Hier ist es geschehen

„Berlin, April 1933“: Felix Jacksons Roman über die Machtübernahme der Nazis ist eine bedrückende Lektüre über die Verrohung in einem populistischen Regime

Von Walter DelabarRSS-Newsfeed neuer Artikel von Walter Delabar

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

In den letzten Monaten ist eine Reihe von Romanen erschienen, in denen die Machtübernahme durch ein populistisches, reaktionäres Regime beschrieben wird. Der Bonner Weidle Verlag hat dem nun die Neuauflage eines bereits 1993 erstmals auf deutsch erschienenen Romans des amerikanischen Film- und Fernsehmannes Felix Jackson hinzugefügt, der sich in die düsteren Anfangsmonate des NS-Regimes in Deutschland hineinbewegt. Zwar ist Deutschland nicht das erste Land, in dem ein faschistisches Regime die Macht übernahm, aber es ist eben nicht Italien, sondern Deutschland, das die Blaupause für solche Szenarien liefert, die in der Literatur für Aufsehen gesorgt haben. Und es sind eben nicht nur Klassiker wie George Orwells 1984 (1948) oder Margaret Atwoods The Handmaid’s Tale (1985), die für beunruhigende Lektüren sorgen, sondern auch Neuentdeckungen wie Sinclair Lewisʼ It Can’t Happen Here, 1935 in den USA publiziert, vor kurzem in deutscher Übersetzung erschienen, oder eben Felix Jacksons Berlin, April 1933.

Im Unterschied zu den klassischen dystopischen Romanen hat Jacksons Text freilich die historische Faktizität auf seiner Seite. Das NS-Regime hat tatsächlich ab Januar 1933 die Macht auf völlig legale Weise übernommen und binnen kurzem Deutschland zu seiner und zur Beute seiner Gefolgsleute gemacht. Im Gegensatz zu dem gleichfalls bei Weidle im Jahr 1998 neu herausgekommenen Roman Berlin ohne Juden, den Artur Landsberger 1925 veröffentlichte, führte das Regime Deutschland zwar nicht rasant in den wirtschaftlichen Ruin, sondern hielt lange den Anschein aufrecht, dass nur der Nationalsozialismus die Wirtschaftskrise wie den Zerfall von Gesellschaft angemessen bewältigen konnte. Was auch für Bewunderung sorgte im In- und Ausland. Aber politisch, sozial, gesellschaftlich und humanitär hätte der Fall nicht tiefer sein können.

Der Plot in Jacksons Roman ist recht einfach gestrickt und zeigt die sichere Hand des alten Film- und Theaterautors: Ein erfolgreicher Anwalt, Dr. Hans Bauer, kehrt nach einem mehrmonatigen Sabbatical nach Berlin zurück. Vier Monate hat er keine Zeitung angerührt und sich völlig unbeteiligt von dem, was in der Welt um ihn herum geschehen ist, zu entspannen versucht. Nun ist er voller Tatendrang, allerdings ist seine Rückkehr bereits getrübt: Alle Anwälte jüdischer Herkunft werden ihre Zulassung verlieren. Und Bauer hat, wie er nun erfahren hat, eine jüdische Großmutter. Das ist für die Kanzlei, in der er Sozius ist, misslich. Aber das Desaster wird noch größer, als Bauer endlich wieder in Berlin ist. Bis hin zu dem Moment, in dem er – der keinerlei Beziehung zur jüdischen Konfession und Kultur hat – schließlich sein „Diplom“ in der Hand hält, mit dem er das Land verlassen kann, der Pass, der ihn zum Juden macht.

Das Ende des Romans ist damit klar, aber es kommt auf den Weg dahin an: Auf den 270 Seiten zwischen der Rückkehr Bauers bis zu seinem Exil wird das NS-Regime in seiner verhängnisvollen und brutalen Schäbigkeit vorgeführt. Zugleich ist das Regime effizient darin, niemanden mehr aus seinen Fängen entkommen zu lassen. Mit unerhörter Grausamkeit und Rücksichtslosigkeit macht sich der Nationalsozialismus diejenigen gefügig, die nicht schon in hellen Scharen zu ihm übergelaufen sind. Alles, was nicht NS-konform ist, wird unter Generalverdacht gestellt. Wem es nicht passt oder wer aufmuckt, muss jederzeit damit rechnen, aufgegriffen, gefoltert und hingerichtet zu werden.

