So viel und doch so wenig

Der junge Schweizer Autor Alexander Kamber wagt mit „All das hier“ sein literarisches Debüt

Von Swarje Lilly BoekhoffRSS-Newsfeed neuer Artikel von Swarje Lilly Boekhoff

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

All das hier ist ein Roman, der die schriftstellerischen Fähigkeiten seines jungen Autoren ansatzweise erahnen lässt. Alexander Kambers Debütroman erschien im Schweizer Limmat-Verlag. Kamber, zum Zeitpunkt der Veröffentlichung erst 23 Jahre alt, studiert im niedersächsischen Lüneburg Kulturwissenschaften und arbeitet nebenbei freiberuflich als Journalist.

Wie kann eine Geschichte junger Erwachsener in dieser Zeit anders beginnen als mit einem vibrierenden Smartphone? Dem Vibrieren des Handys von Ich-Erzähler Malte folgt die Erschütterung: die Nachricht vom Unfalltod der heimlichen Hauptfigur Finn.

Finn war der Exfreund von Maltes Partnerin Anna. Ich-Erzähler Malte ist über Anna Teil von Finns Freundeskreis geworden, zu dem auch noch Ben und Nessa gehören. Jetzt ist Finn tot.

Während Anna sich auf ihre Karriere am Theater konzentriert, reist Malte allein zur Beerdigung nach Zürich. Gemeinsam mit Ben und Nessa erinnert er sich an den Sommer, den die fünf Freunde in Hamburg und am Meer verbrachten. Die drei sehnen sich die scheinbar harmonische Zeit zurück. Finn war es schließlich, der einen gemeinsamen Urlaub plante, „um einfach mal wegzukommen von all dem hier“. Zurück in Hamburg entdeckt Malte Zugtickets für die Fahrt nach Südfrankreich, Wochen zuvor von Finn gebucht. So steigt Malte erneut in den Zug Richtung Süden.

Wahrscheinlich ist es auch Malte, der das Buchcover ziert. Dort liegt er mit dem Rücken auf einem Bett und guckt auf sein etwas unförmiges Smartphone. Das Blau des Buchumschlags erinnert an das Blau des Meeres. Keine unwichtige Tatsache, wenn man bedenkt, dass das Meer in diesem etwa 190 Seiten langen Roman der Sehnsuchts-Ort schlechthin ist.

Malte spricht durchweg im Präteritum, erzählt auf diese Weise von der Zeit, als Finn noch lebte sowie der Zeit nach dessen Tod. Dies sorgt gelegentlich für Verwirrung, wenn die vielen Erinnerungen an Finn hochkommen und sich in das gerade Erlebte beinahe nahtlos einfügen. Damit gelingt dennoch ein spannendes Mosaik aus Situationen, kleinen Dialogen und feinen Beobachtungen, das Malte im Fluss von Geschehen und eigenen Gedanken zusammensetzt.

Finn und Malte stehen mit ihrer undurchsichtigen Beziehung im Mittelpunkt, auch wenn das nicht immer so wirken mag. Viel Unausgesprochenes und einander Verschwiegenes steht im Raum zwischen den beiden. Der Titel des Buches verweist auf die Orientierungslosigkeit, auf die man sich beim Lesen einzustellen hat. All das hier bezeichnet grob das, was die fünf Figuren nicht imstande sind auszusprechen, dem sie entfliehen möchten und doch nicht können. Ein paarmal steht diese unbestimmte Formulierung auch für die kostbare, gemeinsam verbrachte Zeit, die es zu konservieren oder mindestens zu wiederholen gilt.

Ärgerlich ist die Tatsache, dass ein paar der Figuren detailliert gestaltet sind, aber die Möglichkeiten dieser Gestaltung sich ins Leere verlaufen. Emotionale Überforderung, Passivität und tiefe Einsamkeit prägen zunehmend den Eindruck, den die einzelnen Figuren hinterlassen.

Kambers Sprachstil ist in den Dialogen umgangssprachlich, fast etwas plump. Die Beobachtungen des Ich-Erzählers hingegen sind teils poetisch. Ein paar Vergleiche muten befremdlich und manchmal einfach falsch an. So heißt es z.B.: „Den Sommer über waren die meisten Häuser leer, nichts weiter als große Särge.“ Abgesehen von dem einen oder anderen sprachlichen Fehltritt, kann Alexander Kamber durch Beschreibungen, etwa des großstädtischen Lebens begeistern.

Eine Szene, in welcher der Ich-Erzähler eine Litfaßsäule nur bemerkt, weil ein Mann ein Plakat davon abreißt und sich ein kleiner Dialog zwischen den beiden entspinnt, erinnert an die Großstadtromane des frühen 20. Jahrhunderts und ihre Flaneure. Hierin zeigt sich auch die Ambivalenz, mit der Kamber das Leben der Figuren in der Großstadt aus heutiger Perspektive skizziert. Von derartigen Lesemomenten würde man sich mehr wünschen, doch liegt der Fokus spürbar auf den fünf Figuren und dem Versuch, deren Beziehungsgeflecht zu ergründen.

Dieses scheint komplex zu sein und alle schüchternen Versuche etwas daran zu ändern scheitern. Man wird versucht sein, zwischen den Zeilen zu lesen – erfolglos. Die Grundstimmung, für die der Roman damit sorgt, schwingt von Bedrücktheit in Gleichgültigkeit um. Das offene Ende bestätigt das Aufgeben der Figuren, „all das hier“ entpuppt sich als Sackgasse und so ist es gut, dass der Roman ebenso unspektakulär endet, wie er beginnt.

All das hier erweist sich somit als eine geeignete Lektüre für einen unaufgeregten Nachmittag in Quarantäne.

Anmerkung der Redaktion: Die Rezension gehört zu den studentischen Beiträgen, die im Rahmen eines Lehrprojekts im Sommersemester 2020 entstanden sind und gesammelt in der Septemberausgabe 2020 erscheinen.

Titelbild

Alexander Kamber: All das hier. Roman.
Limmat Verlag, Zürich 2018.
188 Seiten, 24,00 EUR.
ISBN-13: 9783857918582

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