Von fiktionalen Stromausfällen und literarischen Totalausfällen

Denis Newiak versucht in „Blackout – Nichts geht mehr“ Lehren aus Stromausfälle thematisierenden Filmen und TV-Serien abzuleiten, verzettelt sich jedoch in unglaubwürdigen Prämissen, Plot-Nacherzählungen und wenig gehaltvollen Erkenntnissen

Von Martin JandaRSS-Newsfeed neuer Artikel von Martin Janda

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

2020 veröffentlichte der Schüren-Verlag mit dem Buch Alles schon mal dagewesen Denis Newiaks Versuch, aus Filmen sowohl praktische Ratschläge für eine Pandemie als auch verborgene sozio-kulturelle Bedeutungen des Pandemie-Motivs herauszuarbeiten – eine Veröffentlichung, die im ersten Jahr der Corona-Pandemie als zeitlich durchaus gelegen bezeichnet werden kann. Zwei Jahre später macht sich Newiak mit Blackout – Nichts geht mehr an ein ähnliches Erkenntnisziel, jedoch vor dem Hintergrund eines anderen Katastrophenszenarios: dem Stromausfall – sowohl in seiner zeitlich und räumlich begrenzten als auch in seiner zeitlich und räumlich ausufernden Form, also dem, was gemeinhin als Blackout bezeichnet wird. Auch hier war der Zeitpunkt der Veröffentlichung nicht ungeschickt gewählt, wurden doch aufgrund vom Krieg in der Ukraine und der deutschen Energiewendepolitik Versorgungsunsicherheiten in panische Ausmaße aufgeblasen, die die gesellschaftliche Relevanz des Themas steigerten.

Wie schon in seiner ersten ‚Katastrophen-Publikation‘ findet sich in Blackout – Nichts geht mehr erneut Newiaks haarsträubende Überbewertung von Filmen und TV-Serien, was deren Bedeutung bezüglich der Wissenszirkulation innerhalb einer Gesellschaft betrifft. Wenn Newiak davon schreibt, dass es plausibel erscheine, dass Filme und TV-Serien „einen erheblichen Beitrag zu Vermittlung von Wissen leisten“, wäre eine erste zu stellende Frage, von welcher Art von Wissen Newiak an dieser Stelle schreibt. Dass es sich dabei ganz offensichtlich nicht um Wissen, das die Bevölkerung auf einen Stromausfall vorbereitet, handeln kann, führt Newiak selbst vor Augen, wenn er den Abschlussbericht des Büros für Technikfolgen-Abschätzung beim Deutschen Bundestag zitiert, welcher explizit die unzureichende Vorbereitung der Bevölkerung auf den Krisenfall hervorhebt. Aber vielleicht schaut die Bevölkerung einfach zu wenige Filme und TV-Serien.

Ein weiteres Indiz dafür, dass Filme und TV-Serien ungeeignet sind, um nützliches Wissen für einen Katastrophenfall zu vermitteln, liegt in Newiaks eigenem Buch: Wäre seine These von der Bedeutsamkeit von Filmen und TV-Serien in der Wissensvermittlung korrekt, bedürfte es seines ‚lehrreichen‘ Buchs nicht. Es sei denn, Filme und TV-Serien wären eher im Sinne esoterisch-religiöser verschlüsselter Offenbarungen zu verstehen, deren Entschlüsselung eines ‚Wissenden‘ bedürfen. In diesem Fall wären jedoch nicht die Filme und die Serien an sich die Wissensträger, sondern die von dritter Instanz, eben besagten ‚Wissenden‘, angebotenen Interpretationen. Dieser Umstand wirft unweigerlich die Frage auf, wer denn nun eigentlich Newiaks Zielpublikum sein soll: Für wenig in kultureller oder philosophischer Interpretation geübte Zuschauer wird sein Buch zu akademisch sein, für ein kultur- oder medienwissenschaftliches Publikum wird sein Buch zu oberflächlich und zu unwissenschaftlich sein.

