Das Kleine-Welt-Phänomen

Volker Jarck geht in seinem Romanerstling „Sieben Richtige oder Die Geschichte von Charlie Faber“ davon aus, dass alles mit allem verknüpft ist

Von Helmut SturmRSS-Newsfeed neuer Artikel von Helmut Sturm

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Die Welt als Dorf, wo jeder mit jedem vernetzt ist, ist ein Modell, das zuletzt zumindest in der Politik nicht besonders beachtet wurde. Wir sind die Größten und die anderen betreffen uns nicht, gilt als Motto nicht nur für Anhänger von Donald Trump. Dass das in der Realität anders sein könnte, hat in der Literatur der Ungar Frigyes Karinthy in einer Kurzgeschichte im Jahr 1927 fiktiv vorgeführt. Er zeigt die enge Verbundenheit aller Menschen, die uns als Six Degrees of Separation und als das Kleine-Welt-Phänomen begegnet. Dem zugrunde liegt die Hypothese, dass jeder Mensch auf der Welt mit jedem anderen über eine überraschend kurze Kette von Mittelspersonen verbunden ist. Diese Nähe ist in der Alltagserfahrung wenig präsent, kann jedoch literarisch unschwer vermittelt werden. Was doch ein Autor alles kann!

Volker Jarck (*1974), der bei großen Buchverlagen als Lektor und Programmleiter gearbeitet hat, will in seinem Romandebüt diese merkwürdige Verbundenheit alles Menschlichen sichtbar machen. Als Autor kann er dazu seine Figuren in Bochum und Boston, Köln und Rom auffinden, und es ist ihm ein Leichtes, Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft, der Roman endet im Jahr 2044, zusammenzubringen. Er erzählt die Geschichten von etwa einem Dutzend Frauen und Männern, jung und alt. Volker Jarck fasst diese in buchreport so zusammen: „Was diese Menschen verbindet, was sie in unserer Zeit als Glück oder Unglück erleben, wird wieder Teil einer neuen Geschichte vom Lieben und Sterben – und so weiter bis in die Zukunft auf Seite 320.“ 

Erzählt wird von Liebe und deren Scheitern, Krankheit und Tod, Nüchternheit und Rausch, Glück und Leid. Es wundert nicht, dass dabei wenig in die Tiefe gegangen wird, wir an einer recht gut lesbaren Oberfläche der Wirklichkeit bleiben, wie bei den Schülern des Studienrates Victor Faber, die von ihm für das Scrabble-Spiel begeistert nur dafür lebten, „verbundene Wörter ohne Zusammenhang“. So verhält es sich bei diesem Roman freilich nicht. Doch der Zusammenhang wirkt mitunter doch recht an den Haaren herbeigezogen, konstruiert und vom Autor herbeigezaubert. Dazu kommt, dass manche saloppe Formulierung der Bedeutung menschlichen Lebens nicht annähernd gerecht wird. Das gilt etwa, wenn das Nachdenken Greta Zimmers, die als Kind unglückliche Leidtragende eines Straßenrennens mit erheblichen gesundheitlichen Folgeschäden wurde, in dem banalen Satz endet: „Das Warum ist an jedem neuen Tag ein Griff in den Elektrozaun.“ Oder bei einem Begräbnis die Theodizeefrage auf einen „Gott des beschissenen Timings“ verkürzt wird.

Es überrascht nicht, dass der Roman bei Amazon viele sehr positive Bewertungen erhält. Sieben Richtige ist geschickt komponiert und der Autor weiß um den Publikumsgeschmack, den er befriedigen möchte. Der Roman steht in der Kategorie „Light Novels“ auf Rang 183 und kann weniger in der Kategorie „Gesellschaftsroman“ punkten (Rang 304). Dazwischen liegt er im Genre „Mädchenratgeber“ auf Platz 264 (Stand Nov. 2020). Es ist zu hoffen, dass weder Mädchen noch sonst wer die Zusammenfassung auf Seite 307 allzu ernst nehmen: „Wir leben um zu schaukeln.“

Titelbild

Volker Jarck: Sieben Richtige. Roman.
S. Fischer Verlag, Frankfurt a. M. 2020.
320 Seiten, 22,00 EUR.
ISBN-13: 9783103970395

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