Schau ihn an, mach dein Bild

Der Ausstellungsband „IN THE CUT“ zeigt den männlichen Körper in der Feministischen Kunst

Von Monique GrüterRSS-Newsfeed neuer Artikel von Monique Grüter

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Wenn wir an Feministische Kunst denken, dann assoziieren viele von uns damit wohl zunächst Werke, bei denen Künstlerinnen sich zu sich selbst und zum (gesellschaftlichen) Konstrukt Frau positionieren. Diese künstlerische Positionierung, die vor allem in den 1960/70er Jahren ihren Ausgangspunkt nimmt, lässt u.a. an Arbeiten von Cindy Sherman, Martha Rosler, Hanna Wilke oder Kollektivprojekte wie das Womanhouse von 1972 erinnern. Und während diese Selbstfindung, -konstruktion, -positionierung, ja der Entwurf eines diversen Weiblichkeitsbildes ein noch nicht oder womöglich nie abgeschlossener Prozess ist, dem sich Künstlerinnen nach wie vor widmen, so zeigt die Ausstellung IN THE CUT – Der männliche Körper in der Feministischen Kunst, dass die Selbstverortung als Frau auch bedeutet, sich über die Rolle als begehrtes Objekt, die durch den männlichen Blick formiert wurde, als begehrendes Subjekt zu positionieren.

Die Ausstellung, die bis Anfang 2019 in der Stadtgalerie Saarbrücken zu sehen war, versammelte diese Positionen, die um ein heterosexuelles Verlangen, ein Begehren der Frau gegenüber dem Mann kreisen. Hier darf man (an-)schauen, begehren, mit Blicken verzehren. Ungenierte Schaulust scheint der Aufruf zu sein. Eine Schaulust, der wir uns dank des im Kerber-Verlag erschienenen Ausstellungsbandes auch im heimischen Wohnzimmer hingeben können. 

Grafisch ansprechend und übersichtlich farblich strukturiert, versammelt der Band Texte, die historische Zusammenhänge aufarbeiten, Werke beleuchten, von Hürden und Aktualität berichten, sowie künstlerische Arbeiten ab den 1960ern, die sich dem Mann als Begehrten widmen. Darüber hinaus gibt der Ausstellungsband einen chronologischen Überblick über die feministische Bewegung.

Ausstellungen generieren Beziehungen, dialogisieren, lassen Werke einander begegnen. An diesem Gespräch der Werke versucht uns der Ausstellungkatalog teilhaben zu lassen: Über Bilder der Kuration schlendern wir durch den white cube der Stadtgalerie Saarbrücken, wenn wir den Band aufschlagen, und bekommen so einen ersten Eindruck von der ausgestellten Vielfalt.

Andrea Jahn, Leiterin der Stadtgalerie Saarbrücken und Herausgeberin des Ausstellungskatalogs, schildert in ihrem umfassenden Text A Feminist Desire – Vom männlichen Akt zum erotischen Körper eine historische Entwicklung der Darstellungskonventionen und Blickrichtungen innerhalb der Matrix Mann und Frau. Indem sie dafür unterschiedliche Erkenntnispositionen von Margaret Walters über Sarah Kent und Amelia Jones bis zu aktuellen Schriften wie der von Rachel Middleman heranzieht, schafft sie einen beeindruckend zugänglichen dialogisierten Forschungsüberblick. Anhand zahlreicher künstlerischer Beispiele veranschaulicht sie, wie die Frau überhaupt Objektcharakter erhalten hat, und kontrastiert die Darstellungs- und Bedeutungskonventionen von Weiblichkeit stets mit denen von Männlichkeit. Sie stellt heraus, dass die Frauenrolle in ihrem Subjektcharakter und der künstlerischen Auseinandersetzung nicht mit Schuldzuweisungen gegenüber dem Mann agiert, sondern sich über eine Handlungsfähigkeit innerhalb eigener Bedürfnisse manifestiert. Sowohl der Ausstellungsband, die ausgestellten Werke als auch Jahn kreisen dabei stets um die westliche Kunst in ihrem Umgang mit Nacktheit. Jahns analytisch-historischer Blick geht bis auf antike Darstellungen zurück und dokumentiert, wie der nackte Mann idealisiert und normstiftend wurde. Obgleich Jahn auch die Dichotomie des aktiven Mannes vs. der passiven Frau deklariert, die in feministischen Abhandlungen häufig aufgemacht wird, geht sie differenzierter vor und ordnet auch Beispiele des passiven Mannes in gesellschafts-historische Konventionen ein. Im Zuge der Thematisierung des männlichen Akts über die Jahrhunderte hinweg expliziert sie auch das künstlerisch konstruierte Machtverhältnis: 