An anderer Stelle lässt Newiak von deren vermeintlich hervorgehobenen Stellenwert der Wissensvermittlung ab und fokussiert die emotionale Einflussnahme von Filmen und TV-Serien – und damit deren Funktion der soziopolitischen Manipulation – bzw. lobt deren populistisches Vermögen. Denn Newiak ist der Meinung, dass die beiden „die einzigartige Eigenschaft teilen, hochkomplexe soziale Zusammenhänge mit einer eindringlichen Anschaulichkeit unmittelbar sinnlich wahrnehmbar zu machen und dabei eine starke Affizierung, eine individuelle empathische Verbindung zwischen Gezeigtem und Zuschauenden herzustellen“. Man bleibt fragend zurück: Sollen Filme und TV-Serien nun Wissen vermitteln oder emotional manipulieren, sollen sie ratio oder emotio ansprechen? Als wenn dieser Widerspruch nicht schon schwer genug wiegen würde, schwadroniert Newiak davon, dass Film und Fernsehen als Sinnmaschine der Gesellschaft an Bedeutung zugenommen hätten – der Zeitraum, in dem diese beschworene Bedeutung zugenommen haben soll, bleibt leider unbenannt. Worauf diese haarsträubende These schließlich basiert, wird nicht erkennbar – es ist symptomatisch für Newiak, Unbelegtes, Unbelegbares und implausibel Belegtes als Fakt in die Argumentation einfließen zu lassen. Besonders in Anbetracht der Corona-Pandemie, die Newiak ja in seinem vorherigen Buch selbst thematisiert hat, sollte ihm klar sein, dass es offensichtlich gerade soziale Netzwerke waren, die vielen Menschen bei der Sinnbildung ihrer Umwelt – oder wie es mittlerweile ermüdend oft und einfallslos runtergeleiert wird: der Bildung eines ‚Narrativs‘ – dienlich war. Das Problem an der kritischen Würdigung des Einflusses von sozialen Netzwerken ist allerdings ein hausgemachtes: Newiak verabscheut öffentliche Netzkommunikation, was er bereits in seinem Pandemie-Buch mehr als einmal geäußert hat – und diese Abscheu macht er auch in diesem Buch wieder mehr als sichtbar, wenn er explizit von „sogenannten ‚Sozialen Netzwerken‘“ schreibt – man wünscht sich regelrecht weitere Formulierungsoptionen und Satzzeichen, damit Newiak seine Ironisierungen des Sozialen der Neuen Medien auch noch für die letzte Reihe hervorheben mag.

Diese Polemik zielt in diesem Fall besonders auf Online-Prepper ab, die nach Newiaks Ansicht ausschließlich Angst schüren möchten, um ihrer Hoffnung auf den Niedergang der herrschenden Gesellschaftsordnung entgegenzuarbeiten, um anschließend ein undemokratisches Regime zu etablieren und auf dem Weg dahin noch nebenbei den ein oder anderen Euro für Konservennahrung oder andere Notfallausrüstung verdienen zu wollen. Nicht nur repliziert Newiak mit seiner höchst verallgemeinernden Rhetorik eben jene Panikmache derer, die er kritisiert – bloß dass er nicht Panik vor dem Stromausfall, sondern vor sozialen Netzwerken macht. An dieser Panikmache lässt sich dann auch Newiaks Menschenbild ablesen: Er hält offenbar die Konsumenten von Inhalten in sozialen Netzwerken für nicht medienkompetent genug, um zwischen Lehrreichem und Manipulativem unterscheiden zu können – ein Kompetenzmangel der Bürger, dem sicherlich nur durch die Auswahl der zu veröffentlichenden Inhalte beizukommen wäre. Dieser autoritäre Hang zum medialen Gatekeeping ist ebenfalls aus Newiaks vorherigem Buch bekannt.

