Von Männern, Geldsorgen und Drogen

Über Cynan Jones’ Roman „Alles, was ich am Strand gefunden habe“

Von Martin GaiserRSS-Newsfeed neuer Artikel von Martin Gaiser

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Der 1975 in Wales geborene Autor Cynan Jones ist hierzulande nur wenigen Menschen ein Begriff. Sein in 2015 veröffentlichter Roman Graben wurde zwar in den Feuilletons beachtet, doch war der Widerhall begrenzt. Das könnte – und sollte – sich ändern, nachdem sein deutscher Verlag Liebeskind jetzt Jones’ im Original bereits 2011 erschienenen Roman Alles, was ich am Strand gefunden habe herausgebracht hat. Gut möglich, dass es wieder einmal am Genre oder am Sujet liegt, denn das aktuelle Buch ist – zumindest auf Umwegen – durchaus ein Krimi oder Thriller, jedenfalls ein Buch aus dem unübersichtlichen Pool der Spannungsliteratur. Der Aufbau gestaltet sich klassisch: Zwei Männer werden abwechselnd beschrieben, ihre Tätigkeiten, ihre Gefühle, in Bruchstücken ihre Biografien, auch ihre Träume, Wünsche und Entbehrungen.

Da ist zum einen Hold, ein Mann, der sehr stark mit der Natur und der in ihr lebenden Kreatur verbunden ist; er ist Fischer, jagt außerdem dann und wann. Doch er tut das nicht mechanisch und gefühllos, vielmehr verehrt er die Tiere, kennt ihre genaue Anatomie, ihre Bewegungsabläufe, ihre Reaktionen. Hold lebt alleine, sein Vater ist schon lange weg, seine Mutter starb am Alkohol. Sein bester Freund Danny starb vor ein paar Jahren, ab und zu besucht Hold dessen Witwe Cara und ihren kleinen Sohn. Doch er weiß auch, dass er ihr nicht zu nahe kommen, nicht zu oft bei ihr aufkreuzen sollte. Jones baut hier eine Spannung auf, die erotisch zu nennen übertrieben ist, doch er zeigt diese beiden Menschen in einem stummen Tanz umeinander, einem Tanz ohne Berührungen, geprägt von Vorsicht, Anziehung, Gefahr und Schüchternheit. Danny wollte immer, dass er und seine Familie in dem Haus, das seiner Familie schon seit Generationen gehört, leben können. Hold fühlt sich verpflichtet, diesen Wunsch seines Freundes zu realisieren, das heißt, er braucht Geld, um Cara dabei zu unterstützen.

Der andere Mann ist Grzegorz, ein Pole, der den elterlichen Hof in der Heimat aufgeben musste, der mit seiner Frau nach Großbritannien gegangen ist und nun für ein halbseidenes Unternehmen namens „Die Agentur“ im Schlachthof arbeitet. Jones stellt hier das industrielle Schlachten, das seelenlose Verarbeiten der Tiere der Haltung Holds gegenüber. Grzegorz und seine Familie (seine Frau hat soeben ihr zweites Kind zur Welt gebracht) lebt mit vielen anderen Fremdarbeitern in einer schäbigen und viel zu kleinen Unterkunft. Dort kochen sie, oft aus Resten und Abfällen, die die Männer vom Schlachthof mitbringen, ihre Gerichte aus der Heimat. Hier legt der Autor, lange bevor wir durch die sogenannte „Flüchtlingskrise“ stark sensibilisiert wurden, den Finger in politische Wunden, ohne jemals agitatorisch zu werden. Er beschreibt und überlässt es dem Leser, eigene Schlüsse zu ziehen. Grzegorz hadert mit seinem Leben, seinen Entscheidungen, er muss verbittert konstatieren, dass sich seine Frau stumm von ihm abwendet. Er will dringend raus aus diesen bedrückenden Verhältnissen, weswegen er einen zusätzlichen Job als Muschelsucher annimmt, auch er braucht Geld.

Was ist nun das Spannende an diesem Buch? Werden die beiden Männer aufeinandertreffen, wird es einen Kampf geben? Aber worum? Schließlich haben ja beide nichts. Nein, Jones lässt die Lesererwartung ins Leere laufen, bringt stattdessen einen dritten Akteur auf die Bühne: das organisierte Verbrechen. Um Kokain im großen Stil nach Großbritannien zu schmuggeln, wird es von kleinen Flugzeugen über dem Meer abgeworfen, wo es wiederum von kleinen Schlauchbooten eingesammelt wird. Die Drogenmafia benötigt hierfür Erfüllungsgehilfen und findet sie unter anderem in den Polen, die für Geld beinahe alles machen würden. Grzegorz verschweigt seiner Ana diesen Job, will sie nicht aufregen, sie nach Erhalt des Lohns überraschen. Man muss kein Hellseher sein, um zu erahnen, dass bei dieser Sache alles schiefgehen wird. Hold, der seine Netze am nächtlichen Strand kontrolliert, findet ein treibendes Boot, darin ein toter Mann, ein Handy, mehrere Päckchen. Obwohl gänzlich unerfahren, wittert er seine Chance, mit einem großen Ding aller Sorgen ledig werden zu können, eine spannende Geschichte nimmt ihren unheilvollen Verlauf.

Alles, was ich am Strand gefunden habe ist ein erstaunliches, ein überraschendes, ein sehr gelungenes Buch. Jones beherrscht vieles: Er geht ganz nah an die Menschen heran, auch an die Nebenfiguren, lotet ihre Psychen aus. Seine Natur- und Tierbeschreibungen sind ohne Vergleich, außerdem fühlt er sich im Genre derart wohl, als hätte er schon diverse Krimidrehbücher geschrieben. Und das alles mit einer erstaunlichen Erzählökonomie: Das Buch umfasst gerade mal 237 Seiten und zeichnet  sich durch eine unverbrauchte Sprache, einen neuen Ton in der zeitgenössischen Literatur aus. Ein lohnenswertes Buch von einem Autor, der zu entdecken und von dem noch viel zu erwarten ist.

Titelbild

Cynan Jones: Alles, was ich am Strand gefunden habe. Roman.
Übersetzt aus dem Englischen von Peter Torberg.
Liebeskind Verlagsbuchhandlung, München 2017.
236 Seiten, 20,00 EUR.
ISBN-13: 9783954380749

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