch ein unbeschreiblicher Anblick brachte seinen Rachefeldzug jäh zum Stillstand: ein weites Tal, darin Tausende von aufgespießten türkischen und bulgarischen Toten aus dem Vorjahr, ein Wald von Pfählen mit verwesenden Leichen, auf dem höchsten davon des Sultans General in vollem Ornat." Der Sultan war entsetzt und floh. Und den walachischen Fürsten Vlad III. nannte man, eben wegen seiner Vorliebe für das Pfählen, Vlad Tepes, den Pfähler. Sein Vater hieß Vlad der Drache, Vlad Dracul, deswegen bekam sein Sohn auch den Namen "Sohn des Drachen", Draculea. Und ein schottischer Autor machte dann "unseren Dracula" daraus.

So erzählt es einer der größten Reiseschriftsteller unserer Zeit, Patrick Leigh Femor. Er hatte 1950 mit "The Traveller's Tree" über einige Inseln der Karibik debütiert. In "Reise in die Stille" (1957) schilderte er seine Erfahrungen in französischen Klöstern, schrieb 1958 sein Buch "Mani" über die gleichnamige Halbinsel im Peloponnes. 1977 überraschte er mit einem ausführlichen Bericht (wenigstens dem ersten Teil) über eine Fußreise von Holland nach Istanbul, das er immer nur Konstantinopel nennt.

1933 hat er diese Reise begonnen, an einem regnerischen Novembertag, im März 1935 kommt er in Istanbul an. Zu Fuß von Holland nach Istanbul, das ist ein ambitioniertes Projekt. Warum unternahm der jugendliche Mann diese lange Reise? Es war ein Akt der Selbstfindung, eine Art Ratlosigkeit, die ihn wegschickte, nachdem er von einigen Schulen geflogen war. Sein Wahlspruch war ein Satz von Augustinus: "Solvitur ambulando": "Es löst sich durchs Gehen." Anhand von Briefen und einem ausführlichen Tagebuch, gedanklichen Rekonstruktionen und lebendig gebliebenen Erinnerungen und wohl auch der einen oder anderen Literaturrecherche entstand vierzig Jahre danach ein wunderbar frisches, lockeres, gedankenvolles und abenteuerreiches Buch, das jetzt endlich auch auf Deutsch erscheint, in drei Bänden. Der erste Band erzählt die Reise von Rotterdam den Rhein hinunter, quer durch ein nationalsozialistisches Deutschland, dann quer durch Österreich an der Donau entlang, wo er durch ein Empfehlungsschreiben an einen Grafen bald von Schloss zu Schloss weitergereicht wird. Und zwischendurch immer wieder auch im Schnee oder in Bauernhäusern übernachtet. Fast immer wird er sehr gastfreundlich aufgenommen: "Ich kann diesen Wechsel vom Stroh zum Himmelbett und wieder zurück zum Stroh durchaus empfehlen." Über Wien geht es nach Ungarn.

Hier, an der berühmten Basilika von Esztergom beginnt der zweite Teil. Es geht durch Ungarn, lange verweilt Fermor in Budapest, bevor es weiter geht durch die große ungarische Tiefebene, die transsilvanischen Marschen, durch das Hochland der Karpaten, bis er an "das Ende von Mitteleuropa" kommt. Ein dritter Teil wird folgen, der Schluss.

Auch in Ungarn reist Fermor von einem Schlossherrn zum nächsten, befreundet sich mit den jungen und vielen älteren Adeligen, hat eine sehr lange, sehr zurückhaltend, schmelzend und süß beschriebene Liebesgeschichte, kommt bei vielen Bauern unter, erzählt von der wechselvollen Geschichte dieser Länder, die immer wieder unter den Mongolen und den Türken gelitten haben und auch unter qualvollen Brüderkriegen. In bewegenden und lebendigen Worten schildert Fermor die Natur und die Menschen, die vielen Höflichkeiten und einige Abstrusitäten; sein Buch ist voll mit Anekdoten über Land und Leute, voller Abschweifungen und genau treffenden Wörtern. Mit nur wenigen Strichen gelingt es ihm, die Personen, die er trifft, zu lebendigen Charakteren zu machen. Natürlich ist das alles nicht authentisch, immer wieder gesteht Fermor selbst die vierzig Jahre Verspätung ein, mit denen er, quasi aus der Rückschau des alten Mannes, die Erlebnisse eines ganz jungen erzählt.

Vielleicht ist das aber auch ein Vorteil. Denn immer wieder reflektiert er seine Reise und seine Rolle, erzählt von der Geschichte, erzählt manchmal auch von späteren Entwicklungen, die durch diesen anderthalbjährigen Fußmarsch mit angestoßen wurde. (Immerhin organisierte Fermor auf Kreta drei Jahre lang den Widerstand gegen die Nazis und entdeckte dabei auch die Schönheit Griechenlands). Ganz unterschwellig und fast ohne dass man es merkt, wird aus der ausufernden Reiseerzählung auch ein sanfter Entwicklungsroman. Vom unpolitischen Genießer, vom naiven englischen Eliteschüler, der sich über die Nazis nur wundert, wird ein eminent politischer Beobachter und Kriegsheld.

Was aber an seinem Reisebuch auch heute noch und immer wieder neu begeistert, ist das offene Auge des Autors für die Schönheiten der Landschaft und wie er seine sinnlichen Eindrücke beschreiben kann, wie er von ihnen schwärmt, auch wenn er sie scheinbar sachlich beschreibt. Da steht er stilistisch weit über seinen vielen Nachahmern.


Titelbild

Patrick Leigh Fermor: Zwischen Wäldern und Wasser. Zu Fuß nach Konstantinopel: Von der mittleren Donau bis zum Eisernen Tor. Der Reise zweiter Teil.
Übersetzt aus dem Englischen von Manfred Allié und Gabriele Kempf-Allié.
Dörlemann Verlag, Zürich 2006.
364 Seiten, 23,90 EUR.
ISBN-10: 3908777186

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