Prominenz schützt dabei nur bedingt. Bauer selbst ist berühmt genug, dass er für das Regime interessant ist. Aber er ist das auch wegen seiner zahlreichen Kontakte zu denjenigen Kreisen, die auf Abstand zum Regime geblieben sind: Schriftsteller, die insgeheim Flugblätter für den Widerstand geschrieben haben, Regisseure und Schauspieler, die im liberalen System groß geworden sind und nun den Übergang in das autoritäre suchen.

So sehr Braun jedoch versucht, sich an das Regime anzupassen, so wenig gelingt es ihm schließlich. Für das Angebot eines der Funktionäre, seine Papiere zu säubern, zahlt er nicht nur einen Haufen Geld, sondern er wird auch noch erpressbar. Das geht eine Weile gut, aber als er sich gutgläubig bereit erklärt, einem untergetauchten Paar, mit dem er befreundet ist, bei der Flucht zu helfen, tappt er in eine Falle, die vielleicht plump aufgestellt war, der er aber dennoch kaum hat entkommen können.

Sicher, Jacksons Roman steckt voller Stereotypen: der erfolgreiche, promovierte Jurist mit Moralempfinden, der Schriftsteller, der mit dem Regime eine Weile spielt, das Künstlerpaar, das sich freikauft, indem es Braun hereinlegt, die Schauspielerin, die sich für ihre Karriere prostituiert, die Amerikanerin, die sich in den SS-Funktionär verknallt, der Funktionär selbst, der sich als ehemaliger Intellektueller ausgibt, die Witwe, die seinerzeit Hitler persönlich begegnet ist, aber auch die dümmlichen, arroganten, sadistischen SA-Leute, der widerliche kleine HJ-Pimpf, der seine Eltern ans Messer liefert – all das sind Klischees, die vor allem eines für sich haben: dass sie allzu nah an der Realität sind.

Denn Realismus ist es, was Jackson einfordert, keinen chronologischen, aber einen solchen, der den Nationalsozialismus und eben nicht nur ihn im Ganzen angeht. Die Handlung basiere auf dem, was tatsächlich geschehen sei, die Figuren hätten wirklich gelebt, wenn sich Jackson auch einige literarische Freiheiten erlaubt. Das wird man ihm, um der Wirkung willen, die sein Roman hat, zugestehen wollen. Denn zweifelsohne muss Jackson verdichten und pointiert erzählen, um auf seinen Punkt zu kommen: Lässt man sie einmal machen, dann gibt es für niemanden ein Entkommen.

Felix Jackson selbst ist dem NS-Regime entkommen: Im Oktober 1933 konnte der als Felix Joachimson 1902 in Hamburg geborene Jackson Deutschland verlassen und über Zwischenstationen in die USA gehen. Anfang der 1930er Jahre war er ein erfolgreicher Autor von Revuen und Theaterstücken in Deutschland, ein Erfolg, den er in den USA fortsetzen konnte. Eine der Bedingungen: Mit der Ankunft in den USA anglisierte Joachimson seinen Nachnamen und wechselte vollständig in die englische Sprache. Später ging Jackson zum Fernsehen und stieg bis zum Vizepräsidenten von NBC auf. Drei Romane schrieb er in den USA, der letzte, unter dem Titel Secrets of the Blood, auf Deutsch Berlin, April 1933, erschien im Jahr 1980. Jackson starb im Dezember 1992, kurz bevor die deutsche Übersetzung, die Stefan Weidle selbst vorgenommen hatte, in Deutschland erscheinen konnte. Jackson hat der Übersetzung, wie Weidle berichtet, nur nach langer Überzeugungsarbeit zugestimmt.

Dass der Roman jetzt ein weiteres Mal erscheint, hängt nicht zuletzt mit der jüngeren politischen Entwicklung, dem Aufstieg nationalistischer und reaktionärer Parteien in Europa und Deutschland, dem Wiedererstarken des Antisemitismus und der grassierenden Fremdenfeindlichkeit zusammen. Jacksons Roman stemmt sich warnend gegen dieses ideologische Desaster, er ist ein politisches und humanitäres Statement des Verlags – aber eben auch eine beunruhigende Lektüre. Das soll so sein.

Titelbild

Felix Jackson: Berlin, April 1933. Roman.
Übersetzt aus dem Englischen von Stefan Weidle.
Weidle Verlag, Bonn 2018.
288 Seiten, 23,00 EUR.
ISBN-13: 9783938803882

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