Eine Mörderjagd im Krieg
Mit „Fünf Winter“ hat James Kestrel eine gelungene Mischung aus Thriller, Kriegsroman und Liebesgeschichte vorgelegt
Von Dietmar Jacobsen
Besprochene Bücher / LiteraturhinweiseEx-Soldat Joe McGrady lebt seit fünf Jahren auf Hawaii und arbeitet als Detective für das Honolulu Police Departement (HPD). Als am Vorabend von Thanksgiving 1941 die fürchterlich zugerichteten Leichen eines jungen Amerikaners und einer Japanerin auftauchen, wird er mit der Aufklärung des Falles beauftragt. Doch bei dem entführten, anschließend gefolterten und schließlich brutal ermordeten Mann handelt es sich nicht um irgendwen, sondern um den Neffen von Admiral Kimmel, dem Oberbefehlshaber der Pazifikflotte. Höchste Priorität also. Und obwohl McGrady jung und ehrgeizig ist, die richtigen Fragen stellen kann und auch vor einer härteren Gangart bei seinen Verhören nicht zurückschreckt, stellt ihn dieser Fall vor Probleme, die ihn nicht nur als Polizisten aufs Äußerste herausfordern, sondern sein gesamtes Leben verändern.
James Kestrel ist ein Pseudonym des mit seiner Familie auf Hawaii lebenden US-amerikanischen Anwalts und Autors Jonathan Moore. Der hat unter eigenem Namen bereits mehrere erfolgreiche Bücher herausgebracht, darunter den auch in deutscher Sprache erschienenen Thriller Poison Artist (Suhrkamp Verlag, 2022). Mit Fünf Winter legt er nun einen von der angelsächsischen Kritik gefeierten, mit dem Edgar Award für den besten Kriminalroman und dem Barry Award für den besten Thriller des Jahres 2022 ausgezeichneten Roman vor.
Dass das eigentliche Ziel des brutalen Killers nicht Henry Kimmel Willard, der in der Nähe seines Onkels lebende und ein College auf Hawaii besuchende Neffe des Admirals, war, sondern die junge, als Übersetzerin im japanischen Konsulat in Honolulu arbeitende Takahashi Miyako, erfährt McGrady erst, nachdem seine Nachforschungen im Auftrag des Admirals ihn auf der Spur des letztendlich identifizierten, aber seinen Verfolgern knapp entwischten Mörders über Wake Island und Hongkong bis nach Japan führen. Allerdings kommt er in Tokio nicht als freier Mann an, sondern als Kriegsgefangener der Japaner, die kurz nach dem Angriff auf die amerikanische Flotte in Pearl Harbor auch in Hongkong eingefallen sind, um sich das wirtschaftliche Zentrum ganz Südostasiens zu sichern. Wie viele andere nach der Kapitulation der britischen Kronkolonie noch in Hongkong lebende Ausländer wird auch Kestrels Held unter dem Verdacht, ein amerikanischer Spion zu sein, aufgegriffen und per Schiff nach Japan deportiert.
Doch er hat Glück im Unglück. Denn auch die auf Hawaii ermordete junge Frau hat einen Onkel, der alles dafür tut, ihren Tod aufzuklären, und im Übrigen davon überzeugt ist, dass politische Motive hinter der Tat gesteckt haben müssen. Dieser Mann, Takahashi Kansei, ist Diplomat und arbeitet heimlich gegen die Kriegspolitik der eigenen Regierung. Weil er ahnt, dass nur McGrady das, was er begonnen hat, auch beenden kann, rettet er ihm das Leben und versteckt ihn in den folgenden Jahren in seinem Tokioter Haus. Dafür muss der ihm allerdings versprechen, sich nicht von seiner Mission abbringen zu lassen. Sobald der Krieg vorbei ist, soll er seine Suche fortsetzen, bis der Mörder der beiden jungen Leute endlich gefasst ist.
Und das tut Kestrels Held auch. Der nach seiner Rückkehr nach Hawaii aber erst einmal mit ein paar ganz persönlichen Tiefschlägen fertig werden muss. Ausgerechnet mit seinem ehemals besten Freund ist die Frau, mit der es vor Beginn seines Abenteuers für ihn richtig ernst geworden ist, inzwischen verheiratet. Ein gemeinsames Kind der beiden lässt es als unmöglich erscheinen, dass McGrady sie für sich zurückgewinnen kann, zumal sie ihn, nachdem sie kein Lebenszeichen mehr von ihm bekam, für tot hielt. Zusätzlich erweisen sich ehemalige Verbündete plötzlich als Verräter, so dass für Kestrels Helden äußerste Vorsicht geboten ist, um nicht selbst ins Visier alter und neuer Feinde zu geraten.
Fünf Winter ist ein außerordentlich gut lesbarer, bis zum Schluss die Spannung haltender Roman einer Mörderjagd, dessen Handlung ein halbes Jahrzehnt überspannt und seine Hauptfigur mit exotischen Schauplätzen und zahlreichen gefährlichen Situationen konfrontiert. Das Buch beginnt als Polizeiroman, führt seinen Helden anschließend auf der blutigen Spur eines brutalen Killers an die pazifischen Schauplätze des Zweiten Weltkriegs und lässt ihn dank eines Verbündeten den Krieg in Japan überleben. Von besonderer Bedeutung sind für McGrady die drei Frauen, denen er auf seiner Odyssee begegnet: Molly, die er verlassen muss, um den übernommenen Auftrag zu erfüllen, Emily Kam, der er zusammen mit ihrem Vater auf der Überfahrt nach Wake Island begegnet und die ihm wertvolle Hinweise zur Person des flüchtigen Mörders gibt, zu dessen zahlreichen Opfern später auch noch ihr Vater zählen wird, und Sachi, die Tochter des Diplomaten Takashi Kansei, die im Laufe der Jahre, die er im Hause ihres Vaters verbringen muss, nicht nur zu seiner Lehrerin, sondern letztlich auch zu seiner Geliebten wird.
Mit McGradys Rückkehr zu dieser Frau während eines verheerenden Schneesturms, der ihn zunächst beinahe das Leben kostet und dann doch mitten hinein in eine gemeinsame Zukunft führt, endet der Roman. Den Mörder hat McGrady schließlich gefunden und bestraft, den Auftrag des amerikanischen Admirals und seines japanischen Pendants damit nach fünf Wintern erfüllt. Die Wunden, die die Vergangenheit ihm schlug, sind am Vernarben. Eigentlich ein schöner, sogar ein wenig romantischer Schluss. Man möchte immer weiterlesen. Denn was James Kestrel da auf knapp 500 Seiten gelungen ist, nämlich Geschichte und Fiktion, Realität und Erfindung, Thriller und Romanze nahtlos miteinander zu verbinden, hat einen Endpunkt fast nicht verdient.
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