Ein bisschen Licht in dunkler Nacht

In seinem Thriller „Der Bruch“ entführt der schottische Autor Doug Johnstone seine Leser in ein Edinburgh jenseits von weichgezeichneten Reiseprospekt-Bildern

Von Dietmar JacobsenRSS-Newsfeed neuer Artikel von Dietmar Jacobsen

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Tyler Wallace hat es nicht leicht. Der 17-Jährige wohnt zusammen mit seiner heroinsüchtigen Mutter und drei Halbgeschwistern mitten in einem sozialen Brennpunkt der schottischen Metropole Edinburgh. Für die zehn Jahre jüngere Bethany, von allen Bean genannt, stellt er den idealen Vaterersatz dar. Für die beiden kriminellen Älteren hingegen, Barry und Kelly, ist er aufgrund seiner geringen Körpergröße der ideale Begleiter auf deren Raubzügen durch die Stadtteile der Begüterten. Denn er wird gebraucht, um sich durch Klappfenster und Oberlichter zu zwängen, wenn der Zugang zu den Häusern, die man ausrauben will, anders nicht möglich ist. Als bei einem dieser Einbrüche eine plötzlich nach Hause kommende Frau von Barry fast getötet wird und sich kurz darauf herausstellt, dass man unwissend in die Villa des lokalen Gangsterbosses Derek Holt eingestiegen ist und es sich bei der Schwerverletzten  um dessen Frau handelt, beginnen die Dinge schnell aus dem Ruder zu laufen.

Doug Johnstone, Jahrgang 1970, hat in den letzten 15 Jahren 12 Romane veröffentlicht. Ins Deutsche übersetzt wurden davon bisher vier. Der Bruch – im Original Breakers – ist in der Bibliographie des promovierten Atomphysikers, diplomierten Journalisten und Freizeitmusikers die Nummer 10 und stand auf der Shortlist des renommierten McIlvanney-Preises für den besten schottischen Kriminalroman des Jahres 2019. Deutsche Leser*innen, für die die schottische Spannungsliteratur bisher vor allem aus den Polizeiromanen von Ian Rankin bestand, werden schnell feststellen, dass es in Doug Johnstones Welt ein ganzes Stück rauer zugeht. Das liegt vor allem daran, dass man in Der Bruch Edinburgh aus einer konsequenten Perspektive von unten erlebt, während Rankin das Verbrechen überwiegend aus dem Blickwinkel derjenigen schildert, die es bekämpfen.

Weil Tyler es nicht ertragen konnte, die in ihrem Blut liegende Monica Holt sterben zu lassen, hat er nach dem missglückten Bruch über das Handy des Opfers Hilfe gerufen und die zunächst im Koma Liegende auch noch an ihrem Krankenbett aufgesucht. Doch ob das Mitleid mit dem Opfer und die quälenden Gewissensbisse Johnstones im Grunde gutherzigen Helden vor der Rache der Holts zu schützen vermögen – fieberhaft suchen Vater und Sohn Holt, der mit Tyler in dieselbe Schule geht, nach den Einbrechern –, steht erst einmal dahin. Immerhin bringt Tylers Angewohnheit, in fremde Häuser einzusteigen, um in deren friedvoller Atmosphäre ein wenig den eigenen Familienstress zu verdrängen, ihm zunächst eine weitere wichtige Bekanntschaft ein. 

Felicity Ashcroft, die sich Flick nennen lässt, ist genauso alt wie Tyler, stammt aber aus einem Milieu, welches das genaue Gegenteil zu der ihn umgebenden Lebenswelt darstellt. Knapp 30.000 Pfund jährlich bezahlen ihre Eltern für das private Internat, in dem sie die ein auffälliges Cabrio fahrende Tochter untergebracht haben. Und doch ist auch dieses Mädchen, das kaum Sorgen kennt und sich alles leisten kann, nicht glücklich. Als sie Tyler in der Wohnung ihres Ex-Freundes antrifft, in die sie eingedrungen ist, um sich eine kleine Rache an dem jungen Mann, der sie mit einer Freundin betrogen hat, zu gönnen, merkt sie deshalb schnell, dass sie mehr mit diesem Fremden verbindet als mit all den oberflächlichen Menschen, die ihren bisherigen Umgang darstellten. Allerdings unterschätzt sie lange die Gefahr, die für sie selbst von ihrer Bekanntschaft mit einem jungen Mann ausgeht, dem sowohl ein skrupelloser Gangsterboss wie auch die Polizei in Gestalt von Detective Inspector Gail Peace auf den Fersen sind.

Der Bruch nimmt seine Leser*innen mit in ein Edinburgh, in dem ungeheurer Reichtum und deprimierende Armut nur zehn Autominuten voneinander entfernt existieren. In einer Welt von Müllhalden und Drogenexzessen, alltäglicher Gewalt und meist vergeblichen Ausbruchsversuchen siedelt Doug Johnstone die Geschichte eines Protagonisten an, der lange vergeblich darum kämpft, aus den deprimierenden Verhältnissen, die ihn umgeben, herauszukommen. Doch Tylers psychopathischer, zu unkontrollierten Gewaltausbrüchen neigender Halbbruder Barry und dessen mit ihm in einem inzestuösen Verhältnis lebende Schwester Kelly ziehen ihn immer tiefer in ihr eigenes auswegloses Leben hinein. Falsch verstandene Loyalität und die Angst um seine kleine Schwester lassen ihn lange zögern, der Welt seines Herkommens den Rücken zu kehren. Erst die Liebe zu der aus einem anderen gesellschaftlichen Milieu stammenden Felicity gibt ihm die Kraft, gegen seine Herkunft und die diese verkörpernden Menschen zu revoltieren. Dass dies nicht unblutig vonstattengehen kann, ist von Anfang an klar. Doch Tylers Aufbegehren und die Hoffnung auf eine Grenzen überwindende Liebe bringen wenigstens etwas Licht in die ansonsten tiefschwarze Welt dieses Romans.

Titelbild

Doug Johnstone: Der Bruch.
Polar Verlag, Hamburg 2021.
230 Seiten , 20,00 EUR.
ISBN-13: 9783948392208

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