Im Ungefähren leben

Janna Steenfatt erzählt in ihrem Debütroman „Die Überflüssigkeit der Dinge“ vom Warten auf den richtigen Moment

Von Petra PortoRSS-Newsfeed neuer Artikel von Petra Porto

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

„Es gab Zeiten, da hätte der Tod meiner Mutter in der Zeitung gestanden, aber diese Zeiten waren lange vorbei. Als sie starb, blieb ein Haus voller Dinge.“ So beginnt der Roman von Janna Steenfatt, und damit ist auch schon einer der Handlungsstränge umrissen: „Meine Mutter“, das ist die ehemalige Theaterschauspielerin, die seit Jahren kein Engagement mehr hatte und in den letzten Jahren ihres Lebens für eine Erotik-Hotline arbeitete. Jetzt ist Greta Mayer tot, sie ist mit dem Wagen gegen einen Baum gefahren, ob Unfall oder Selbstmord wird nie ganz deutlich, und zurück bleibt ihre Tochter mit all den überflüssigen Dingen, die sich als Treibgut einer Existenz angesammelt haben – Urkunden und Plakate, Kosmetika und Kleidung, Notenhefte und Geschirr.

Ina jedenfalls, die Telefonaten und Treffen mit der Mutter schon seit Jahren ausgewichen ist, muss sich nun mit deren Nachlass auseinandersetzen und nimmt dafür die Hilfe ihres Mitbewohners Falk in Anspruch. Der ist das gewohnt, denn Falk kümmert sich schon seit Inas Einzug in seine Wohnung um sie, kocht für sie, geht mit ihr aus – und wenn sie mit jemand anderem nach Hause fährt, bringt er ihr am nächsten Tag einen Kakao an die Badewanne, setzt sich auf den Rand und streicht ihr durch das Haar, erleichtert, „dass es wieder jemand nicht dauerhaft in unser Leben geschafft hatte“.

Falk ist in Ina verliebt, das wissen beide, aber beide tun auch so, als wüssten sie es nicht, damit sich in ihrem Zusammenleben nichts ändern muss. Auch jetzt ist es vor allem Falk, der Möbelpacker, Umzugskisten und letztlich auch die Seebestattung der Mutter organisiert, während Ina wie versteinert an der Reling steht oder im Bad oder der Küche ihren Erinnerungen nachhängt.

In Inas Kindheit waren Mutter und Tochter permanent umgezogen, eine Spielzeit hier, eine andere dort. Das Leben der beiden orientierte sich an der Karriere der Mutter, kreiste später um deren Sucht. Der Alkohol machte Greta zuweilen redselig, und Ina nutzte die rauschbedingte Unachtsamkeit ihrer Mutter, um ihr Informationen zu entlocken. Irgendwann erfuhr sie so den Namen ihres bisher unbekannten Vaters: Wolf Eschenbach, Regisseur, der Greta verließ, um nach Amerika zu gehen, nun aber zurück nach Hamburg gekommen ist, um dort den Sommernachtstraum aufzuführen. 

Es gelingt Ina, die sich seit ihrem Studienabschluss vor drei Jahren mit Gelegenheitsjobs über Wasser hält, Arbeit in der Kantine des Hamburger Theaters zu finden, sodass sie den Vater beobachten kann, ohne dass er von ihr weiß. Als sie sich das erste Mal treffen, verkauft sie ihm ein Getränk, sie wechseln kaum zwei Worte miteinander. 

Ina reflektiert einmal, dass sie einen Großteil ihres Lebens mit Warten verbracht hat – und tatsächlich wartet sie auch im Roman permanent auf etwas: auf Personen, auf den Beginn einer neuen Jahreszeit, auf den Tag, an dem sie endlich dem Vater begegnen und sich ihm vorstellen wird:

Ich hatte mir meine ganze Kindheit und Jugend über ausgemalt, wie ich eines Tages nach meinem Vater suchen würde. Es war nur eine Vorstellung, ein Film in meinem Kopf, dessen Drehbuch je nach Lebensphase und den Büchern, die mich zuletzt beeindruckt hatten, variierte. Die Idee, irgendwann einmal aufzustehen und etwas zu tun. Eine Art Vorfreude auf ein unkonkretes Später. Bis dahin wartete ich, ohne zu wissen worauf.

Man weiß nicht recht, ist es lediglich Überdruss und Antriebslosigkeit oder liegt etwas in ihrer Psyche im Argen? Jedenfalls passiert Inas Leben ihr, und sie sieht sich selbst zu, beobachtet viel, ohne jedoch zu Erkenntnis zu kommen.

Mit Die Überflüssigkeit der Dinge verhält es sich ähnlich wie mit Inas Leben – der Roman bildet einen Schwebezustand ab und entwickelt sich ebensowenig wie seine Protagonistin. Weder der Tod der Mutter noch das Treffen mit dem Vater noch die Beziehungen, die Ina eingeht, dienen als Katalysator einer Entwicklung. Ina schaut dem Leben zu, die Lesenden schauen Ina zu, und am Ende des Textes muss man wohl annehmen, dass Ina sich die nächste Wohnung sucht, in der sie sich verkriechen und darauf warten kann, dass das Leben beginnt. Als Kunstgriff ist das zunächst gelungen, als Stilelement eines Textes von über 200 Seiten wirkt es leicht eintönig.

Die Figuren sind blass; sie haben zwar eine Funktion im Romangeschehen und werfen ein Schlaglicht auf Inas Existenz, doch ihre Motivation bleibt häufig Leerstelle. Natürlich resultiert diese Unkenntnis auch daraus, dass der Roman sich auf Inas Perspektive beschränkt, die kaum Empathie zu besitzen und andere nur in Relation zu sich selbst wahrzunehmen scheint. Doch auch Ina bleibt zu sehr Hohlfigur, zu oft lediglich Vehikel für kluge Beobachtungen und lakonische Bemerkungen, zu sehr Bündel von Neurosen, um tatsächlich glaubhaft zu sein. Der Text schreibt ihr dabei eine Tiefe zu, die er nicht einlöst.

So fühlt sich Ina denjenigen überlegen, die die den Pfad der Konventionalität gehen: „In mir breitete sich ein Gefühl des Davongekommenseins aus, das sich mit Neid mischte, nicht auf das Leben, das sie führten, sondern auf die Fähigkeit, mit dem, was man haben konnte, zufrieden zu sein. Und, vor allem, immer genau zu wissen, was das war.“ Diese angebliche Sehnsucht nach einem noch zu Erreichenden bleibt aber lediglich Behauptung und schlägt sich nicht in der Handlung nieder.

Dennoch ist Die Überflüssigkeit der Dinge ein beachtenswertes Debüt – da ist die interessante Ausgangssituation, und da ist der überzeugende, ganz eigene Ton der Autorin. Merkte man dem Roman ein bisschen weniger den zugrundeliegenden Strukturwillen an: Es wäre ein ausgezeichneter geworden.

Titelbild

Janna Steenfatt: Die Überflüssigkeit der Dinge. Roman.
Hoffmann und Campe Verlag, Hamburg 2020.
240 Seiten, 20,00 EUR.
ISBN-13: 9783455008319

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