Doch selbst ohne diese fragwürdigen Prämissen wird es inhaltlich nicht viel besser. Newiaks Hypothese, dass Filmen und TV-Serien ein warnendes Element inhärent sei, das das Publikum zu Verhaltensänderungen anregen könnte, mag zwar nicht abwegig sein. Doch ist es sehr naiv, neben diesem Element die eigentliche Motivation des Publikums, einen Film oder eine TV-Serie zu konsumieren, völlig außer acht zu lassen. Denn es ist wahrscheinlicher, dass die oberste Motivation zum Konsum besagter Medieninhalte eben der Grusel und die Spannung im geschützten Rahmen einer Fiktion darstellt. Wenn Newiak also schreibt, dass gerade die Fiktion die Warnung treffsicherer abliefert, dann konkurriert diese vermeintliche Treffsicherheit mit dem Grund der Rezeption: Unterhaltung – welche eben nicht zuletzt durch die narrative Begründung des präsentierten Stromausfalls motiviert ist: Ist ein Kraftwerk überlastet, sind Verbrecher im Spiel, ein Gamma-Blitz aus dem All, zerstören Zombies Stromleitungen, entlädt sich Energie aus dem All unglücklich, sind Ressourcenknappheit oder geopolitische Spannungen verantwortlich oder sind seismische Aktivitäten Initiator des Stromausfalls? Das Potenzial der Wissensvermittlung liegt unter dem Unterhaltungspotenzial begraben und lässt sich mit steigender emotionaler Ansprache und steigendem Grad der Absurdität des Szenarios immer weniger erreichen. Damit lässt sich eben auch die oben erwähnte mangelnde Vorbereitung der Bevölkerung auf den Krisenfall erklären.

Auch wenn Newiak mit einigen mehr als fragwürdigen Vorannahmen in seine Analyse geht und seine Analysen leider teilweise sehr ausufernde und ermüdende Referate von Plots beinhalten, kann er dennoch diverse konkrete Lehren extrahieren: Für ein Notstromaggregat sei stets ausreichend Treibstoff vorzuhalten, für die Telekommunikation sei auf Walkie Talkies umzusteigen, da bei einem Stromausfall auch die Verteilerpunkte des Telefonnetzes nicht mehr funktionierten und damit das Telefonnetz zusammenbreche. Gerade anhand dieser Erkenntnisse pragmatischer Vorkehrungen demontiert Newiak jedoch sein eigenes Buch später selbst, da diese praktischen Punkte auf sieben Seiten am Ende des Buchs prägnant als Checkliste zusammengefasst sind – sich die Leser also die knapp 200 Seiten Lektüre zuvor hätten sparen können. Es ist beinahe so, als wollte Newiak die mutmaßliche Methode der Wissensvermittlung von Bewegtbildern auf sein Buch performativ übertragen: Viel erzählerische Ablenkung und schmückendes Beiwerk übertünchen die raren gehaltvollen Erkenntnisse. Aber selbst diese Checkliste dürfte für Leser, die wirkliches Interesse an einer ausreichenden Katastrophenvorsorge haben, unbefriedigend sein: Wieso sollte jemand auf eine solche Checkliste ausgerechnet eines Kulturwissenschaftlers zurückgreifen, wenn es in diesem Bereich kompetentere Personen gibt? Tja, das Leben könnte so einfach sein, wenn die Online-Prepper nicht bekanntlich allesamt Hochstapler, im schlimmsten Fall Demagogen und Antidemokraten wären.

Damit sei gesagt, dass sich Newiak auf das hätte konzentrieren sollen, was Kulturwissenschaftlern am ehesten liegt: Das Kulturelle im Bewegtbild-Katastrophenfall offenzulegen. Doch das bleibt leider ebenfalls sehr dürftig. Dass sich der soziale Umgang bei anhaltender Dauer eines Stromausfalls verschärft, da die Versorgung mit Lebensmitteln ausbleibt und die soziale Ordnung erhaltenden Kontrollorgane wegbrechen, ist spätestens eine Binsenweisheit, seit Bert Brecht seine dramatische Figur Macheath die Vorrangigkeit des Fressens vor der Moral postulieren ließ. Humanität ist eben ein Luxus, den man sich leisten können muss.

Zwar wird der Kern der Gefahr eines zeitlich und räumlich weitreichenden Stromausfalls oberflächlich behandelt: So kann Newiak immerhin herausarbeiten, dass damit nicht allein die Angst um das eigene Leben oder das geliebter und naher Menschen einhergeht. Es sei vielmehr die Angst vor dem Verlust moderner Annehmlichkeit – die Angst des modernen Menschen vorm Verlust der Moderne, die geprägt ist durch die soziale Komplexität der Abhängigkeitsverhältnisse, die sich auch durch Aufgabenteilung ergeben. Dieses Netzwerk der Annehmlichkeiten und Aufgabenteilung bricht bei Auflösung der sozialen Gegebenheiten auf und die Menschen sind durch basale Gefahren wie Hunger oder Krankheit gefährdet, da diese Aufgaben nicht mehr von den Personen erledigt werden, die die Expertise darüber haben und zugleich von der Last anderer Aufgaben befreit sind – oder an einem Beispiel einfacher ausgedrückt: Ein Arzt kann sich nicht um Kranke oder Verletzte kümmern, wenn er sich auch um die eigene Ernährung und Sicherheit zu kümmern hat.