Als Phallus bezeichne ich Darstellungen des männlichen Geschlechtsteils, das als Symbol der väterlichen Macht zu lesen ist, während ich ‚Penis‘ nur dann verwende, wenn es um das tatsächliche Organ geht. Diese Unterscheidung ist schon deshalb erforderlich, um die kulturspezifische Ineinssetzung von ‚Penis‘ und ‚Phallus‘ zu vermeiden, die dafür gesorgt hat, dass das männliche Subjekt allein aufgrund seiner körperlichen Voraussetzungen zum Träger phallischer Macht werden konnte. 

Inwiefern Nacktheit in westlicher Kultur eine Tabuisierung erfahren hat, erläutert sie auch mit Blick auf die durch das Christentum geprägte Wahrnehmung. Während der weibliche Akt zur Darstellungsnormalität innerhalb erotischer Fantasien für einen männlichen Betrachter avancierte, ist der männliche Akt einer, der in allererster Linie keiner erotischen Funktion unterliegt. Wenn Künstlerinnen sich ihm nun mit einem begehrenden Blick zuwenden, dann brechen sie damit Seh- und Machtgewohnheiten. 

Die Frau hat eine Objektivierung erfahren, sie ist ein Anblick und so geht es in entscheidender Frage auch darum: Wer schaut und wer wird angeschaut? 

Intersektionalität aufgreifend bezieht Jahn spannungsreich auch Kolonialhistorie mit in ihre Erläuterungen ein und erweitert ihre Analysen über die Darstellungskonventionen von Männern und Frauen um weitere Parameter. 

Warum es so zentral ist, sich über Selbstinszenierungen hinaus auch als begehrendes Subjekt zu positionieren, begründet Jahn mit der These, dass der Selbstentwurf durch den männlichen Blick wieder zum Objekt werden könne. 

In der Darstellung von Männern durch Frauen geht es nun nicht einfach darum, die Rollen zu tauschen. Der durch die Frau geschaffene männliche Akt ist einer, der nicht beabsichtigt, dem Mann seinen Subjektstatus zu rauben oder ihn lächerlich erscheinen zu lassen. Jahn stellt drei Darstellungstendenzen heraus – den passiven männlichen Akt, den erotischen Blick und den gleichberechtigten Geschlechtsakt. In diesen Formen der Darstellung geht es nicht etwa um Entmachtung, sondern um Empowerment. 

Obgleich Ausstellung und Katalog eine heterosexuelle Norm in den Blick rücken und damit eine Fokussierung innerhalb diverser Feminismen vornehmen, merkt Jahn doch abschließend an, dass sich Körpererfahrung und Sexualität natürlich nicht auf zwei Geschlechter beschränken lassen. Darüber hinaus wird deutlich, dass es sich bei den vorgestellten Bildern keinesfalls nur um Werke handelt, die sich an ein weibliches Publikum richten. Beabsichtigt ist eben auch, dass sich der Mann über die Arbeiten neu verorten kann und ein Mehrwert für das (sexuelle) Verhältnis zwischen Mann und Frau zu entstehen vermag: „Es ist eine Begegnung auf Augenhöhe, die eine wechselseitige körperliche Anziehung ebenso voraussetzt wie gegenseitige Offenheit und Respekt.“

Wenn Jahn auf den Aspekt der Kolonialgeschichte, Prozesse des Otherings und Zusammenhänge in der Darstellung von Nacktheit in der Kunst verweist, so arbeitet Amelia Jones dies in ihrem Beitrag Der Blick auf Männer am Beispiel von Kathleen Giljes noch stärker heraus. Etwas psychoanalytischer fokussiert macht sie den Begriff der Kastrationsangst explizit und widmet sich anhand des Werkes von Susan Silas auch der Frage, wie Älterwerden, Liebe und Begehren visualisiert und thematisiert werden. Queere feministische und genderfluide Positionen werden angerissen, aber nicht weiter ausgeführt, geht es ihr doch eher darum, den erweiterten Blick aufzuzeigen.            

