Keine Sünde trägt ihre Kosten

Mit seiner Sammlung von vier Kriminalerzählungen Auguste Groners (1850 – 1929) erinnert der Wiener Verlag Brot und Spiele an die Erfinderin des ersten Seriendetektivs der deutschsprachigen Literatur

Von Dietmar JacobsenRSS-Newsfeed neuer Artikel von Dietmar Jacobsen

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

An Auguste Groner (1850–1929) erinnert seit 2009 der im Abstand von jeweils drei Jahren vom Expertinnennetzwerk der „Mörderischen Schwestern“ vergebene Preis der „Goldenen Auguste“. Ansonsten zählt die am 16. April 1850 als Auguste Kopallik geborene Tochter eines Wiener Beamten heute zu den nur noch einem kleinen Kreis von literarisch Interessierten bekannten Schriftstellerinnen ihrer Zeit. Dabei war die fast 30 Jahre als städtische Volksschullehrerin in Wien Tätige eine vielgelesene und, wie das Österreichische Biographische Lexikon es formuliert, „ungemein fruchtbare Jugend- und Volksschriftstellerin“, die sich „vor allem auf dem Gebiet der volkstümlichen Heimatkunde und -geschichte“ große Verdienste erwarb.

Dass die seit 1879 mit dem Journalisten Richard Groner (1853–1931) Verheiratete sich mit zahlreichen Kriminalnovellen und -romanen auch um die Entwicklung eines Genres Verdienste erwarb, dessen Hervorbringungen von der akademischen Kritik ihrer Zeit automatisch ins Land des Trivialen verbannt wurden, lässt auch das ÖBL nur am Rande durchblicken. Allein immer wenn Verlage versuchen, an Auguste Groner zu erinnern, sind es just die Kriminalgeschichten, mit denen sie das Interesse heutiger Leserinnen und Leser zu gewinnen suchen.

Auch der Wiener Verlag Brot und Spiele, gegründet vor gut zwei Jahren von dem Autor und Schnitzler-Spezialisten Max Haberich und sich mit seinem Selbstverständnis als „Kurzgeschichtenverlag“ einer im deutschsprachigen Raum scheinbar vernachlässigten Textsorte widmend, erinnert mit Der Brief aus dem Jenseits an Auguste Groner als eine der ersten Kriminalschriftstellerinnen im deutschsprachigen Raum. Dabei fällt bereits an der den Band einleitenden Erzählung Der seltsame Schatten auf, dass es der Autorin nicht nur auf die erzählerische Wiedergabe eines spannenden Falls angekommen ist, sondern dass auch soziale und ethische Aspekte in ihren Texten eine große Rolle spielten.

Indem ein ehemaliger Zuchthäusler namens Josef Holzer, den die Öffentlichkeit und die verantwortlichen Beamten aufgrund seiner dunklen Vergangenheit nahezu automatisch beschuldigen, hier nämlich die entscheidenden Ideen zur Lösung eines Verbrechens beisteuert, widerlegt er die verbreitete Meinung, dass, wer einmal den Pfad des Verbrechens eingeschlagen hat, zu keinem Zurück mehr fähig ist. „Auch Sträflinge sind Menschen, Menschen, die sich zuweilen mit aller Gewalt bessern wollen, aber man stößt sie mit aller Gewalt zum Verbrechen zurück“, lässt Groner gegen Ende eine Figur resümieren, die bis dahin zu jenen gehörte, die Holzer von vornherein im Verdacht hatten. Eine Läuterung, der die Autorin noch die Pointe folgen lässt, dass aus dem ehemaligen Verbrecher Josef Holzer wieder ein ehrlicher Mensch und „tatsächlich einer der fähigsten Detektive der Hauptstadt“ wird.  

In der zweiten Erzählung, Wer ist es?, taucht dann der von Auguste Groner erfundene Seriendetektiv Joseph Müller auf. Als „ältlicher Mann, der wie ein Kanzleidiener aussah und in einen sehr einfachen Zivilanzug gekleidet war“, macht er auf den ersten Blick nicht allzu viel her. Aber die Harmlosigkeit seines Auftretens und die Durchschnittlichkeit seines Aussehens täuschen. Denn wie der ihn in die Familie eines bestohlenen Wiener Barons einführende Polizeikommissar betont, hat wohl jeder Verbrecher „niemanden mehr zu fürchten als diesen unscheinbaren Mann.“ Der denn auch sofort mit ein paar Geistesblitzen und haarscharfen Beobachtungen den Tathergang rekonstruiert und die Spur des Diebes aufnimmt, bis der dingfest gemacht ist.

Ähnlichen, auf den ersten Blick unlösbaren Rätseln, gehen auch die beiden anderen Erzählungen des Bandes nach. Ist es in Nach zwanzig Jahren die Geschichte eines Sohnes und seiner Mutter, die ihre eigene prekäre Lebenslage dazu bringt, sich durch einen raffiniert eingefädelten Betrug in ein fremdes Leben hineinzuschmuggeln und dessen Annehmlichkeiten zu genießen, bis ein Zufall die Wahrheit ans Licht bringt, erhält in der Titelerzählung Der Brief aus dem Jenseits ein von der Unfehlbarkeit seines Urteils über Mitmenschen überzeugter Mann seine verdiente Lektion.

Wen die etwas antiquierte Sprache, in der jedes Gefühl der Figuren adjektivreich ausgeschmückt wird, nicht stört – „Wie zart der Kommissar reden konnte! Seine Güte fiel denn auch wie labender Tau in die gramvolle Seele des Mädchens.“ –, wird sich vor allem in den letzten beiden Texten des Bandes, dessen Aufmachung selbst ein wenig an die „guten alten Zeiten“ denken lässt, an Agatha Christie und Arthur Conan Doyle erinnert fühlen. Zeitgemäß – die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts war die Hochzeit von illlustrierten Familienblättern wie der Gartenlaube, Daheim und Über Land und Meer – sind die novellistischen Merkmale der Erzählungen, etwa ihre Überschaubarkeit bezüglich des Settings, der handelnden Personen und des Konflikts.

Den Neuigkeitscharakter ihrer Texte hebt Auguste Groner zudem gern hervor, indem sie fingierte Pressemitteilungen und Briefe, die nicht für jedermanns Auge gedacht sind oder – wie jenes ominöse Schreiben in der den Band beschließenden Erzählung – von einem nicht mehr lebenden Absender stammen, einbaut. Ausgesprochen modern wirken Anklänge an das beliebte Motiv des „locked room mystery“ und die von Groners Figuren gern unternommenen Undercover-Aktionen. Dass das Wien ihrer Zeit auf dem Weg zu einer brodelnden Großstadt war, unterstreicht die Autorin häufig. Und natürlich unterscheiden sich auch die jungen Männer der „Jetztzeit“ genauso von ihren Vorgängern wie die breiten Straßen im Stadtzentrum von den „schmale[n], verwinkelte[n] Gasse [n]“ an Wiens ländlicher Peripherie: „Er war sensibel wie eine Dame. Das anstrengende Studium, der harte Bürodienst, die aufregenden Musikübungen hatten ihn so gemacht.“     

Titelbild

Auguste Groner: Der Brief aus dem Jenseits. Kriminalnovellen.
Brot und Spiele Verlag, Wien 2023.
290 Seiten, 24,90 EUR.
ISBN-13: 9783903406155

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