Zur Aufgabenteilung gehört schließlich auch das Senden von Botschaften über Massenmedien: Dies endet auch durch den Mangel an Strom – die Welt in ihrer Größe wird nicht mehr greifbar, das Wissen um die Welt fällt auf den eigenen Aktionsradius zurück. Dies ließe sich zugespitzt dergestalt formulieren: Einer solchen Katastrophe wohnt die Angst vor der als gewaltsam zu empfindenden Rückführung des Menschen in seinen beinahe animalischen Ur-Zustand inne, der heutigen Luxus wie das zwanglose Sinnieren und Diskutieren über tiefere Bedeutungen in kulturellen Artefakten nicht gestattet. Zyniker könnten dies weiter zuspitzen, dass in der Angst vor dem Stromausfall auch die Angst vor dem Ende der Geisteswissenschaften mitschwingt, da mentales Flanieren und intellektuelles Parlieren nicht benötigt werden, wenn es um die Sicherung des Überlebens und der Grundbedürfnisse geht – der Geisteswissenschaften Beitrag zum Funktionieren einer Gesellschaft wird durch den Stromausfall in Frage gestellt.

Aber ein weiteres Problem bleibt bestehen, das Newiak nahezu vollständig auszublenden vermag: In den Bewegtbildszenarien der durch Strom-Entzug aufgelösten Moderne konkurrieren unterschiedliche Menschenbilder miteinander: die Gemeinschaftlichen, die Selbstaufopfernden, die Egoistischen, die Einzelgängerischen, um nur wenige zu nennen. Was die Bewegtbildszenarien hier lehren, ist nicht, wie ohne Strom zu kochen ist oder dass Menschen in Gefahr wenig rational reagieren können. Das Bewegtbild lehrt die Zuschauer, ihr gelerntes Welt- und Menschenbild mit dem des Bewegtbilds abzugleichen und das Präsentierte danach zu bewerten. David Mamet schreibt in seinem Buch Make-Belive Town in Bezug auf Filme, die in Nazi-Deutschland spielen, hierzu treffend: Das Publikum dieser Filme werde im echten Leben nicht zwangsläufig besser handeln als die dargestellten Nazi-Verbrecher und deren Sympathisanten. Aber das Publikum solcher Filme lerne, sich darin zu gefallen, die unmoralischen Menschen und deren Fehlverhalten zu erkennen. Bewegtbildmedien sind daher wohl eher als Lernmaterialien für sozial erwünschtes Verhalten im Sinne Banduras Modelllernen geeignet denn als Lernmaterial für sehr spezifisches Fachwissen. Und so dürften hingegen nach Newiak wir von Katastrophenfilmen und –serien vor allem lernen, dass das soziale Gefüge durch Strom erhalten bleibt, da hierdurch die Zahnräder der arbeitsteiligen Gesellschaft wie geschmiert ineinandergreifen und dass das Aufgeben ethischer Grundsätze im Angesicht der Gefahr nicht lobenswert ist. Diese simple Erkenntnis hätte Newiak auf deutlich weniger Seiten mit deutlich weniger haltlosen Vorannahmen vermitteln können, da er von Anfang an die falsche Forschungsfrage stellte. Denn eigentlich stellt sich die Frage: Warum sollten wir uns ausgerechnet anhand von erfundenen Geschichten auf Stromausfälle vorbereiten?

Titelbild

Denis Newiak: Blackout – nichts geht mehr. Wie wir uns mit Filmen und TV-Serien auf einen Stromausfall vorbereiten können.
Schüren Verlag, Marburg 2022.
232 Seiten, 25,00 EUR.
ISBN-13: 9783741004063

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