Kunstwerke bewegen sich in Wahrnehmungsdiskursen  unter anderem diese Rezeptionsgeschichte beleuchtet Rachel Middleman in ihrem Text Eine Begegnung der Liebe – Erotische Kunst und Feminismus in den 1960er Jahren. Anhand unterschiedlicher künstlerischer Beispiele beschreibt sie, wie und in welchen Formen Künstlerinnen Zensur ausgesetzt waren und wie sich die Zensur mit anderen gesellschaftlichen Entwicklungen verflochten und entwickelt hat. Besonders eindringlich sind ihre Schilderungen zu der Filmarbeit Fuses von Carolee Schneemann. Der Film zeigt Schneemann in fragmentarischen und künstlerisch bearbeiteten Ausschnitten beim Geschlechtsverkehr mit ihrem damaligen Partner. In diesem Kontext werden die Begriffe Nacktheit, Pornographie und Erotik von Middleman differenziert und für den Kunstzusammenhang abgegrenzt sowie fruchtbar gemacht. 

Welche Ausmaße die Zensur des männlichen Akts angenommen hat und wie wenig selbstverständlich die Auseinandersetzung damit ist, wodurch die Ausstellung IN THE CUT noch bedeutender wird, veranschaulicht der Beitrag Harte Ziele – Feministische Kunst, männliche Akte und die Macht der Zensur in den 1970er Jahren von Richard Meyer:  

Wenn es nicht gesund ist, dass der erigierte Penis Eingang ins Museum findet, dann sollte es wohl auch nicht gesund sein, dass er in Frauen eindringt. Wenn es aber gesund ist, dass der erigierte Penis in Frauen eindringt, dann sollte es wohl auch gesund sein, dass er in den größten Kunstmuseen ausgestellt wird. (Steckel zitiert n. Meyer)

Meyer zeigt auf, wie sich Künstlerinnen zusammenschließen, z.B. in der Fight Censorship-Gruppe, um Kunst mit sexueller Thematik zu schaffen, und macht an Bildbeispielen wie etwa Linda Nochlins Achetez des bananes von 1972 deutlich, wie unterschiedlich und ungerecht mit weiblicher vs. männlicher Nacktheit umgegangen wird. Die zentrale Frage, die Meyer stellt, aber die auch für die gesamte Ausstellung konstitutiv ist, lautet: „Wie vermochten (heterosexuelle) Frauen eine Ikonografie ihres eigenen Begehrens zu schaffen, die weder eine Parodie der Heterosexualität noch eine Bestärkung des ‚phallischen Imperialismus‘ war?“ Gleichwohl wirft er ein, und das ist durchaus spannend, dass in der phallischen Macht auch erotische Kraft liegt.

Bild- und farbgewaltig werden uns die in den Texten immer wieder thematisierten Werke daran anschließend zur Anschauung gestellt. Die Bildauswahl wird um biografische sowie konzeptuelle Anmerkungen zu der jeweiligen Künstlerin ergänzt und das Werkverständnis so erweitert. Und wie viel Spaß das macht, sich da durchzublättern! Die Arbeiten sind so intensiv und nahbar, entsprechen einer Authentizität, einer „weiblichen Wahrheit“. In den Werken begegnen sich Mann und Frau, im Betrachten fühle ich mich mächtig, ohne Männer zu sehen, die machtlos sind – ein Spiel der Blicke wird eröffnet. Dieser Ausstellungsband ist kein passiver Ort der Rezeption, hier passiert etwas mit einem (als Frau). Wenn Schaulust der Aufruf ist, dann gucke ich in diesen Ausstellungsband gerne noch einmal hinein!

Ein Beitrag aus der Redaktion Gegenwartskulturen der Universität Duisburg-Essen

Titelbild

Andrea Jahn / Amelia Jones / Richard Meyer / Rachel Middleman: IN THE CUT. Der männliche Körper in der Feministischen Kunst.
Kerber Verlag, Bielefeld 2019.
304 Seiten, 36 EUR.
ISBN-13: 9783735605146

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