Immer vorwärts, nie zurück

Robert Kaldy-Karo und Clemens Marschall unternehmen erzählerische Streifzüge durch die „Kultur und Sittengeschichte“ des „Wiener Praters“

Von H.-Georg LützenkirchenRSS-Newsfeed neuer Artikel von H.-Georg Lützenkirchen

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Der Prater – ein klingender Name! Wien, Riesenrad, Wurstlprater, Vergnügen und noch vieles mehr… 2016 gab es zu seinen Ehren eine 250-Jahr-Feier. In der Wiener Zeitung erschien aus diesem Anlass eine 26-teilige Artikelserie zur Historie des Praters, angereichert mit Geschichten seit der Zeit, in der der Prater, genauer Teile des Pratergeländes, zum Vergnügungsort wurde. Denn das war er ursprünglich noch nicht. Der von der Donau geprägte Auwald diente den Feudalherrschaften als lukratives Jagdrevier. Abseits der bereits angelegten Hauptallee war deshalb der Zugang nur den Privilegierten erlaubt. 1766 änderte das Joseph II. Er gab das gesamte Gebiet für die Öffentlichkeit frei. Und die genoss die neue Freizeit- und Spazierlandschaft, so dass sich bald auch erste Café- und Restaurantbetriebe ansiedelten. Auf der Feuerwerkswiese fanden spektakuläre Feuerwerksbelustigungen statt, die Ende des 18. Jahrhunderts bereits zehntausende Menschen anzogen. Der Vergnügungsort Prater entstand.

Die beiden Autoren der Artikelserie zur 250-Jahr-Feier des Praters, Robert Kaldy-Karo und Clemens Marschall, konzentrieren sich in ihrem Buch Der Wiener Prater auf diesen Ort des Vergnügens, oft auch „Wurstlprater“ genannt. Ihre Kultur- und Sittengeschichte, wie der Band untertitelt ist, profitiert dabei von den speziellen Kenntnissen Kaldy-Karos, dem Leiter des „Circus-& Clownmuseums Wien“. Dort befinden sich jene Erinnerungsstücke, die die Geschichte des Praters lebendig und als Abbildungen im vorliegenden Band das Erzählte anschaulich machen.

Den Restaurants folgten alsbald erste Vergnügungstätten. Spektakulär fing es an. Unweit des Pratersterns entstand Ende des 19. Jahrhunderts eine über 50.000 Quadratmeter große Nachbildung der Lagunenstadt Venedig. Über elf Brücken konnte man Kanäle, die, wie man im Buch erfährt, eine Gesamtlänge von einem Kilometer hatten und eine Gesamtwasserfläche von 8.000 Quadratmetern ausmachten, spazierend queren. Ein imposanter Themenpark, der freilich 1908 pleite war. Gabor Steiner, der Impressario, versuchte sich noch an anderen Orten im Prater, 1912 wollte er gar – erfolglos – ein  neues Venedig aufbauen. Erfolgreicher war das 1897 eröffnete Riesenrad. Es wurde zum Wahrzeichen nicht nur des Praters, sondern für die Stadt Wien. Es existiert heute noch, wenn auch mit nur noch 15 statt der ehemals 30 Waggons. 1947, als das Riesenrad nach den Kriegszerstörungen wieder in Betrieb ging, so erzählt es Kaldy-Karo, „hatte man Angst wegen der Statik gehabt und nur 15 Waggons zugelassen. […] Einige Zeit später ist man draufgekommen, dass man 30 auch hätte aufhängen können, aber da waren sie schon weg“ – verkauft als Würstelwagen und Kioske.

Der Band versteht sich nicht als wissenschaftliche Abhandlung, sondern unternimmt plaudernd „historische Streifzüge“ übers Pratergelände: „Hereinspaziert, hereinspaziert!“ Diese Streifzüge orientieren sich an den Hauptstraßen des Pratergeländes. Eine Kartenskizze leitet die jeweiligen Kapitel ein und verschafft Übersicht über die in den Kapiteln vorgestellten Vergnügungsbetriebe an der Feuerwerksallee/Ausstellungsstraße, der Großen Zufahrtsstraße/Straße des 1. Mai, dem Areal zwischen Großer und Kleiner Zufahrtstraße, der Hauptallee sowie der Rotunde, in der 1873 die Weltausstellung stattfand. Die Rotunde bot noch bis 1937, als der Bau durch einen Brand zerstört wurde, Raum für spektakuläre Zirkusereignisse der großen Zirkusunternehmen Barnum & Bailey, Krone oder Hagenbeck. Auch exotische ‚Ausstellungen‘, wie „Ernst Pinkerts Beduinekarawane“, die „Indienschau“, die „Nubierschau“, die „Ceylon-Expedition“, allesamt von Hagenbeck, fanden hier statt. 1886 gab es eine große Siouxtruppe zu bestaunen, vier Jahre bevor Buffalo Bills Wildwestshow, für die eigens eine 6000 Zuschauer fassende Arena errichtet wurde, erstmals in Wien gastierte.

Die Autoren berichten von berühmten Schaustellerdynastien, die bis heute im Prater aktiv sind. So wie der Ururenkel des „legendären Rumpfmenschen und Praterunternehmers Nikolai Kobelkoff“. Der ohne Arme und Beine 1851 im russischen Zarenreich geborene Kobelkoff kam 1875 als Artist nach Wien und wurde ein erfolgreicher Unternehmer, der im Prater einige erfolgreiche Geschäfte führte. An allerlei kuriose Schaugeschäfte erinnern die Autoren, wie etwa die um 1900 erfolgreiche „Liliputaner Specialitäten Truppe ‚Zeynard‘“, die die Sensationsneugier der Menschen befriedigten. So ist es bis heute geblieben: Der Prater, so heißt es in einem „Epilog“, ist noch immer „ein Ort des Wochenendvergnügens, des Schauens und des Staunens“. Waren es im 18. Jahrhundert die großen Feuerwerke, die die Menschen faszinierten, bestaunten sie im 19. Jahrhundert die „Wunder der Elektrizität“ ebenso wie exotische Sensationen mit Menschen und Tieren, besuchten im 20. Jahrhundert „Filmpaläste“ und „finden im 21. Jahrhundert ihren Adrenalinkick beim ‚Skydiving‘“.

Der Prater, so resümiert Robert Kaldy-Karo am Ende dieses anregend-amüsanten Buchs, „ist immer vorwärts gegangen, nie zurück.“ So sei’s auf immer.

Titelbild

Robert Kaldy-Karo / Clemens Marschall: Der Wiener Prater. Eine Kultur- und Sittengeschichte.
Mit historischen Landkarten für eigene Streifzüge.
Klever Verlag, Wien 2017.
260 Seiten, 25,00 EUR.
ISBN-13: 9783903110175

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